Gérard Saillant
Vollgas: Schumis Leibarzt schafft auch mit 68 locker 14-Stunden-Tage

Der bekannte Arzt und der Formel-1-Pilot sind Freunde. Aber auch mit anderen Top-Sportlern pflegt der 68-Jährige enge Beziehungen. Brasiliens Ronaldo widmete ihm gar zwei WM-Tore.

Stefan Brändle
Drucken
Gérard Saillant bei der Pressekonferenz im Uni-Spital Grenoble. key

Gérard Saillant bei der Pressekonferenz im Uni-Spital Grenoble. key

Er ist 68 und offiziell in Rente. Aber im Universitätsspital von Grenoble kam er wie ein junger Rockstar an: mit resolutem Schritt und inmitten einer starken Polizeieskorte. Gérard Saillant war fast selbstverständlich gerufen worden, als Michael Schumacher seinen schweren Skiunfall in den französischen Alpen erlitt. Und selbstverständlich kam er ans Krankenbett des illustren Patienten.

Schädel-Hirn-Trauma

Bei einem Schädel-Hirn-Trauma (SHT), wie Michael Schumacher es bei seinem Skiunfall erlitten hat, sind Hirngewebe und Schädel verletzt. Die Ärzte teilen SHT in drei Schweregrade ein: leicht (Gehirnerschütterung), mittelschwer und schwer. Bei einem schweren SHT müssen mittels Medikamenten und einer Operation die Schwellungen im Gehirn reduziert werden, um zu verhindern, dass die Sauerstoffversorgung unterbrochen wird. Auch Blutungen werden operativ behandelt. Wie erfolgreich der Eingriff ist, lässt sich unmittelbar nach der Operation nicht sagen. Bis zu 40 Prozent der Patienten mit einem schweren SHT sterben, andere bleiben dauerhaft schwer behindert. (nch)

Saillant hatte Schumacher nach seinem Unfall in Silverstone im Jahr 1999 operiert. Und die beiden sind gute Freunde geblieben. Als der französische Neurochirurg und Orthopäde vor vier Jahren in Paris ein Institut für Gehirn und Knochenmark eröffnete, zeigte sich der Deutsche erkenntlich: «Michael Schumacher hat uns mit seinem eigenen Geld unterstützt», bedankte sich Saillant bei der Eröffnung seines Lebenswerks.

Noch immer 14-Stunden-Tage

Der reputierte Arzt brauchte aus dem fernen Paris nur wenige Stunden, um in die alpine Metropole Grenoble zu gelangen, dem Austragungsort der Olympischen Winterspiele von 1968. Ganz nach Saillants Devise: «Schlaf wenig, organisier dich perfekt und komme nie zu spät.»

So schafft er noch heute mühelos einen 14-Stunden-Tag, wie er es 30 Jahre lang am berühmten Pariser Krankenhaus Pitié-Salpêtrière vorgemacht hatte.

Dort hatte Saillant unter anderem die Abteilung für Orthopädie und Traumatismus geleitet. Durch die Behandlung der Unfälle spezialisierte er sich mehr und mehr auf Sportmedizin. Das passte zum leidenschaftlichen Marathonläufer, der einmal von sich gesagt hatte, er habe dank der französischen Sportzeitung «L’Équipe» zu lesen begonnen.

Saillant wurde einem breiteren Publikum bekannt, als er Sportcracks wie Schumacher, den neuseeländischen Rugbyspieler Dan Carter oder den brasilianischen Fussballer Ronaldo operierte; Letzterer widmete ihm gar zwei WM-Tore.

Über den Sport stellte Saillant die – für viele Berufskollegen nicht selbstverständliche – Verbindung von Orthopädie und Neurologie her: Gerade die schwersten Unfälle und Verletzungen haben oft mit der Rückensäule, den Halswirbeln oder dem Kopf zu tun.

Als Krönung seiner langen Laufbahn eröffnete Saillant vor drei Jahren an der Pariser Salpêtrière sein eigenes «Institut für Gehirn und Knochenmark». Unter dem Kürzel ICM hat es sich in der Fachwelt einen ausgezeichneten Ruf erworben. 600 Forscher kümmern sich um Themen wie Parkinson, Alzheimer und multiple Sklerose, aber auch Tetra- und Paraplegie.

«Als Freund gekommen»

Dem ICM-Vorsteher ist der Erfolg nie zu Kopf gestiegen. Im Gegenteil: Er kommentiert die Fähigkeit seiner alten französischen Medizinerschule, eine Verletzung interdisziplinär und ganzheitlich anzugehen, mit der ihm eigenen Bescheidenheit: «Mehrere Dinge zugleich zu tun, ist nichts Besonderes. Nur die Monokultur ist etwas Schwieriges.»

Diese Einstellung hat letztlich auch Saillants Ruf begründet. Neben seinem ICM betätigt sich der Chirurg als Berater des französischen Sportministeriums, der nationalen Olympiateams oder des Internationalen Motorsportverbandes FIA.

Saillant hat Schumacher nicht selbst operiert, wie er gestern an der Medienkonferenz betonte. Er sei «als Freund gekommen». Die Berufung des Hirnspezialisten an Schumis Krankenbett zeigt dennoch die Schwere des Unfalls und erhöht die Sorgen der Angehörigen und Fans.