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Nachdem die Meldung, Jogi Löw werde nach der EM nicht mehr Coach der deutschen «Mannschaft» sein, wie eine Bombe eingeschlagen hatte, fragt sich unser nördliches Nachbarland: Wer wird Nachfolger? Kandidaten wie Jürgen Klopp und Julian Nagelsmann haben bereits abgesagt. Was steckt dahinter?
Die Entscheidung des Deutschen Fussball-Bundes (DFB) Ende November 2020, Jogi Löw im Amt zu belassen, ist nur ein Vorbeben gewesen. Dies wird nach der am Dienstag verbreiteten Sensationsmeldung, der Bundestrainer werde nach der Europameisterschaft sein Amt abgeben, so richtig deutlich.
Denn seit diesem Hauptbeben ist in Deutschland die Fussballwelt in Aufruhr, ein ganzes Land wurde mit Löws Entscheidung aus dem Nichts auf dem falschen Fuss erwischt. Noch vor zwei Wochen hatte der 61-Jährige in langen Interviews keineswegs durchblicken lassen, dass für ihn in fünf Monaten Schluss sein könnte. Kämpferisch war er und spürbar wurde, wie intensiv er sich mit den nächsten Wochen und den drei WM-Ausscheidungsspielen gegen Island, Rumänien und Nordmazedonien auseinandergesetzt hatte. Und nun das! Diese Ankündigung!
Natürlich begann sich fast gleichzeitig mit ihr das Karussell mit den möglichen Nachfolgern zu drehen. Würde in unserem nördlichen Nachbarland darüber abgestimmt, bekäme Jürgen Klopp vermutlich gegen 100 Prozent der Stimmen. Seit seinen Erfolgen mit Borussia Dortmund ist sein Ruf exzellent, und nach dem Gewinn der Champions League und der Eroberung des nach 30-jähriger Durststrecke so ersehnten Meistertitels mit dem FC Liverpool liegen ihm die Fussballfans zu Füssen. Und nun würde der Weg für «Kloppo» also frei sein. Zumal er derzeit bei den Reds seine grösste Krise in seiner Trainerlaufbahn durchmacht und vielleicht noch so gerne die gemähte Wiese beim DFB betreten würde. Dachte man.
Doch so schnell wie diese Hoffnungen erschienen waren, so rasch wurden sie vom Messias selber ausgelöscht. «Ich habe einen Vertrag, und selbst wenn Liverpool mich hier rausschmeisst, werde ich erst einmal ein Jahr Pause machen», sagte Klopp vor dem Champions-League-Spiel gegen RB Leipzig am Mittwochabend. «So funktioniert das nicht und dementsprechend: nein.»
Nun fragen sich alle, ob denn wenigstens Hansi Flick, einst jahrelanger Assistent von Löw, zur Verfügung stünde. Dieser hat sich seit der Übernahme des FC Bayern München im Herbst 2019 und dem Gewinn der Champions League 2020 innert kürzester Zeit einen klasse Ruf erworben. Von ihm ist bis jetzt noch keine Absage gekommen, aber auch er wird so eingeschätzt, dass er bei den Münchnern seinen bis 2023 laufenden Vertrag erfüllen will. Und dieser ist mit 8 Millionen Euro pro Jahr gut dotiert, als Bundestrainer würde er (Stand Löw) 3,5 Millionen Euro kassieren. Vielleicht aber sieht Flick schon auch: Mit den Bayern kann ich nicht noch mehr erreichen, als ich schon erreicht habe.
Möglicherweise wird die Findung des Löw-Nachfolgers nicht einfach. Auch der 33-jährige Julian Nagelsmann von RB Leipzig hat bereits zu verstehen gegeben, dass er noch ein paar Jahre lang Vereinstrainer bleiben will.
Wer dann? Lothar Matthäus, der Rekordnationalspieler? Ralf Rangnick, der Dauerbrenner, wenn es um einen freien Trainerjob geht? Thomas Tuchel, der gerade bei Chelsea angefangen hat und sehr erfolgreich ist? Oder vielleicht sogar Stefan Kuntz, der aktuelle U21-Nationaltrainer?
Klar ist, so lange der Neue nicht bestimmt ist, werden die Spekulationen nicht abreissen und ein treuer Begleiter des Nationalteams sein. Dies dürfte indes – es sei denn, die kommenden WM-Ausscheidungsspiele gingen voll daneben - nicht zum Problem für Löw werden. Die Mannschaft steht hinter ihm; allen voran Leistungsträger wie Manuel Neuer, Joshua Kimmich und Toni Kroos. Die Gefahr, dass Löw zu einer «lame duck» werden könnte, so wie viele bei Mönchengladbach den am Saisonende scheidenden Trainer Marco Rose sehen, ist weit weniger gross. National- und Klubtrainer unterscheiden sich sehr, die Abnützung und der Resultat-Erwartungsdruck sind in einer solchen Konstellation anders.
Erstaunlich ist, und das wird dem DFB zu denken geben, dass es keinen Run von Bewerbern auf das Amt des Bundestrainers gibt. Zumindest nicht von grossen Kalibern. Das hat neben finanziellen Aspekten wohl auch mit dem zusehends schlechter gewordenen Ruf zu tun, den sich die «Mannschaft» seit dem Weltmeistertitel 2014 in Brasilien zugelegt hat. Viele Deutsche haben sich vom Nationalteam abgewendet, die früher immer ausverkauften Spiele zeigen grosse Lücken auf den Tribünen. Das Nationalteam wirkt abgehoben und alles andere als volksnah. Und schliesslich dürfte auch der erbitterte und in aller Öffentlichkeit ausgetragene Machtkampf beim DFB zwischen Präsident Fritz Keller und Generalsekretär Friedrich Curtius bei möglichen Kandidaten nicht gerade Appetit auf eine Anstellung machen.
Zurück zu Löw. Mit 189 Länderspielen ist er der Bundestrainer mit den meisten Partien, den besten Punkteschnitt hat indes Berti Vogts. Dennoch wird der Weltmeistertrainer von 2014 als einer der erfolgreichsten Coaches in die Geschichte eingehen. Von 2008 bis 2016 hat er es bei grossen Turnieren immer mindestens bis in den Halbfinal geschafft. Seine Mannschaft hat ganz oft auch einen schnellen und gepflegten Fussball gespielt; so ganz anderes als die Rumpelfüssler früherer Jahre.
Mit der völlig missglückten WM in Russland hat das Sinken von Löws Standing eingesetzt. Die knallharte Ausmusterung von Thomas Müller, Jérôme Boateng und Mats Hummels hat ihm viele Sympathien gekostet. Nach dem 0:6 in Spanien ergab eine Umfrage unter über 170 000 Teilnehmern, dass 93,78 Prozent die Entlassung Löws wünschten. Nach aussen hat sich Löw nichts anmerken lassen, blieb er der selbstbewusste Jogi, der schon weiss, wie der Hase läuft. Innerlich aber hatte ihn die Entwicklung mehr beschäftigt und verletzt, als man erahnen konnte. So gesehen kommt sein Entscheid nicht zu 100 Prozent überraschend. Nach 15 Jahren als Cheftrainer – was für eine Leistung, sich auf dieser Position so lange zu halten – scheint Löw die richtigen Konsequenzen aus der Entwicklung gezogen zu haben.
Als Schweizer dürfen wir schon auch ein bisschen stolz auf seine imposante Laufbahn sein, hat er diese doch als Fussballer in der Schweiz bei Schaffhausen, Winterthur und Frauenfeld beendet und als Trainerassistent von Rolf Fringer beim VfB Stuttgart die ersten Schritte in eine, ja man kann es wohl schon so sagen, Weltkarriere als Trainer gemacht.
Es wäre schön, könnte der Schwarzwälder bei der EM einen würdigen Schlusspunkt hinter seine Ära als Bundestrainer setzen. Und in aller Ruhe entscheiden, ob er weiter im Fussball arbeiten oder sich in den verdienten Ruhestand verabschieden will.