Radsport
Der Vater übergibt das Nationalteam in die Hände seines Sohns: Die spezielle Geschichte der Familie Albasini

Der ehemalige Nationaltrainer Marcello Albasini hat an der Tour de Romandie seinen letzten Auftritt. Sein Nachfolger: Sohn Michael.

Raphael Gutzwiller
Drucken
Michael Albasini (links) ist Nachfolger seines Vater Marcello als Nationaltrainer.

Michael Albasini (links) ist Nachfolger seines Vater Marcello als Nationaltrainer.

Bild: Jean-Christophe Bott/Keystone

Die Übergabe verläuft wie bei einem Familienbetrieb. Der Vater schaut beim ersten wichtigen Auftrag noch über die Schulter, unterstützt den Sohn, der aber schon die Verantwortung tragen soll. Die Albasinis aus dem Thurgau sind aber keine Schreinerfamilie oder eine Bäckerei, bei der Übergabe innerhalb der Familie handelt es sich um den Posten des Schweizer Nationaltrainers der Radprofis. «Ich übergebe meine Arbeit in die Hände meines Sohnes. Und ich weiss, dass er es gut macht», sagt Marcello Albasini.

Die derzeit laufende Tour de Romandie avanciert zur Abschiedsvorstellung des abtretenden und gleichzeitig zur Feuertaufe des neuen Nationaltrainers. Vater Marcello unterstützt Sohn Michael auf dieser Rundfahrt als Assistent des Sportlichen Leiters.

Die Liebe zum Radsport dank des Vaters entdeckt

Eine Schweizerfahne mit der Aufschrift "Albasini", aufgenommen am 7. Juni 2020 in Frauenfeld. Nach der Absage der Tour de Suisse wegen des Coronavirus organisierten Freunde für Michael Albasini eine eigene, letzte Tour de Suisse.

Eine Schweizerfahne mit der Aufschrift "Albasini", aufgenommen am 7. Juni 2020 in Frauenfeld. Nach der Absage der Tour de Suisse wegen des Coronavirus organisierten Freunde für Michael Albasini eine eigene, letzte Tour de Suisse.

Bild: Keystone

Über 18 Jahre lang dauerte die Profikarriere von Michael Albasini, im Herbst ging diese zu Ende, der direkte Einstieg beim Verband folgte. Vater Marcello, inzwischen 63 Jahre alt, will sich langsam vom Radsport verabschieden. Wobei dies beim ewig emsigen Radsport-Enthusiasten bedeutet, dass er zum Abschluss ein Team aufgebaut hat. Er ist Trainer von «Nippo Provence PTS Conti», wo er Schweizern, Japanern, Äthiopiern und Norwegern zum Profivertrag verhelfen möchte.

Marcello Albasini wächst im Glarnerland auf, seine Vorfahren stammen aus dem Puschlav. Er macht zwar eine KV-Lehre, sein Herz gehört aber früh dem Radsport. Er bringt es zum Elite-Amateur. Als er 1978 die Primarlehrerin Margrit Senn heiratet und in den Thurgau zügelt, eröffnet er ein Velogeschäft und gründet den Veloclub Bürglen. Er wird Trainer.

In diesem Veloclub ist auch Michael Albasini schnell mit dabei. «Wir Kinder konnten in den Sommerferien ins Trainingslager mit», erinnert er sich. «Und so wächst man langsam hinein in den Radsport. Für mich war immer klar, dass ich Velofahrer werden möchte.» Die Liebe zum Radsport habe er von seinem Vater, der habe ihn aber nicht gepusht: «Es hat einfach immer Spass gemacht.»

Der Stolz des Vaters

Michael Albasini spritzt Champagner, 2009 an der Österreich-Rundfahrt.

Michael Albasini spritzt Champagner, 2009 an der Österreich-Rundfahrt.

Roland Schlager / EPA

Michael Albasini wird nicht irgendein Velofahrer. 18 Jahre lang fährt er auf allerhöchstem Profiniveau, feiert grosse Erfolge. 2012 gewinnt er die Gesamtwertung der Katalonien-Rundfahrt oder 2011 eine Etappe der Vuelta. «Natürlich macht mich seine Profikarriere stolz», sagt Vater Marcello und lächelt.

Während Sohn Michael als Radfahrer immer besser wird, wächst auch das Arbeitsumfeld von Marcello. Als Trainer ist er viele Jahre lang für die besten Nachwuchsfahrer der Schweiz zuständig – zwischenzeitlich auch für Sohn Michael.

Marcello Albasini, 2014 als sportlicher Leiter des Schweizer Teams IAM Cycling, versorgt seinen Fahrer Reto Hollenstein mit neuen Getränkeflaschen.

Marcello Albasini, 2014 als sportlicher Leiter des Schweizer Teams IAM Cycling, versorgt seinen Fahrer Reto Hollenstein mit neuen Getränkeflaschen.

Dean Fuss / SPO

Nachdem 2019 Danilo Hondo nach einem Doping-Geständnis entlassen wird, übernimmt Marcello Albasini als Schweizer Strassen-Nationaltrainer. Wieder ist er der Chef von seinem Sohn. «Wir sind es gewohnt, dass wir beruflich miteinander zu tun haben», heisst es bei der Familie Albasini. Und so sei die Situation mit der jetzigen Übergabe des Jobs für die beiden nicht ganz so speziell, wie es von aussen wirken könnte.

An der Tour de Romandie ist zum ersten Mal der Jüngere der beiden der Chef. Marcello assistiert, unterstützt durch seine Erfahrung. So logisch die Stabsübergabe innerhalb der Familie Albasini scheint, klar war sie nicht. Denn Michael Albasini zweifelte zunächst daran, ob er eine solche Position möchte. «Ich habe eigentlich nie Sportlicher Leiter in einem Team werden wollen», sagt er. «Aber dieser Job beim Verband ist nur teilweise vergleichbar. Irgendwann merkte ich: Es passt.»

Die Diskussionen nach dem Familienessen

Privat sprechen die beiden nur selten über den Radsport. «Wenn ich mit meinen Kindern bei meinen Eltern zu Besuch bin, stehen andere Themen im Fokus», sagt Michael Albasini. «Aber wenn wir nach dem Essen ein wenig sitzen bleiben, kann es sein, dass wir über den Radsport diskutieren.» So ist irgendwann auch Nationaltrainerposten ein Thema.

Das stolze Lächeln des Vaters Marcello (rechts), Michael Albasini links.

Das stolze Lächeln des Vaters Marcello (rechts), Michael Albasini links.

Jean-Christophe Bott / KEYSTONE

Schliesslich entscheidet sich der 40-jährige Michael Albasini für die Nachfolge seines Vaters, der Reiz für diese neue Aufgabe ist gross. Zum Start steht ein Mammutprogramm an: Die Tour de Romandie, die Tour de Suisse und die Olympischen Spiele – nebenher absolviert Albasini Trainerkurse. «Das ist jetzt schon ziemlich intensiv», erzählt er. Zumal doch noch einiges in der Vorbereitung neu sei. Der Vater aber, der hat grosses Vertrauen: «Dank seiner grossen Erfahrung bringt Michael sehr viel für die Position mit. Ich weiss, dass er gute Arbeit leisten wird», sagt Marcello Albasini. Der Vater ist stolz.