Jolanda Neffs Milz ist seit einem Horrorsturz nicht mehr richtig funktionstüchtig. Nun spricht die Mountainbikerin erstmals öffentlich über ihre Verletzung.
Wir treffen Jolanda Neff anlässlich der Radquer-Weltmeisterschaft in Dübendorf. Dort hätte die Ostschweizerin eigentlich das Aushängeschild sein sollen. Dann stürzte sie am 22. Dezember schwer; dabei brach sie sich zwei Rippen und erlitt einen Milzriss. Nun ist sie schon einfach glücklich, wieder auf das Velo sitzen zu können.
Sie sitzen seit kurzem wieder auf dem Velo. Wie gut fühlt es sich an?
Der erste Moment war unglaublich. Ich geniesse es nun umso mehr, wieder aufs Velo sitzen zu dürfen. Doch ich muss noch sehr vorsichtig sein. Die Milz ist ein wichtiges inneres Organ. Derzeit darf ich schon ein bisschen auf dem Rad sitzen, jedoch noch ohne Schläge oder Sprünge. Ich fahre deshalb derzeit oft auf dem Rheindamm, wo es keinen Verkehr hat und es keine Steigungen hat. An Fahren im Gelände ist derzeit noch nicht zu denken. Zudem darf ich sicher nicht stürzen und ich schaue, dass mein Puls nie über 130 geht.
Ein Milzriss ist keine Verletzung, wie man sie bei Sportlern sonst kennt. Macht Ihnen die Verletzung Angst?
Dieser Milzriss ist eine Verletzung in einer Dimension, wie ich sie bisher sicher noch nicht erlebt habe. Es ist auch eine Dimension, an die man eigentlich gar nicht denkt. Ich bin mir davor nur bewusst gewesen, dass man Schürfungen oder wenn es ganz schlimm läuft, Knochenbrüche erleiden kann. Als ich nach einem Sturz einen Schlüsselbeinbruch erlitten habe, dachte ich mir: «So, das ist etwa das Schlimmste, was passieren kann.» Heute denke ich ganz anders darüber. Im Vergleich zu diesem Milzriss ist der Schlüsselbeinbruch nichts.
Welche Erinnerungen haben Sie an Ihren Sturz?
Ich war in North Carolina unterwegs und habe trainiert. Eigentlich war ich auf einer einfachen Strecke unterwegs, ohne Wurzeln oder grosse Sprünge. Die Strecke kannte ich aber noch nicht. Von einer Rechtskurve ging es in eine Linkskurve. Und irgendwie habe ich diese Linkskurve falsch eingeschätzt und zu früh eingebogen. Dadurch bin ich abgehoben und ehe ich mich versah, war es bereits passiert. Zum Glück haben mich aber zwei Wanderer gefunden, die etwa zwei Minuten nach meinem Sturz vorbeigekommen sind.
Waren Sie sich sogleich bewusst, dass innere Organe beschädigt wurden?
Nein, ein Ast hat sich von meinem Mund in Richtung Nase gebohrt und deswegen hat es enorm geblutet. Auch die Ärzte haben zuerst abgeklärt, ob die Nase gebrochen ist. Dann hat sich aber schnell herausgestellt, dass ich Probleme mit der Milz habe. Ich hatte das Glück, dass alle schnell reagierten und ich notoperiert werden konnte. Das war wichtig.
Sie haben also enormes Glück gehabt.
Ja, das bestimmt. Ich hatte einen grossen Schutzengel dabei. Denn es hätte viel schlimmer kommen können.
Macht man sich nach so einem Unfall auch grundsätzliche Gedanken?
Natürlich hat man in so einer Situation viel Zeit, um sich Gedanken zu machen. Drei Wochen konnte ich einfach mal nichts machen. Das habe ich so noch nie gehabt. Doch schlecht ging es mir nicht, ich war auch nicht traurig. Stattdessen war ich einfach enorm dankbar, dass es mir so gut ergangen ist und ich nichts Schlimmeres hatte. Zudem hatte der Unfall auch etwas Schönes: Ich habe unglaublich viele Nachrichten erhalten. Das hat mich enorm aufgemuntert und mir grossen Mut gegeben.
Wurde Ihnen durch den schweren Sturz stärker bewusst, dass Sie eine gefährliche Sportart betreiben?
Nein, so habe ich nicht gedacht. Denn es kann immer etwas passieren, das war mir auch vorher bewusst. Für mich gibt das Velofahren so viel, dass ich damit nicht aufhören wollte. Ich fahre bereits seit rund 20 Jahren Rad, in den letzten zehn Jahren täglich, und das war der erste schwere Unfall, den ich hatte.
Welchen Einfluss hat der Milzriss auf die Leistungsfähigkeit?
Grundsätzlich ist durch einen Milzriss das Immunsystem geschwächt. Das heisst, dass ich dadurch zum Beispiel häufiger krank sein könnte. Aber ich bin überzeugt, dass noch sehr grosse Leistungen möglich sind. Ich habe gerade das Buch von Geraint Thomas gelesen. Er gewann die Tour de France ohne Milz. Und auch der britische Bahn- und Strassenfahrer Ben Swift hatte seine erfolgreichste Saison nach einem Milzriss. Von daher traue ich mir noch viel zu.
Wie sehr stört es Sie, dass Sie an diesem Wochenende an der Radquer-Heim-WM nicht am Start stehen können?
Gar nicht. Derzeit geht es für mich wirklich nur darum, wieder gesund zu werden. Der Heilungsverlauf ist wichtiger als alles andere.
Verschwenden Sie also derzeit auch keine Gedanken an die Olympischen Spiele?
Nein, diese Gedanken mache ich mir momentan wirklich nicht. Natürlich sind die Olympischen Spiele immer noch immer ein grosses Ziel von mir. Und ich habe schon einige Male bewiesen, dass ich mich schnell in Form bringen kann. Aber es ist derzeit enorm schwierig abzuschätzen, wie der Heilungsverlauf aussehen wird und ob ich bis dann wieder auf dem Leistungsmaximum bin. Klar ist, dass ich die nächsten drei Monate keine Rennen bestreite und ich langsam wieder herankommen möchte. Wichtig ist, dass ich vorsichtig bleibe.
Der Weltcup-Auftakt der Mountainbikerinnen ist am 22. Mai im tschechischen Nove Mesto. Sehen wir dann Jolanda Neff wieder am Start?
Mein Ziel ist es, ja. Wahrscheinlich kommt Nove Mesto leistungsmässig noch ein bisschen früh und ich werde wohl kaum um den Sieg mitfahren können. Aber derzeit scheint es durchaus realistisch, dass ich dann wieder starten kann.