Die Eishockey-WM ist abgesagt. Schweizer Hockey-Festspiele vor Heimpublikum wird es nicht geben, vorerst. Eine Analyse.
Alle Probleme, die wir mit Geld lösen, sind keine Probleme. Das mag salopp dahergeredet sein, trifft aber im Kern die Folgen der abgesagten Eishockey-WM in Zürich und Lausanne (vom 8. bis 24. Mai). Der Mammon ist in diesem Falle nicht das Problem. Für das globale Hockeyspektakel sind 50 Millionen Franken budgetiert. Die Versicherungssumme, mit der sich der Internationale Eishockeyverband (IIHF) und die Organisatoren abgesichert haben, beträgt 60 Millionen Franken. Rund 300 000 Tickets im Wert von 24 Millionen sind bereits verkauft. Das Geld wird – abzüglich einer kleinen Verarbeitungsgebühr – zurückerstattet. Die direkten wirtschaftlichen Folgen der WM-Absage sind für die Veranstalter kein Problem.
Der verlorene Traum ist hingegen mit Geld und Gold nicht aufzuwiegen. Nationaltrainer Patrick Fischer personifiziert diesen Traum. In der ihm eigenen Art spricht der charismatische Zuger seit seinem Amtsantritt vom grossen Ziel WM-Titel. Es wäre der erste überhaupt für die Schweiz in den beiden grossen Teamsportarten Eishockey und Fussball. Bis heute ist in der Schweiz zehn Mal um den WM-Titelgespielt worden, 1928 und 1948 zusätzlich auch um den Olympiasieg: 1928, 1935, 1939, 1948, 1953, 1961, 1971, 1990, 1998 und 2009. Nie hatten die Schweizer eine realistische Chance auf den Titel. Am nächsten kamen sie dem grossen Triumph 1935 in Davos mit dem zweiten Platz hinter den übermächtigen Kanadiern.
Nun wären die Schweizer zum ersten Mal im eigenen Land mit reellen Chancen auf den WM-Titel angetreten. Noch sind die beiden Torhüter Reto Berra und Leonardo Genoni mit 33 Jahren im besten Alter und gehören zu den Besten ausserhalb der NHL. Mit ziemlicher Sicherheit wären die meisten NHL-Stars – Roman Josi, Mirco Müller, Yannick Weber, Kevin Fiala, Timo Meier, Nino Niederreiter, Nico Hischier oder Gaëtan Haas – zur Verfügung gestanden. Was 2018 beinahe gelungen ist – die Schweizer verloren den WM-Titel gegen Schweden im Final erst im Penalty-Schiessen – hätte nun 2020 im Zürcher Hallenstadion Wirklichkeit werden können.
Eishockey-WM 2021 in der Schweiz?
Die Chancen stehen zwar gut – etwa 80:20 – dass der IIHF-Kongress (der Vollversammlung der Vertreter aller Hockeyländer) der Verschiebung um ein Jahr zustimmt und die WM 2021 vom 7. bis 23. Mai doch noch in Zürich und Lausanne stattfinden kann. Mit den gleichen Teilnehmern und sogar mit dem gleichen Spielplan. Neuer Anlauf, neues Glück, neuer Traum für Patrick Fischer. Nicht ganz. Die einmalig günstige Konstellation von 2020 wird es 2021 nicht geben.
Die Welt-Virus-Krise hat auch den Spielbetrieb in der NHL zum Erliegen gebracht. Es zeichnet sich ab, dass die wichtigste Liga der Welt mit einem Umsatz von rund fünf Milliarden Dollar den Champion (Stanley-Cup-Sieger) doch krönen will und womöglich bis weit in den Sommer hinein spielen und die nächste Saison verspätet beginnen wird. In diesem Fall werden die NHL-Stars für die WM 2021 nicht zur Verfügung stehen. Das gilt zwar auch für die Konkurrenz. Aber die Schweizer sind viel stärker von ihren wenigen NHL-Stars abhängig als die Schweden, Finnen, Tschechen oder Russen. Und selbst ein kanadisches und amerikanisches WM-Team ohne NHL-Stars ist konkurrenzfähig. Wie wir es auch drehen und wenden – durch die Absage der WM 2020 hat Patrick Fischer den Traum vom WM-Titel verloren. Eine so gute Ausgangslage wie 2020 – vor eigenem Publikum, unser Eishockey so konkurrenzfähig wie nie zuvor in der Geschichte, einen charismatischen Schweizer als Nationaltrainer – wird die aktuelle Spielergeneration vielleicht nicht mehr vorfinden.
Geld mag zwar für die WM-Organisatoren nicht das Problem sein. Aber unserm Eishockey wird die Schwungkraft einer WM im eigenen Land fehlen. Im Fussball hält ein Titelturnier auch dann das ganze Land in Atem, wenn sich unsere Nationalmannschaft blamiert. Im Eishockey wird eine WM nur dann zu einem nationalen Sportereignis, wenn die Schweizer erfolgreich sind (wie 2013 und 2018) oder im eigenen Land antreten können (wie 1998 und 2009). Nun war erstmals die Kombination Erfolg und WM im eigenen Land möglich – und die Hockeybegeisterung hätte ein Reizklima geschaffen, dass es den Klubs erleichtert hätte, neue Werbepartner zu finden und Saisonkarten zu verkaufen. Wäre, hätte, könnte – die drei Worte prägen in diesen Zeiten wahrlich nicht nur unser Hockey.