Radsport
Der Glücksritter, dem das Glück nicht immer hold ist

Damit ein Radprofi wie Silvan Dillier ein Rennen auf höchstem Niveau gewinnen kann, muss viel zusammenpassen. Immer wieder versucht er sein Glück, nur selten führt dies auch zum Erfolg. Vielleicht an den kommenden Weltmeisterschaften?

Simon Steiner
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Silvan Dillier, der Glückritter der Landstrasse.

Silvan Dillier, der Glückritter der Landstrasse.

Keystone

Dillier ist ein Fahrer mit vielen Qualitäten. Er kann sprinten, und er kommt gut den Berg hoch. Aber wenn die Topsprinter die Ziellinie vor Augen haben oder wenn die leichtgewichtigen Kletterer den Bergpreis wittern – dann wird es schwierig für den 25-jährigen Aargauer. Seine Chance kommt dann, wenn er es schafft, in einer kleineren Spitzengruppe vor dem grossen Pulk ins Ziel zu kommen.

Dillier ist deshalb ein Glücksritter im positiven Sinn. Einer, der sein Glück immer wieder als Ausreisser versucht – im Wissen, dass diese Fluchtversuche höchst selten von Erfolg gekrönt sind. Und im Wissen auch, dass dieser Erfolg nicht allein von der eigenen Leistung abhängt, sondern auch von der Konkurrenz. Von der Zusammensetzung der Fluchtgruppe. Vom Verhalten der Fluchtgefährten. Von der Reaktion des Feldes. «Wenn die Konstellation nicht stimmt, ist es extrem schwierig», sagt Dillier.

Umso grösser ist die Genugtuung, wenn es dann einmal klappt mit einem Sieg. So wie Mitte August beim Arctic Race in Norwegen, wo der Schweizer Zeitfahr-Meister die letzte Etappe für sich entscheiden konnte. Es war in seiner zweiten Saison als Profi der erste Strassensieg, nachdem er sich 2013 als Stagiaire beim BMC-Team bereits eine Etappe der Tour of Alberta gewonnen hatte.

«Der Sieg in Norwegen war eine grosse Erleichterung», sagt Dillier, der als junger Fahrer im hochkarätigen BMC-Ensemble seine persönlichen Ambitionen oft auch zugunsten von Stars wie Philippe Gilbert oder Greg van Avermaet zurückstellen und Helferdienste leisten muss. «Als Erster über die Ziellinie zu fahren, ist das grösste Gefühl, das man als Rennfahrer haben kann.»

Versuch an den Weltmeisterschaften

Weil Dillier seine gute Form nicht nur in Norwegen unter Beweis stellte, sondern sich auch in anderen Rennen angriffslustig zeigte, darf er sein Glück nun auch an den Weltmeisterschaften in Richmond im US-Bundesstaat Virginia versuchen. Mit den Einsätzen im heutigen Teamzeitfahren, wo er mit BMC als Titelverteidiger und Mitfavorit ins Rennen geht, sowie im Einzelzeitfahren vom Mittwoch hatte Dillier zwar schon länger gerechnet. Nachdem der als Schweizer Teamleader vorgesehene Fabian Cancellara aus gesundheitlichen Gründen seinen WM-Verzicht bekannt gab, rückte der Aargauer auch ins Aufgebot für das Strassenrennen vom kommenden Sonntag.

Dort wird Dillier als einer von nur drei Fahrern im Trikot von Swiss Cycling an den Start gehen. Weil die Schweizer Profis im Frühling kaum World-Tour-Punkte gesammelt haben, hat das Team nicht mehr Startplätze zur Verfügung. «Das hat auch Vorteile», meint Dillier. «Wir werden nicht in der Verantwortung stehen. Niemand wird auf uns zeigen, wenn es Führungsarbeit zu leisten gilt.»

Vielmehr dürften Dillier und der Thurgauer Michael Albasini mit Unterstützung von Helfer Grégory Rast das Rennen defensiv angehen – und versuchen, im entscheidenden Moment die richtige Fluchtgruppe zu erwischen. Als Schlüsselstellen auf dem gut 16 Kilometer langen Rundkurs, der ganze 16 Mal befahren wird, gelten zwei steile Steigungen über Kopfsteinpflaster, die an jene beim Frühjahrsklassiker Flandern-Rundfahrt erinnern.

Mit der WM schliesst Dillier die Strassensaison ab, eine lange Pause bleibt ihm aber nicht. Bereits Mitte Oktober steht der vielseitige Profi, dessen Vertrag bei BMC noch bis Ende 2016 läuft, bei der Bahn-EM in Grenchen wieder im Einsatz. Mit dem Schweizer Vierer tritt Dillier in der Mannschaftsverfolgung an, die Teilnahme in der Einzelverfolgung ist noch offen.

Danach will der frühere U-23-Europameister mithelfen, die Qualifikation des Bahnvierers für die Olympischen Spiele in Rio sicherzustellen: Auf dem Programm stehen ein Weltcupeinsatz in Neuseeland sowie die Teilnahme an der Bahn-WM im März in London. Zunächst hofft Dillier aber, dass bei den Titelkämpfen auf der Strasse alles zusammenpasst.