FUSSBALL
Nach der Entlassung in Dortmund ist klar: Lucien Favre ist ein Top-Trainer, aber nicht für ein Top-Team

Der 63-jährige Schweizer weist zusammen mit Thomas Tuchel beim BVB den besten Punkteschnitt auf. Doch das 1:5 gegen Aufsteiger Stuttgart wurde ihm nun zum Verhängnis. Dortmund setzt bis Saisonende auf den bisherigen Assistenztrainer Edin Terzic.

François Schmid-Bechtel
Drucken
Lucien Favre: Nach knapp zweieinhalb Jahren in Dortmund entlassen.

Lucien Favre: Nach knapp zweieinhalb Jahren in Dortmund entlassen.

Martin Meissner / AP

Er hätte sich über mangelhafte Einstellung und fehlende Mentalität auslassen können. Er hätte das Versagen der hochbezahlten Führungsspieler wie Mats Hummels, Marco Reus oder Axel Witsel thematisieren können. Aber nein. Lucien Favre bleibt sich auch nach dem 1:5 gegen Stuttgart treu.

Sicher, er konnte nicht kaschieren, wie sehr ihn die erbärmliche Vorstellung seiner Spieler schmerzte. Vielleicht rechnete er nach der debakulösen Partie bereits damit, dass in der Dortmunder Teppichetage nun über seine Person diskutiert würde. Aber er liess sich nicht gehen. Er teilte nicht aus, er leitete nicht den Gegenangriff ein. Er sprach von einem kollektiven Versagen. Mit «Katastrophe» fasste er die Darbietung gegen den Aufsteiger zusammen. Und vermied es dabei, einzelne Spieler an den Pranger zu stellen.

Er redete auch nicht auf seine Mühle. Dabei hätte er Argumente. 2,09 Punkte im Schnitt holte er in knapp zweieinhalb Jahren in Dortmund. Das sind so viele wie unter Thomas Tuchel. Aber einige mehr als mit Jürgen Klopp an der Seitenlinie, der dank den Meistertiteln 2011 und 2012 in Dortmund auch heute noch so etwas wie Heiligenstatus geniesst.

Erling Haaland: Einer von vielen hochbegabten Fussballern, der unter Favre gross rausgekommen ist.

Erling Haaland: Einer von vielen hochbegabten Fussballern, der unter Favre gross rausgekommen ist.

Lars Baron / Pool / EPA

Den Meistertitel vor Augen, vergeigt es Favre mit Dortmund

Favre wichtigstes Argument indes ist seine Fachkompetenz. Die ist selbst in Dortmund unbestritten. Schliesslich sehen sie ja, wie er die vielen jungen Spieler besser macht. Jüngstes Beispiel: Erling Haaland. Aber sie fürchten eben auch, dass sie mit Favre die Saisonziele nicht mehr erreichen können. Und ziehen deshalb die Reissleine.

Um den Meistertitel wollten sie in Dortmund spielen. Den grossen FCB aus München herausfordern, vielleicht sogar schlagen, jedenfalls bereit sein, sollte dieser schwächeln. Und das tut der FC Bayern. Am Samstag nur 1:1 bei Union Berlin. Und auch im Bundesliga-Spiel zuvor gegen Leipzig musste sich der Serienmeister mit einem Remis begnügen. Die Chance, den Bayern auf die Pelle zu rücken, war da. Doch Favres Dortmund patzte. Erst zu Hause gegen Köln (1:2). Am Samstag die 1:5-Demütigung gegen Stuttgart.

Die Entlassung Favres kommt nicht überraschend. Gegenwind spürte er immer wieder, ebenso wie fehlende ­Rückendeckung seiner Vorgesetzten Watzke und Zorc. Dabei startete er famos. Nach der Hinrunde in der Saison 18/19 hatte Dortmund sechs Punkte Vorsprung auf den FC Bayern. Doch Dortmund vergeigte die gute Ausgangslage. Am Ende waren es zwei Punkte Rückstand. Und die Münchner feierten sich wieder einmal auf dem Marienplatz.

Man verzieh Favre Platz 2. Im Wissen auch, dass der Schweizer mit seiner akribischen Art kein typischer Schnellstarter ist. Richtig arg wurde es aber in der darauffolgenden Saison. Nach dem Trainerwechsel in München – Hansi Flick für den desperaten Niko Kovac – spielte der FC Bayern ausser Konkurrenz. Und Dortmund? Stillstand wäre zu positiv ausgedrückt.

Trotzdem: Favre ist ein Top-Trainer. Aber wahrscheinlich nicht der richtige Mann für ein Top-Team. Er ist ein formidabler Ausbildner. Auch ein Fussballästhet und ein Perfektionist. Einer, der mit seinen Spielern stundenlang an Details feilt. Jüngeren Spielern ist damit in ihrer Entwicklung geholfen. Ältere, fertige Spieler, nerven sich bisweilen, weil sie das Gefühl haben, ständig wieder bei Null beginnen zu müssen.

Dortmunds Starspieler Mats Hummels vermisste «sinnvollen Fussball».

Dortmunds Starspieler Mats Hummels vermisste «sinnvollen Fussball».

Friedemann Vogel / Pool / EPA

Favres grosses Handicap ist seine Aussendarstellung. Während er sich auch nach dem 1:5 gegen Stuttgart gentlemanlike gab, redeten die sogenannten Führungsspieler Tacheles. Hummels: «Wir versuchen immer kleinklein durch enge Räume durchzuspielen. Wenn es klappt, seiht es gut aus, nach schönem Fussball. Aber es klappt in den seltensten Fällen. Wir haben zu viel Geschnicke im Spiel. Ich vermisse sinnvollen Fussball.» Das ist starker Tobak und lässt auf einen Bruch zwischen Trainer und den Spielerhäuptlingen schliessen.

Mal sympathischer Charmeur, mal Zauderer und Zweifler

Favres Deutsch ist auch nach fast zehn Jahren in der Bundesliga nicht wirklich gut. Nach Siegen ist er mit seinem französischen Akzent in der Wahrnehmung der Deutschen der unaufdringliche und sympathische Charmeur. Nach Niederlagen ist er der Zweifler und Zauderer, der die Dinge nicht beim Namen nennt.

Eine Rampensau war Favre nie und wird er mit 63 auch nicht mehr. Aber das weiss man. Nur spielte das in Mönchengladbach, wo er einen in Trümmern liegenden Traditionsklub in die Champions League führte, keine Rolle. Einerseits, weil die Resultate stimmten. Andererseits, weil Gladbach kein Premiumklub mit internationaler Strahlkraft ist. Respektive, es zu Favres Zeiten nicht war.

Dortmund indes ist, obwohl im unprätentiösen Ruhrpott zu Hause, ein schillerndes Fussballunternehmen. Unterhaltung ist hier nicht nur Beilage. Und da passt Favre irgendwie nicht rein. Er ist kein Jürgen Klopp, der scheinbar zu jedem Thema einen Monolog halten kann, der erst noch geistreich und witzig ist. Nein, Favre hat keine Entertainer-Qualitäten. Und die oberflächliche Glitzerwelt ist nicht sein bevorzugtes Terrain. Favre will nicht sich, sondern seinen Fussball verkaufen. Damit das in Dortmund genug ist, muss der Fussball atemberaubend sein. Doch das war er unter Favre nur temporär.