Olympische Spiele
Der Herr der Fahnen ist bereit für die Olympischen Spielen

Tadamasa Fukiura ist sein 57 Jahren Olympia-Flaggenmeister. Sein Job ist es, sicher zu stellen, dass es keine peinliche Verwechslungen gibt.

Felix Lill aus Tokio
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Olympia-Flaggenmeister Tadamasa Fukiura mit der Fahne von  Gastgeber Japan.

Olympia-Flaggenmeister Tadamasa Fukiura mit der Fahne von
Gastgeber Japan.

Bild: Reuters

«Allmählich bin ich echt nervös», sagt Tadamasa Fukiura und hebt seinen Becher zu einem ausgedehnten Schluck Tee. Aussen wie innen ist der bedruckt mit diversen Landesfahnen: Nicaragua, Bolivien, Brasilien sind zu sehen. «Haben wir vielleicht doch irgendwas falsch gemacht?» Die Frage, die der 80-jährige gen Fenster seines mit Almanachen und Geschichtsbüchern vollgestellten Büros murmelt, beantwortet er selbst. «Nein, dürften wir eigentlich nicht. Die Vorbereitung müsste fehlerlos sein.» Ansonsten wäre es jetzt auch zu spät.

Wenn gegen Freitagnacht japanischer Zeit die Olympischen Sommerspiele in Tokio eröffnet sind, wird er es jedenfalls wissen. Bei der grössten Sportveranstaltung der Welt ist es der Job von Tadamasa Fukiura, dass bei den Flaggen der 206 teilnehmenden Nationen und Delegationen jeder Fehler vermieden wird: keine falschen Farbtöne, keine inadäquaten Anordnungen von Wappen. Auch falschherum oder in einer nicht vorhergesehenen Reihenfolge dürfen sie auf keinen Fall hängen. Das alles wäre eine Katastrophe – zumal bei der Eröffnungsfeier, wenn die ganze Welt zusieht.

Die Olympischen Spiele diesen Sommer sind so kontrovers wie noch nie, das weiss auch Fukiura. Nachdem «Tokyo 2020» schon auf den Sommer 2021 verlegt wurde, halten die Veranstalter nun trotz der Pandemie – und vor weitgehend leeren Tribünen – an den Wettkampfplänen fest. Zugleich will das Grossevent wie kein anderes für Völkerverständigung und internationalen Austausch stehen. Und die wohl wichtigste Symbolik, um dies zu zeigen, ist das im Rahmen der Wettkämpfe immer wieder sichtbare bunte Fahnenmeer nationaler Flaggen.

40 Mitarbeiter kümmern sich um die Flaggen

Dass hier alles richtig läuft, ist die Verantwortung von Tadamasa Fukiura. Während der Vorbereitungen hat er für dieses Vorhaben vier Arbeitskräfte beschäftigt. Mit jedem nationalen olympischen Komitee musste immer wieder Rücksprache gehalten werden: Welche Version einer Flagge – ob mit Wappen oder ohne – gewünscht ist, ob die ausgewählten Farbtöne den Vorstellungen der Gäste entsprechen. Während der Spiele wird dann auf gut 40 Mitarbeiter aufgestockt. An jeder Spielstätte müssen schliesslich die Nationalfahnen der Sieger gehisst werden.

Tadamasa Fukiura kümmert sich mit Leidenschaft um die Flaggen.

Tadamasa Fukiura kümmert sich mit Leidenschaft um die Flaggen.

Felix Lill.

Der Job klingt banal, wie eine blosse Frage von Genauigkeit und Konzentration. Aber peinliche Fehler in diesem Zusammenhang gibt es immer wieder. Bei den Olympischen Spielen von London 2012 wurde bei einem Fussballspiel der nordkoreanischen Frauen die Flagge Südkoreas angezeigt. Nord- und Südkorea verharren seit Jahrzehnten im Kriegszustand miteinander. So sah sich Grossbritanniens damaliger Premierminister David Cameron genötigt, im Namen der Veranstalter um Verzeihung zu bitten. 2016 in Rio wurde die chinesische Flagge fehlerhaft dargestellt. Die kleineren gelben Sterne oben links in der Ecke waren falsch ausgerichtet. Auch das führte zu Verstimmungen. Chinesische Athleten lachten, aber die Botschaft beschwerte sich. Die Liste liesse solcher Fauxpas sich lange fortführen.

«Vielleicht schaffen wir es ja ohne Fehler»

«Vielleicht schaffen wir es ja, Spiele ohne Fehler durchzuziehen», sagt Tadamasa Fukiura und scheint unsicher. Wenn das einer schaffen kann, so in Japan die Annahme, dann er. Seinen ersten Einsatz bei diesem Job hatte Fukuira schon als 23-jähriger Politikstudent, als Tokio 1964 die ersten olympischen Spiele auf asiatischem Boden veranstaltete. «Die Nervosität war noch viel grösser als heute.» Kurz zuvor bei einem internationalen Sportturnier in Tokio hatten die Organisatoren die Flagge von Taiwan falsch herum gehisst.

Bei Olympia 1964 war Fukiuras einzige Aufgabe, dass dies nicht passieren würde. Der junge Mann nahm den Job aber wesentlich ernster. Weil damals Farbtöne kaum standardisiert waren, mussten die Organisatoren nach eigenem Gutdünken arbeiten. Auch die Entscheidung zum Stoff war unklar. Fukiura testete nicht nur Farbtöne, sondern Stoffe: Wochenlang liess er Flaggen aus Nylon, Wolle und Akryl an der Frischluft wehen. Die Flagge aus Wolle war nach neun Tagen vom Wind zerfleddert, nach elf Tagen hatte diejenige aus Nylon die Farbe verloren. Fukiura entschied sich für Acryl. Und allmählich wurde er zu Japans bekanntestem Flaggenmeister: Auch bei den Winterspielen 1972 in Sapporo und 1998 in Nagano behielt er den Job. Im Vorfeld der Spiele trat er immer wieder in Medien auf.

Tadamasa Fukiura überprüft, ob die Flaggen stimmen.

Tadamasa Fukiura überprüft, ob die Flaggen stimmen.

Felix Lill

Heute herrschen für diverse Elemente von Nationalflaggen – wie den Stoff oder die Proportionen – weitgehend Standards. Produziert wird mit Lasern statt mit der Hand. Einfacher ist der Job aber nicht unbedingt geworden. «1964 in Tokio haben 93 Länder teilgenommen. Und das war schon eine Herausforderung, Verwechslungen zu vermeiden. Heute aber sind es mehr als doppelt so viele Länder.» Und die Flaggen von Irland, Italien und Mexiko seien eben sehr ähnlich. «Und alle sehr schön», fügt der alte Mann hinzu. Er kenne jede Flagge der Welt auswendig. Unsicher sei aber, ob auch die Mitarbeiter so fit sind. Aber alle im Team eine die Liebe zu schönen Fahnen.

«Hat Nordkorea nicht eine äusserst schöne Flagge?»

Kann man eine Lieblingsflagge haben? Tadamasa Fukiura bleibt einen Moment still und sucht nach Worten. «Also naja», fängt er an und greift nach einem mit Flaggen bedruckten Zettel, um sich zu erklären. «Ich mag Flaggen, die simpel und stilsicher sind. Die hier ist das beste Beispiel, glaube ich. Ist die Kombination der satten Blau- und Rottöne nicht schön? Und sie sind so schön voneinander abgehoben durch diese dünne weisse Linie dazwischen. Ich mag auch den symmetrischen Stern auf weissem Grund.» Mit Politik habe das überhaupt nichts zu tun. «Aber Nordkorea hat schon eine äusserst schöne Flagge.»

Auch deshalb sind die Spiele von Tokio diesen Sommer für Tadamasa Fukiura wohl nicht die Spiele, die sie hätten werden sollen. Nicht nur müssen die Stadien leerbleiben. Als einziges Land hat Nordkorea angekündigt, wegen der Pandemie den Spielen fernzubleiben. So wird die Lieblingscouleur des Flaggenmeisters von Japan diesmal nicht wehen können.