Startseite
Sport
Für Stephan Lichtsteiner hätte die EM 2020 ein glorreicher Abschluss sein sollen. Wegen der Coronakrise ist sogar ein unplanmässiger Rücktritt möglich.
Das Jahr 2020 hätte das letzte grosse sein sollen in der eindrücklichen Karriere von Stephan Lichtsteiner. Die Europameisterschaft, verteilt in ganz Europa hätte ein goldener Abschluss sein sollen für den langjährigen Captain des Nationalteams. «Ein Ziel von mir ist es, an der EM 2020 zu spielen», sagte er stets. Es wäre sein sechstes grosses Turnier, nachdem er am 15. November 2006 unter Köbi Kuhn im Nationalteam debütiert hatte. 108 Länderspiele hat er seither bestritten, nur zehn Partien weniger als Rekordhalter Heinz Hermann.
Doch weil die Europameisterschaft wegen des Coronavirus ins Jahr 2021 verschoben wurde, stellt sich die Frage, wie es mit Lichtsteiner weitergeht. An der EM 2021 wäre Lichtsteiner 37 Jahre alt. Ein Greisenalter für einen Fussballer.
Im schlimmsten Fall könnte Lichtsteiners letztes Spiel schon Vergangenheit sein. Offiziell pausiert die Bundesliga zwar nur bis zum 2.April, diese Pause wird aber verlängert. Möglich ist gar ein Abbruch. Das hätte für Lichtsteiner weitreichende Folgen. Im Sommer läuft sein Vertrag in Augsburg aus. Nachdem Anfang März sein Fürsprecher, der Walliser Trainer Martin Schmitt, entlassen wurde, stehen die Zeichen auf Abschied. Und dann? Hört der Rechtsverteidiger aus Adligenswil dann auf?
Lichtsteiner bevorzugt lieber erst zu sprechen, wenn Interviews von Angesicht zu Angesicht wieder möglich sind. Stattdessen stieg er mit dem FC Augsburg am Montag wieder ins Mannschaftstraining ein. In kleinen Grüppchen trainieren die Spieler derzeit. Eine Methode, die neben Augsburg auch Wolfsburg anwendet, aber zu grosser Kritik führt. Ob Lichtsteiner derzeit für eine Rückkehr in die grossen Stadien trainiert, steht noch in den Sternen.
Es droht der leise Abgang des lauten Kämpfers. In all den Jahren hat er sich nie beirren lassen und schon gar nicht an sich gezweifelt. Gut möglich, dass er sich auch dieser schwierigen Situation stellen wird. Lichtsteiner lamentiert nicht, wenn nicht mehr auf ihn gesetzt wird, stattdessen greift er an. Das war so bei Juventus, als ihm Dani Alves vor die Nase gesetzt wurde. Das war so, als er bei Arsenal auf der Tribüne sitzen musste. Und das war so, als Vladimir Petkovic nach der WM 2018 in Russland auf Jüngere setzte. Lichtsteiner sagte, Petkovic könne jederzeit auf ihn zurückgreifen. In den entscheidenden Spielen der EM-Qualifikation war Lichtsteiner wieder dabei. Als Captain.
Lichtsteiner ist ein Gegenbeispiel zu seinem Jugendfreund Diego Benaglio. Auch die Profikarriere des Torhüters neigt sich in Monaco dem Ende entgegen, aus dem Nationalteam trat er aber schon 2014 mit 30 Jahren zurück. Auf die Frage, warum Lichtsteiner nicht auch auf dem Höhepunkt zurückgetreten sei, sagte er einst:
Wenn man eine lange, sehr erfolgreiche Karriere hat, wann ist der Höhepunkt erreicht? Nach dem ersten Scudetto mit Juventus? Nach dem zweiten? Nach dem siebten? Nach dem ersten Champions-League-Final, nach dem zweiten? Nach dem 50. Länderspiel, nach dem 80.? Ich will die Grenzen immer weiter austesten, bis zu dem Moment, an dem ich merke: Jetzt reicht's nicht mehr.
Reicht es also noch für eine weitere Saison? Bei welchem Verein? Und was bedeutet das für das Nationalteam? Am realistischsten scheint eine Rückkehr in die Super League. Einen solchen Transfer schloss Lichtsteiner lange aus, im vergangenen Sommer spielte er mit dem Gedanken, entschied sich aber für Augsburg. Nun steht die Entscheidung für Lichtsteiner erneut an. Vielleicht ist es die letzte in seiner Profikarriere.