Mit Rang 5 an der Vuelta gelingt Gino Mäder ein grosser Wurf. Der 24-Jährige lässt Schweizer Radsport-Anhänger davon träumen, dass sie nach mehr als zwei Jahrzehnten wieder einen der Ihren auf dem Podest einer dreiwöchigen Landesrundfahrt feiern können.
Das dritte Jahr bei den Profis wurde zu jenem des grossen Durchbruchs. Plötzlich ist Gino Mäder kein aufstrebender Nobody mehr, sondern ein Fahrer, den die anderen auf der Rechnung haben müssen. 2021 gelangen ihm grosse Siege – nachdem er zunächst eine bittere Enttäuschung wegstecken musste.
Mitte März, auf der siebten Etappe von Paris–Nizza, sah Mäder schon wie der sichere Sieger aus. Nur noch wenige Meter trennten ihn vom ersten Erfolg in einem World-Tour-Rennen. Da raste der Gesamtführende Primoz Roglic heran, schnappte sich mit der Ziellinie vor Augen den kleinen Fisch und holte sich den Etappensieg.
🤴🇸🇮 "È il titano della Parigi-Nizza"
— Eurosport IT (@Eurosport_IT) March 13, 2021
Primoz Roglic che vince anche a La Colmiane con una pazzesca rimonta finale su Mäder, sono già tre vittorie nell'edizione 2021 🚴🔥🔥🔥#EurosportCICLISMO | @rogla | #ParisNice pic.twitter.com/5hn3Vr1VzS
Äusserten sich zahlreiche Exponenten danach erbost bis angewidert über Roglics Aktion, die für sie wenig mit den ungeschriebenen Gesetzen des Radsports zu tun hatte, nahm Mäder die Niederlage ausgesprochen sportlich hin. «Ich schätze, ich muss noch ein bisschen stärker werden …», twitterte er.
Think I need to get a bit stronger...
— Gino Mäder (@maedergino) March 13, 2021
Und Mäder wurde stärker. Der erste grosse Sieg war nur aufgeschoben, aber nicht aufgehoben. Exakt zwei Monate später triumphierte er solo bei einer Bergankunft des Giro d'Italia.
An der Tour de Suisse zeigte sich dann, dass der Oberaargauer noch ein junger Rennfahrer ist, bei dem sich Hochs und Tiefs abwechseln. Mäder liebäugelte mit einem Top-Ergebnis in der Gesamtwertung, musste sich dieses aber schon früh abschminken. Doch er steigerte sich zum Ende der Schweizer Landesrundfahrt und gewann in Andermatt die Schlussetappe, welche die Fahrer über Oberalp-, den Lukmanier und den Gotthardpass führte.
«Das ist unglaublich», sagte Mäder nach der letzten Etappe der Spanien-Rundfahrt. «Jetzt sitze ich hier mit dem weissen Trikot des besten Jungprofis und konnte Jack aufs Podium helfen. Mir fehlen ein wenig die Worte.» In der vorletzten Etappe am Samstag führte er Kollege Haig dank einer engagierten Fahrweise auf Rang 3 – Mäder drückte derart auf die Tube, dass die Mitfavoriten Egan Bernal und Miguel Angel Lopez den Anschluss verloren. Lopez gab sogar entnervt auf.
Der fünfte Gesamtrang sei auch für ihn unerwartet, sagte Mäder weiter. «Vielleicht ist das Ergebnis ein wenig zu gut, aber ich nehme es und ich hoffe, dass ich mich nicht zum letzten Mal in den Top 5 einer grossen Rundfahrt klassieren konnte.» Dass sein grosses Karriereziel der Gesamtsieg des Giro d'Italia ist, hatte er schon früher verraten.
Mit seiner Glanzleistung in den vergangenen drei Wochen weckte Mäder auch die Sehnsucht der Schweizer Radsportfans. Die wurden in den vergangenen zwei Jahrzehnten primär bei Eintagesrennen und in Zeitfahren verwöhnt, in erster Linie durch die vielen Erfolge von Fabian Cancellara.
Doch auf einen Rundfahrer, der ein Kandidat für einen Podestplatz einer Grand Tour ist, wartet die Schweiz seit mittlerweile 22 Jahren. 1999 wurde Alex Zülle Zweiter der Tour de France, er und Tony Rominger zählten in den 1990er-Jahren zu den besten Radprofis der Welt. Beide brillierten sowohl in den Bergen wie auch im Kampf gegen die Uhr. Zülle gewann die Vuelta zwei Mal und wurde zwei Mal Tour-Zweiter, Rominger triumphierte beim Giro d'Italia und gleich drei Mal bei der Vuelta, bei der Tour de France wurde er ein Mal Zweiter und Bergkönig.
Seither klatschten die Schweizer höflich Beifall, wenn die drei besten Fahrer sich feiern liessen. Mathias Frank schaffte es an der Tour de France 2015 auf Rang 8, das war das beste Schweizer Ergebnis seit den Zeiten von Rominger und Zülle.
Und nun schickt sich also Gino Mäder an, deren Nachfolger zu werden. In der Hierarchie des Teams Bahrain-Victorious, bei dem er auch in der kommenden Saison unter Vertrag steht, dürfte er steigen. Er wird nicht mehr länger ein Helfer sein, sondern eine geschützte Rolle erhalten oder gar als Kapitän seiner Equipe vorgesehen sein.
Der Schweiz könnten goldene Radsport-Jahre bevorstehen. Marc Hirschi (23) fuhr vergangene Saison mitten in die Weltspitze. Mauro Schmid (21) gewann in diesem Frühling beim Giro ebenfalls sensationell eine Etappe. Stefan Bissegger (22) feierte drei Profisiege und zählt bereits zu den besten Zeitfahrern der Welt. Und Stefan Küng gehört mit 27 Jahren noch längst nicht zum alten Eisen.
Als nächste Rennen finden jene der Europameisterschaft im italienischen Trento statt – mit intakten Schweizer Medaillenchancen. Im Zeitfahren am Donnerstag treten Bissegger und Küng an, im Strassenrennen am Sonntag dürften Mäder und Hirschi die Captains sein, als Helfer sind Matteo Badilatti, Fabian Lienhard, Simon Pellaud, Sébastien Reichenbach, Roland Thalmann und Yannis Voisard vorgesehen. Mit Marlen Reusser und Elise Chabbey, zuletzt Zweite und Dritte der (kürzeren) Frauen-Ausgabe der Vuelta, verfügt die Schweiz auch bei den Frauen über zwei aussichtsreiche Fahrerinnen.