Fussball
«Noch brauche ich keine Tabletten»: Urs Fischer über sein neues Leben in Berlin

Mission Aufstieg – Trainer Urs Fischer hat im Sommer Union Berlin übernommen, nun steht er kurz davor, den Klub in die Bundesliga zu führen. Der 53-Jährige zeigt uns beim Besuch sein Berlin und spricht über die Neuerungen in seinem Leben.

Mario Heller, aus Berlin
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Fühlt sich pudelwohl: Urs Fischer posiert für das Foto im Stadion «An der Alten Försterei», der Heimat von Union Berlin.

Fühlt sich pudelwohl: Urs Fischer posiert für das Foto im Stadion «An der Alten Försterei», der Heimat von Union Berlin.

Mario Heller

Seit Juni 2018 ist der Zürcher Urs Fischer Trainer beim FC Union Berlin. Es könnte kaum besser laufen für ihn beim Kult-Verein. Das Ziel ist der lang ersehnte Aufstieg in die Bundesliga.

Nach dem 2:0-Sieg gegen den Hamburger SV von vergangener Woche ist die Euphorie noch einmal grösser geworden. Ob Union aufsteigt? Fischer gibt sich bedeckt: «Dazu sage ich nichts, das würde nicht zu mir passen. Was denken Sie, wie oft die Presse in Berlin mir diese Frage schon gestellt hat? Die Zukunft heisst Darmstadt, unser nächster Gegner, es wird schwierig genug.»

Sein Vertrag läuft bis Ende nächster Saison – wobei der Aufstieg natürlich helfen würde für die allgemeine Zufriedenheit. Seine Laune ist prächtig, als er am vergangenen Mittwoch zum Gespräch empfängt. Mitten im heissen Aufstiegsrennen gewährt Fischer Einblicke in sein Leben in Berlin.

Urs Fischer über Berlin, die Mega-Metropole:

Metropole: Blick auf die Karl-Marx-Alle und den Fernsehturm.

Metropole: Blick auf die Karl-Marx-Alle und den Fernsehturm.

Mario Heller

«Ich hatte ja immer das Gefühl, aus einer Metropole zu kommen: Zürich. Aber nach einer Woche Berlin wurde mir bewusst, dass Zürich ein Dorf ist. Als ich das erste Mal vom Flughafen Berlin Tegel nach Köpenick fuhr, kam ich aus dem Staunen nicht mehr heraus. So viele Autos, und flott ist er auch unterwegs, der Berliner: An der Ampel einmal nicht sofort angefahren, hupt es schon hinter dir. Dann kommst du irgendwann am Zentrum und dem Fernsehturm vorbei. Insgesamt fährt man 30 Kilometer von einem Ende der Stadt ans andere.

Mir wurde bewusst, dass Zürich ein Dorf ist

Es gibt hier eine sechsspurige, riesige Strasse, die Karl-Marx-Allee. Die geht kilometerlang geradeaus. In Zürich ist die längste Gerade ja vielleicht über die Hardbrücke und du denkst schon, das ist lange. Aber die Dimensionen hier, ein Wahnsinn. Und die ganzen kulturellen Angebote, die geschichtsträchtigen Orte wie das Brandenburger Tor oder das Holocaust-Denkmal. Da stehst du davor und liest, was da eigentlich passiert ist und kommst in der Realität an. Zwei Monate würden nicht reichen, um die Stadt zu entdecken.»

Fischer über das Wohnen in Berlin:

Küche leer: Wohnungen in Deutschland sind oft ohne Küche vermietet.

Küche leer: Wohnungen in Deutschland sind oft ohne Küche vermietet.

Mario Heller

«Insgesamt wohnte ich drei Monate im Hotel. Das war mühsam, aber die Wohnungssuche gestaltete sich schwieriger als erwartet. In Berlin ist es nämlich so, dass die Leute die Küche beim Auszug mitnehmen. Ich war immer wieder bei der einen oder anderen Besichtigung, aber die Inserate waren oft total unpräzise. Fehlende Küche oder muffige, verrauchte Räume, da haut es einen aus den Socken. Und wie es eben ist: Nach Wochen des Suchens besichtigte ich an einem Tag drei Wohnungen – die dann alle toll gewesen wären.

Die Wohnungssuche gestaltete sich schwieriger als erwartet

Ein wichtiges Kriterium war für mich, dass ich in der Nähe vom Stadion wohne. In Zürich fuhr ich ja jeweils 8 Kilometer bis zur Allmend Brunau, da benötigte ich verkehrsbedingt manchmal eine Stunde, das wollte ich mir ersparen. Jetzt lebe ich hier in Köpenick, umgeben von viel Wasser und Grün. Es gab viele Kleinigkeiten zu tun: Führerausweis umschreiben, sich bei der Einwohnerbehörde anmelden, da musste ich am Anfang erst mal reinkommen. Wenn ich im Supermarkt um die Ecke einkaufen gehe, kennen mich die Leute und wünschen mir viel Glück. Der Berliner ist direkt, aber sehr freundlich.»

Fischer über den Berliner Flughafen Tegel:

Zürich–Berlin retour: Die Flüge sind unzählig.

Zürich–Berlin retour: Die Flüge sind unzählig.

Mario Heller

«Man hat immer irgendwo etwas Heimweh, auch wenn es ein gutes Dutzend Flüge jeden Tag zwischen Berlin und Zürich gibt. Trotz nur einer Stunde Flugdauer benötigt man von Tür zu Tür das Dreifache der Zeit. Diese Distanz, diese Lücke ist nicht immer einfach.

Berlin scheint unglaublich angesagt zu sein

Jedes zweite Wochenende versuche ich, nach Zürich zu meiner Familie zu fliegen, aber es gab auch Phasen, wo das nicht ging. Meine beiden Töchter besuchen mich aber regelmässig, meine Frau natürlich auch. Vergangenes Wochenende war sie zusammen mit einem befreundeten Paar auf Besuch. Wir waren beim Alexanderplatz, die Frauen gingen shoppen, wir gönnten uns ein Bier an einem Stand. Gleich neben uns hörten wir zwei Männer Schweizerdeutsch reden, wir begrüssten sie und einer meinte nur: «Schon wieder Schweizer, ihr seid nicht die Ersten!» Berlin scheint unglaublich angesagt zu sein, auch in der Schweiz. Ich bin schon zu jeder möglichen Zeit geflogen, die Maschinen waren meistens voll.»

Fischer über Union Berlin und dessen Fans:

Euphorische Fans: Das Stadion «An der Alten Försterei» ist fast immer ausverkauft.

Euphorische Fans: Das Stadion «An der Alten Försterei» ist fast immer ausverkauft.

Keystone

«An das erste Freundschaftsspiel gegen einen Drittligisten kamen 12 000 Fans. Die Leidenschaft der Anhänger ist eindrücklich. Mit Basel habe ich in der Champions League gespielt, da kamen zuweilen auch 30 000 Fans, aber das hier ist noch mal etwas anderes.

Das ist eine andere Dimension

Das Stadion ist vielfach ausverkauft, die von Nina Hagen gesungene Hymne ‹Eisern Union› wird an jedem Spiel gespielt. Die Fans haben beim Stadionbau mitgeholfen, im Internet gibt es ein tolles Video davon. Sieben Tage pro Woche Berichterstattung über Union Berlin in über fünf Tageszeitungen, immer irgendeine Geschichte. Das ist eine andere Dimension als in der Schweiz.»

Die von der Ikone Nina Hagen gesungene Vereinshymne ‹Eisern Union›:

Fischer über das Angeln in Berlin:

Abschalten: Berlin bietet Anglern unzählige Gewässer.

Abschalten: Berlin bietet Anglern unzählige Gewässer.

Mario Heller

«Druck herrscht ja überall. Noch brauche ich keine Schmerztabletten, somit ist alles in Ordnung. Wenn ich mal frei habe, brauche ich vor allem Ruhe. Oft gehe ich wie schon in Basel mit Markus Hoffmann fischen. Das Berliner Umland und Brandenburg eignen sich perfekt dafür, wir lernen es gerade etwas kennen.

Niederlage, System – der ganze Fussball ist weg

Es ist riesig, insgesamt gibt es über 80 000 gemeldete Angler. Beim Fischen vergesse ich alles, Niederlage, System – der ganze Fussball ist weg. Ich bin dann in einer eigenen Welt. Mit der Familie gelingt mir das auch, aber nicht immer so gut wie beim Angeln. Und jetzt kommt der Sommer, es ist hier in Berlin länger hell als in der Schweiz, da kann man locker bis neun Uhr fischen. Auf dem Weg nach Hause dreht sich dann das Rad wieder.»

Fischer über sein Geheimnis als Trainer:

«Für mich gibt es kein Erfolgsrezept. Bisher hatte ich wohl auch stets etwas Glück. Natürlich hilft es mir, dass ich zwanzig Jahre lang aktiv als Fussballprofi spielte, danach U-Mannschaften trainierte, dann Zürich, Thun und Basel – aber auch Entlassungen durchlebte.

Bisher hatte ich wohl auch stets etwas Glück

Mit all diesen Erfahrungen habe ich mir einen Rucksack gepackt, auf den ich jetzt zurückgreife. In unserem Team gibt es 27 Spieler, dazu der Staff. Das sind viele Leute, mit denen du gut umgehen musst, um die Lust aufrechtzuerhalten. Was ich von anderen verlange, muss ich auch selber bereit sein, zu machen. Das ist mein Massstab, und der unterscheidet sich nicht von dem in der Schweiz.»