National League
Plötzlich sind junge Schweizer Stammgoalies bei grossen Eishockey-Klubs: Neue Torhüter bekommt das Land

Philip Wüthrich in Bern, Joren van Pottelberghe in Biel und Ludovic Waeber in Zürich bekommen ihre Chance als Goalie ihrer Klubs - und nutzen sie. Hat der SC Bern dank Wüthrich sogar sein Goalieproblem gleich bis 2036 gelöst?

Klaus Zaugg
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Philip Wüthrich überzeugte bei seiner Premiere im SCB-Trikot.

Philip Wüthrich überzeugte bei seiner Premiere im SCB-Trikot.

Urs Lindt/Freshfocus

Martin Gerber kann Torhüter. Der 46-jährige Stanley Cup-Sieger sagte kürzlich, unsere jungen Goalies seien sehr gut. Aber man müsse ihnen eben eine Chance geben. Seine Einschätzung wird nun bestätigt. Gleich drei Grossklubs setzen auf jungen Torhüter. Die Gründe dafür sind unterschiedlicher Natur.

Der SC Bern und Biel müssen mit Leonardo Genoni (wechselte 2019 nach Zug) und Jonas Hiller (Rücktritt) grosse Namen ersetzen. Die ZSC Lions bauen einen Nachfolger für ihren 31-jährigen meisterlichen Titanen Lukas Flüeler auf.

Grosse Namen auf dem heimischen Markt fehlen

Mit Geld ist die Nachfolgeregelung nicht zu machen. Die ZSC Lions hätten wohl die Mittel für jeden Transfer. Aber es gibt keinen grossen Namen mehr auf dem heimischen Markt und in Nordamerika verdient im Profihockey nur noch ein Schweizer sein Geld: Der 24-jährige Gilles Senn in der Organisation der New Jersey Devils. Ein NHL-Torhüter ist er noch nicht. Notfalls könnten sich die Klubs zwar mit ausländischen Torhütern behelfen – aber dann ist eben eine Ausländerlizenz weg, die eigentlich für Feldspieler gebraucht wird. Und die schwierigen Zeiten mahnen zur wirtschaftlichen Bescheidenheit. Die Bereitschaft, einem jungen Torhüter eine Chance zu geben, war in den vergangenen 20 Jahren noch nie so hoch.

Am Dienstag feierte Philip Wüthrich (22) bei seinem ersten NL-Spiel mit dem SCB in Biel gleich einen Sieg (4:3). In Biel bewährt sich Joren van Pottelberghe (23) als Nachfolger von Hiller und in Zürich ist Ludovic Waeber (24) nach fünf Siegen und einer Fangquote von 97,14 Prozent die neue Nummer 1.

Spielte einst in Schweden, wechselte dann zu Davos und steht nun im Bieler Tor: Joren van Pottelberghe.

Spielte einst in Schweden, wechselte dann zu Davos und steht nun im Bieler Tor: Joren van Pottelberghe.

Marcel Bieri / KEYSTONE

Drei Torhüter, drei unterschiedliche Geschichten. Van Pottelberghe hat von allen drei die bewegteste Zeit hinter sich. Er sammelte als Junior drei Jahre Erfahrungen in Schweden, ehe er 2016 nach Davos wechselte, dort zusammen mit Gilles Senn das schwierige Erbe von Genoni antrat – und scheiterte. Er wurde nach Dänemark und Kloten ausgeliehen, ehe er vergangene Saison die Arbeit mit Sandro Aeschlimann teilte. Der Zuger bewies seine NL-Tauglichkeit. Aber HCD-Sportdirektor Raëto Raffainer entschied sich für die Verpflichtung von Robert Mayer (31) – mit Vertrag bis 2025. «Mit Mayer haben wir eine langfristige Lösung, bei Van Pottelberghe müssten wir jedes Jahr damit rechnen, dass er in eine NHL-Organisation wechselt», begründet er diesen Entscheid. Mit dem Risiko eines Wechsels nach Nordamerika müssen die Bieler leben.

ZSC-Goalie Ludovic Waeber.

ZSC-Goalie Ludovic Waeber.

Marcel Bieri / KEYSTONE

Ludovic Waeber ist Gottérons «vergessenes» Talent. Seit 2017 hat er sich als Ersatz für die Nummer 1 (Barry Brust, Reto Berra) bewährt. Hat ZSC-Sportchef Sven Leuenberger eine Nummer 2 hinter Lukas Flüeler gesucht und nun unverhofft eine Nummer 1 gefunden? «Sie können das meinetwegen so sagen. Aber es sind erst sieben Partien gespielt und wir reden von einer Momentaufnahme. Wir brauchen zwei Goalies und deshalb haben wir Waeber geholt und natürlich hofft man immer, dass einer noch besser ist als man erwartet hat...»

Auch Reto Pavoni kam nur dank einer Grippe...

Wüthrich hat als einziger dieses Trios bereits im Erwachsenenhockey einen Titel gefeiert. Der SCB-Junior hexte Langenthal 2019 zum Titel und vergangene Saison noch einmal zum Playoff-Triumph über Olten. Und doch war der SCB nicht bereit, diese Saison auf ihn zu setzen und löste eine der Ausländerlizenzen für Tomi Karhunen.

Dass ihm Trainer Don Nachbaur in Biel erstmals eine Chance gegeben hat, verdankt er wohl auch einer Intervention seines Agenten André Rufener bei der sportlichen SCB-Führung. Der verneint das zwar und sagt, so etwas würde er nie wagen. Er gehe davon aus, dass SCB-Sportchefin Florence Schelling als ehemalige Weltklassetorhüterin das Potenzial von Wüthrich richtig einzuschätzen wisse.

Der Zürcher traut seinem Schützling zu, dass er sich nach seinem Debüt gleich durchsetzen wird und bringt ein Beispiel, das er als Klotener Junior einst selber miterlebt hat: «Es wird sein wie damals, als André Mürner wegen einer Grippe nicht spielen konnte: Für ihn kam Reto Pavoni – und blieb für die nächsten 16 Jahre die Nummer 1.»

Behält der Nonkonformist unserer Agenten einmal mehr recht, dann hat der SCB bis ins Jahr 2036 kein Torhüterproblem mehr.