Journalist Simon Häring berichtet hier von Nebenschauplätzen bei seinem Arbeitsaufenthalt bei den Olympischen Spielen in Tokio.
Als ich einmal privat Lateinamerika und später Südostasien bereiste, war ich dort mit meinen blonden Haaren und blauen Augen immer ein kleines Ereignis und dadurch auch ein gefragtes Fotosujet. Ich habe mich damals köstlich darüber amüsiert und mich gerne zur Verfügung gestellt, dabei allerdings immer darauf bestanden, dass ich nur für ein gemeinsames Bild posieren wolle. Das gab mir dann die Möglichkeit, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. Und davon hatte natürlich auch ich etwas.
Deutlich unwohler fühlte ich mich, als ich am Freitag mein Habitat, ein 10 Quadratmeter kleines Hotelzimmer im Tokioter Stadtteil Koto-Ku, ganz kurz verliess. Denn in den ersten drei Tagen nach Einreise ist es mir nur erlaubt, für maximal 15 Minuten mein Hotel zu verlassen, was ich dazu nutzte, um mir an einem Imbissautomaten mein Nachtessen zu besorgen. Ein Bürokollege scherzte, das seien Bedingungen wie in einem nordkoreanischen Knast, jeder Straftäter in der Schweiz habe einen längeren «Freigang». Das ist natürlich masslos übertrieben, aber angenehmer könnte es schon sein.
Dennoch war ich froh, als ich zurück war. Obwohl ich nichts Verbotenes tat, fühlte es sich jeweils so an. Denn was passiert, wenn man gegen diese goldene 15-Minutenregel verstösst, steht im mehrseitigen Verhaltenskodex unmissverständlich: «Die Bevölkerung Japans wird jeden Ihrer Schritte genau beobachten.» Ich müsse damit rechnen, fotografiert zu werden und dass die Bilder in den sozialen Medien landen. Dem Online-Marterpfahl bin ich hoffentlich noch einmal entkommen.