Bei der Mountainbike-WM in Lenzerheide peilt Nino Schurter seinen siebten Einzel-Weltmeistertitel an. Was den Auftritt an der Heim-WM für den Mountainbiker schwierig macht.
Anfang März hatte die Mountainbike-Welt die Gewissheit zurück: Nino Schurter ist doch nicht unbezwingbar. Fast zwei Jahre lang führte im Weltcup kein Weg am 32-jährigen Bündner vorbei. Acht Rennen lang dauerte seine eindrückliche Siegesserie auf höchster Stufe. In diese
Zeit fiel auch sein sechster Einzeltitel an den Weltmeisterschaften und der Olympiasieg in Rio. Und dann fuhr er zum Weltcup-Auftakt dieses Jahres in Südafrika auf den zweiten Platz. «Ich habe immer gewusst, dass mich einer mal wieder schlagen wird», sagt Schurter, «das ist ganz normal.»
Auf der Terrasse eines Gartenrestaurants in Chur hat er es sich in einer Lounge gemütlich gemacht. Das dominierende Thema: die bevorstehende WM in Lenzerheide, nur 20 Minuten von seinem Zuhause entfernt. Schurters Augen hüpfen wild über die roten Sessel. Vom «Hauptziel der Saisonplanung» spricht er bald einmal.
Später gar vom «grossen Highlight meiner Karriere». Mit seinem sechsten Sieg im Gesamtweltcup hat er seine Rolle als Topfavorit zementiert. Nur einmal verpasste Schurter im laufenden Jahr das Podest (7. Platz in Mont SainteAnne, Kanada). Und doch sagt er: «Es war ein herausforderndes Jahr. Schwieriger als auch schon.»
Probleme mit der Schaltung, Kettenrisse, platte Reifen – nicht immer stand das Glück 2018 auf Schurters Seite. Trotzdem sagt er: «Ich würde nicht von einer Pechsträhne sprechen. Vergangenes Jahr hatte ich ganz einfach riesiges Glück, ohne Defekt durch die Saison zu kommen.»
Zusammen mit seinem Team tüftelte Schurter auch dieses Jahr permanent am Material, testete kleinste Details. «Wir versuchen, in allen Bereichen, ans Limit zu gehen», sagt er, «das birgt logischerweise gewisse Risiken.»
Und dann waren da noch die sogenannten Short Races. Sprint-Rennen, in denen es zwei Tage vor dem eigentlichen Wettkampf um die vordersten Startplätze sowie einige Weltcuppunkte geht. Als «spannend» bezeichnet Schurter das neue Format des Weltverbandes, das ihn vor neue Herausforderungen stellte.
«Ich musste mir ganz neue Strategien erarbeiten», sagt der Familienvater, «die kurzen Rennen sind zudem nicht wirklich auf meine Stärken zugeschnitten.» In sechs Anläufen reichte es Schurter «nur» zweimal aufs Podest. «Zwei Tage vor dem eigentlichen Rennen ist es ein ziemlich harter Test.»
Daher habe er versucht, mit möglichst wenig Aufwand in die Top 8 zu fahren. Aber Schurter wäre nicht Schurter, wenn er nicht sagen würde: «Irgendwann will ich ein Short Race auch gewinnen.» Primär die jungen Fahrer wie Mathieu van Der Poel standen ihm dieses Jahr aber noch vor der Sonne.
Den Belgier bezeichnet Schurter als einen der Hauptkonkurrenten auf dem Weg zu seiner Titelverteidigung in Lenzerheide. Auch seinem «ewigen» Rivalen Jaroslav Kulhavy, dem Italiener Gerhard Kerschbaumer oder Teamkollege Lars Forster traut er einiges zu. Primär will Schurter aber sein Rennen durchziehen. «Meine grobe Taktik liegt bereit», sagt er.
Vor Wochenfrist bestritt Schurter in La Bresse (FRA) das WeltcupFinale – und feierte dabei seinen 30. Sieg auf höchster Stufe. Am Montag zog er sich dann mit seiner Gattin Nina und der 2-jährigen Tochter Lisa nach Lenzerheide zurück. «Akklimatisieren» nennt er diese Phase. Die Höhe sei als Athlet nicht zu vernachlässigen.
Auf ein spezifisches Training in den Bergen verzichtete Schurter unter dem Jahr jedoch. In Lenzerheide war er dennoch häufiger als auch schon – primär zu Materialtests, daneben ein paar Trainingsfahrten. Grosse Vorteile erhofft er sich nicht: «Die Strecke ist allen bestens bekannt.» Seit 2015 gehört das Rennen am Fusse des Parpaner Rothorns fest in den Weltcup-Kalender.
Überhaupt sieht Schurter in seinem Heimauftritt durchaus auch Schattenseiten: «Für das Rennen selbst ist es wohl eher ein Nachteil», sagt er. «Der grosse Rummel neben der Strecke mit Sponsoren- und Medienverpflichtungen birgt durchaus Gefahren.»
Zudem sei der Druck grösser als bei anderen Auftritten. Seine bisherigen Weltcup-Resultate in Lenzerheide dürften ihm jedoch Mut machen: Bei der Premiere vor drei Jahren fuhr er auf den 2. Platz, 2016 und 2017 durfte er sich jeweils als Sieger feiern lassen.
Am Mittwoch gehen die Rennen für Schurter mit dem Teamevent los. Mit seinen Kolleginnen und Kollegen will er den Titel aus dem Vorjahr verteidigen. Am Samstag steht dann der Einzelwettkampf auf dem Programm. Dann wird sich zeigen, ob der Bündner auch auf WM-Ebene schlagbar ist. 2014 musste sich Schurter in Norwegen hinter Julien Absalon mit Silber begnügen. Seither ist er an Weltmeisterschaften unantastbar.
Nino Schurter ist nicht der einzige Fahrer im Schweizer Team, der sich für die Heim-Weltmeisterschaften einiges vorgenommen hat. Neben ihm dürfen sich auch der frischgebackene Europameister Lars Forster (Neuhaus SG), Routinier Florian Vogel (Jona) oder Lukas Flückiger (Wynigen) und Mathias Flückiger (Leimiswil) durchaus Hoffnungen auf einen Podestplatz machen.
«Wir fahren schlussendlich als Nation und bestimmt nicht gegeneinander», erklärt Schurter die Schweizer Taktik. Das WM-Rennen von 2017 hat er aber noch nicht vergessen.
Damals attackierte ihn Teamkollege Thomas Litscher, «obwohl ich dachte, ich hätte die Leaderrolle inne». Beinahe wäre der Angriff ins Auge gegangen und Jaroslav Kulhavy hätte den Sieg als lachender Dritter geerbt. Schlussendlich setzte sich Schurter aber doch noch vor dem Tschechen Kulhavy und Litscher durch. (rmi)