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Der 46-jährige Michel Zeiter ist seit dieser Saison Headcoach der Heilbronner Falken, die in der zweithöchsten Liga Deutschlands spielen. Er ist damit der erste Schweizer Trainer, der diesen Schritt im deutschen Klubhockey wagt. Beeindruckt hat ihn insbesondere der grosse Stellenwert, den der Sport im Nachbarland geniesst.
Dass in Deutschland die Dimensionen grösser, extremer seien und mit härteren Bandagen gekämpft werde, hört man von Schweizer Sportlern und Trainern immer wieder. Einer, der dies täglich erfährt, ist Michel Zeiter, früherer Publikumsliebling der ZSC Lions. Der 46-Jährige ist seit dieser Saison Headcoach der Heilbronner Falken in der zweithöchsten Liga Deutschlands und damit der erste Schweizer Trainer überhaupt im dortigen Klubeishockey.
Seit August weilt der Ostschweizer in Heilbronn, der mit über 126'000 Einwohnern siebtgrössten Stadt des Bundeslands Baden-Württemberg. In einem Vorort hat er eine Wohnung bezogen, seine Frau und die 19-jährigen Zwillingstöchter leben und arbeiten im Grossraum Zürich. Da die Autofahrzeit in die Heimat knapp drei Stunden beträgt, besucht er seine Familie, wenn immer möglich.
Der gebürtige Wiler hat sich in kurzer Zeit bestens in der Grossstadt am Neckar eingelebt. Er betont aber auch: «Die ersten drei Monate waren anstrengend und lehrreich. Klar, Fussball ist die Sportart Nummer eins in Deutschland. Doch ist auch der Stellenwert des Eishockeys sehr hoch, was sich nebst der schon fast fanatischen Fankultur insbesondere im grossen Medieninteresse zeigt.»
Zeiter erhält jeden Tag Interviewanfragen, was in seiner Zeit als Trainer in der zweithöchsten Schweizer Liga nicht der Fall war. Hinzu kommen professionell geführte Pressekonferenzen vor und nach dem Spiel. Auch die Erwartungshaltung sei sehr hoch: «Niederlagen werden praktisch nicht akzeptiert, die danach einschlagende Wucht ist jeweils stark. Gleiches gilt aber auch nach Siegen: Sie fühlen sich viel kräftiger an, als ich mir das bisher gewohnt war.» Diese andere Mentalität widerspiegelt sich für Zeiter in der Berichterstattung:
Verlorene Spiele werden mit viel Schärfe faktisch analysiert, aber wie nach Siegen stets sachlich.
Zeiter weiss, dass diese «Schärfe» mit der hochdeutschen Sprache zusammenhängt, die sich für ihn wie für manch andere Schweizer wie eine Fremdsprache anfühlt.
Die Deutschen sind redegewandt und können sich mit ihrem grossen Wortschatz viel klarer ausdrücken als wir, sodass ihre Argumentation umso mehr überzeugt.
Zeiter fügt an: «Zum Glück ist die Kommunikation bereits eine Stärke von mir.» Er habe schon viel profitiert und könne sich stets weiterentwickeln. In der Garderobe wird nicht deutsch, sondern englisch gesprochen – bei den vielen Deutsch-Kanadiern im Team überrascht das nicht.
Zeiters Engagement in Heilbronn wurde von Anfang an vom Coronavirus begleitet. Nach dem ersten Interesse der Deutschen folgten zahlreiche Videocalls – ein persönliches Treffen in Deutschland war aufgrund der Pandemie nicht möglich. Dass er sich unter diesen Umständen als Schweizer gegen 30 Konkurrenten durchgesetzt hat, ist bemerkenswert.
Zeiter erinnert sich: «Die Klubleitung hatte grossen Respekt vor meiner Spieler- und bisherigen Trainerkarriere – insbesondere meine Erfahrung sowie mein Engagement als Assistenztrainer der Schweiz am Deutschland-Cup 2018 hat offenbar eine entscheidende Rolle gespielt.»
Die Meisterschaft hätte eigentlich im Oktober beginnen sollen. Wegen der Pandemie wurde der Start in den November verschoben. So erlebte Zeiter mit seinem Team eine extrem lange Saisonvorbereitung von elf Wochen auf dem Eis. Vor knapp zwei Wochen, am 6. November, war es endlich so weit – vorerst leider aus bekannten Gründen ohne Zuschauer. Nach zwei Startniederlagen klappte es im dritten Spiel mit dem ersten Sieg gegen Meisterschaftsfavorit Frankfurt – und das, obschon sieben Spieler fehlten, darunter Stammkräfte.
«Das war eine starke Teamleistung», sagt Zeiter: «Wir müssen aber so schnell wie möglich auf mehr Spieler zählen können. Bisher konnten wir mit nur drei Linien auflaufen – mittelfristig kann das sehr gefährlich sein.» Das Niveau stuft er höher als jenes in der zweithöchsten Schweizer Liga ein: «Mit vier statt zwei Ausländern und vielen Deutsch-Kanadiern haben die deutschen Teams mehr Qualität.»
Heilbronns viertes und fünftes Ligaspiel musste wegen Coronafällen bei gegnerischen Teams verschoben werden. «Ich habe die Mannschaft zwar sensibilisiert, dass dieser Tag irgendwann kommt. Doch dass es so schnell eintraf, war heftig – wir waren schockiert.» Zeiter und die Heilbronner Falken hoffen, dass möglichst bald wieder vor Zuschauern gespielt werden kann.
«Der Klub ist finanziell gut aufgestellt, doch wie Schweizer Vereine können auch wir ohne Publikum nicht lange überleben», sagt Zeiter. «Wir kämpfen nicht nur gegen 13 Teams auf dem Eis, sondern auch gegen Corona.» Und weil sich an dieser Lage so schnell nicht viel ändern dürfte, will er nicht zu weit in die Zukunft blicken: «Wir nehmen Woche für Woche.»
Am vergangenen Sonntag, 15. November, hat sich Michel Zeiters Unfall zum 19. Mal gejährt. Im Herbst 2001 wurde er von der Kufe eines Gegenspielers am Hals getroffen. Dabei verlor er fünf Liter Blut und verletzte sich mit einem dreifachen Kehlkopfbruch so schwer, dass Ärzte in einer Notfall-Operation sein Leben retten mussten. «Der 15. November bleibt jedes Jahr ein sehr spezieller Tag für mich», sagt Zeiter: «Mir geht dann alles wieder durch den Kopf von damals – die Dankbarkeit, dass ich mit viel Glück überlebt habe, aber auch die Nachdenklichkeit, was hätte sein können.»