Oberste Schweizer Tennis-Diplomatin sagt: «Tennis hat ein schlechtes Bild abgegeben, auch wenn Djokovic gute Absichten hatte»

Die Neuenburgerin Conny Perrin wurde in den neu gegründeten Spielerrat des Tennisweltverbands ITF gewählt und ist damit so etwas wie die oberste Schweizer Tennis-Diplomatin. Wofür sie sich einsetzen will.

Simon Häring
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Conny Perrin ist seit ihrer Wahl in den Spielerrat des Tennisweltverbands ITF so etwas wie die oberste Schweizer Tennis-Diplomatin.

Conny Perrin ist seit ihrer Wahl in den Spielerrat des Tennisweltverbands ITF so etwas wie die oberste Schweizer Tennis-Diplomatin.

Bild: Keystone

Mit Novak Djokovic führt ein Mann den Spielerrat der Männer an, der während der Corona-Pandemie den Unmut seiner Kollegen mit seiner Adria-Tour und einer aufreizend zur Schau getragenen Ignoranz auf sich gezogen hat. Nun wurden Djokovic, seine Frau Jelena, weitere Spieler, Betreuer, die hochschwangere Frau eines Spielers, Kinder und Politiker positiv auf das Coronavirus getestet. Über 100 Menschen in der Region der kroatischen Küstenstadt Zadar wurden in Quarantäne versetzt. Es ist eine von vielen, aber längst nicht die einzige Herausforderung, mit der sich das Profitennis in der globalen Gesundheitskrise konfrontiert sieht.

Bereits seit Mitte März ruht der Spielbetrieb, für viele Spieler, Trainer und Betreuer hat das existenzielle Probleme zur Folge. Zwar fallen Ausgaben weg, aber auch Verdienstmöglichkeiten. Anders als die Weltbesten sind sie von dein Einnahmen aus Preisgeldern abhängig, viele haben keine oder nur wenige Sponsoren. Zudem waren in zahlreichen Länden der Welt die Sportanlagen zumindest vorübergehend gesperrt, was für Tennisspieler und Tennisspielerinnen einem Berufsverbot gleichkommt. Nicht einmal auf die Notlösung, Hobby-Spieler zu unterrichten, konnten sie zurückgreifen.

Perrin kritisiert die ungenügenden Massnahmen bei der Adria-Tour, sagt aber, Novak Djokovic habe mit den besten Absichten gehandelt.

Perrin kritisiert die ungenügenden Massnahmen bei der Adria-Tour, sagt aber, Novak Djokovic habe mit den besten Absichten gehandelt.

Wahl mit einem Glanzresultat

Ungewissheit, fehlende Einnahmen – es sind existenzielle Fragen, die sich Tennisspielern stellen, denn gegen einen Verdienstausfall sind sie nicht versichert. Und der Internationalität geschuldet ist, dass das Tennis wohl eine der letzten Sportarten ist, die zur Normalität zurückkehren wird, wie auch immer diese dann aussehen soll. Immerhin haben sich in der Krise die zum Teil zerstrittenen Interessengruppen, die vier Grand-Slam-Turniere, die Profi-Vereinigungen der Männer (ATP) und der Frauen (WTA) sowie der Tennisweltverband ITF arbeiten an gemeinsamen Lösungen.

Künftig an vorderster Front einsetzen wird sich die Neuenburgerin Conny Perrin. Sie wurde von den Spielerkolleginnen mit dem besten Resultat in den neu neu geschaffenen und von der früheren French-Open-Siegerin Mary Pierce präsidierten siebenköpfigen Spielerrat des internationalen Tennisverbands gewählt. Die ITF organisiert die Turniere unterhalb der World Tour mit den ATP-, WTA-, und Challenger-Turnieren, bei denen Spieler und Spielerinnen ab Weltranglistenposition 200 antreten. Das Panel versteht sich als Interessenvertreter für tiefer Klassierte.

Perrin findet Federers Fusionsidee «interessant»

Perrin hat die spielfreie Zeit für Wahlkampf genutzt, das Gespräch mit Spielerinnen gesucht, «weil ich mir ein Bild davon machen wollte, wie es ihnen geht, und welche Bedürfnisse sie haben», sagt Perrin.. Sie verliert sich nicht in Fantastereien und lässt stattdessen Pragmatismus walten. Wenn sie spricht, bewegt sie sich oft im Vagen, immer abwägend, immer verständnisvoll, nie verurteilend, immer lösungsorientiert. Man müsse «das grosse Bild» im Blick haben, wie Perrin es nennt. Sie spricht von der «Chance» auf einen «Neustart», und dass gerade «viel Gutes» entstehe.

Roger Federers Idee einer gemeinsamen Dachorganisation für Frauen- und Männertennis findet bei Conny Perrin Anklang.

Roger Federers Idee einer gemeinsamen Dachorganisation für Frauen- und Männertennis findet bei Conny Perrin Anklang.

Bild: Keystone

Zum Beispiel die von Roger Federer lancierte Idee, der die Gründung einer gemeinsamen Dachorganisation für die Profivereinigungen der Frauen und Männer anregte. Perrin findet den Gedanken interessant. Aber auch, dass sie sich vertieft damit befassen müsse, mehr Informationen brauche, und auch die Spielerinnen, die sie vertritt, anhören wolle. Ob es denn in das «Bigger Picture», dieses «grosse Bild» passe, das sie malt. Perrin strebt keine Revolution an, sondern eine Evolution, nichts entstehe über Nacht. Und ihr sei bewusst, dass es nie Lösungen geben, die alle glücklich mache.

Wolhwollende Kritik an Djokovic

Sie sei schon immer neugierig gewesen, interessiert am Dialog und neuen Impulsen. Nach ihrer Rückkehr in die Schweiz Mitte Mai, und nach 14-tätiger Selbstisolation, habe sie grosse Lust verspürt, mit Menschen aus dem Klub zu spielen und versucht, ihnen Tipps zu geben. «Weil ich mir gesagt habe, dass ich dadurch vielleicht selber etwas lerne.» Über das Tennis, aber auch über das Leben. Sie verstehe die Ungeduld anderer, appelliert aber auch an die Eigenverantwortung. Wer Conny Perrin reden hört, immer dem diplomatischen Grundrauschen folgend, der könnte meinen, sie sei für die Rolle der Tennis-Diplomatin geboren worden.

Was nicht heisst, dass Conny Perrin sich in Inhaltsleere verliert. Wie im Fall der von Novak Djokovic initiierten Adria-Tour, bei der sich zahlreiche Menschen, darunter der Serbe selber, mit dem Coronavirus angesteckt haben. Djokovic sei ein herausragender Mensch und Champion, sagt sie. «Das Tennis hat kein gutes Bild abgegeben. Es war nicht der richtige Zeitpunkt und die Sicherheitsvorkehrungen waren ungenügend», sagt sie. «Aber Djokovic hat mit guten Absichten gehandelt.» Wohlwollend, aber kritisch, verständnisvoll, und doch fordernd. Aber vor allem: diplomatisch.