Formel 1
Beim Grand Prix von Monaco fährt der Tod auf jeder Runde mit

Monaco ist ein Sonderfall. Das Urgestein unter den Formel-1-Rennen. Der Klassiker führt durch enge Häuserschluchten: über Bodenwellen, Kanaldeckel und Fahrbahnmarkierungen.

Marco Oswald, Monte Carlo
Drucken

Bodenhaftung auf dem monegassischen Strassenpflaster: Fehlalarm. Die Jagd durchs Leitplanken-Labyrinth ist ein Höllenritt. Für Piloten und Boliden. Wer in der Qualifikation die 3340 Meter und 19 Kurven bei 55 Schaltmanövern und 130 Lenkbewegungen in 1 Minute und 13 Sekunden schafft, fürchtet weder Tod noch Teufel. Wer sich in den 69 GP-Schlachten in die Siegerliste eingetragen hat, bleibt als Lenkrad-Virtuose ein Held für die Ewigkeit.

Augen zu und durch

Doch eigentlich ist Monaco der totale Anachronismus. Der fünffache Sieger Michael Schumacher bringt es auf den Punkt: «Es grenzt wirklich an Ironie, dass wir überall für mehr Sicherheit auf den Rennstrecken kämpfen und dann hier im Fürstentum freiwillig fahren.» Getreu dem Motto: Augen zu und durch. Niemand gibt es zu, aber alle denken gleich: Beim Stepptanz auf den Pedalen fährt die Angst mit. Im Rennen 78 Runden lang, über 260 Kilometer. Bei 160 km/h Schnitt.

Auch bei den Zuschauern auf den vollbesetzten Tribünen schiesst das Adrenalin Runde für Runde in die Höhe: Ein Fehler, ein Unfall und die Katastrophe ist perfekt. Nämlich dann, wenn beispielsweise in der Tabakkurve ein Bolide über die Leitplanken katapultiert würde. Wie 1955 in Le Mans, als Pierre Levegh im Mercedes dem Austin von Lance Macklin ins Heck knallte und durch die Luft geschleudert wurde. Das Auto löste sich in tausend Einzelteile auf. Der Motorblock, die Haube und die Frontachse landeten in der Zuschauermenge.

Die Folge: 84 Tote. In Monaco gab es in der Hafenschikane immer wieder böse Unfälle. 2011 mit Sauber-Pilot Sergio Pérez. Oder 1994, als Karl Wendlinger am Hafen ins Koma raste. 1967 starb Lorenzo Bandini, weil nach seinem Abflug die Strohballen Feuer fingen und auf den Boliden übergriffen: Der Italiener verbrannte. 1955 segelte Alberto Ascari ins Meer hinaus. Froschmänner fischten ihn in letzter Sekunde aber noch aus dem Wasser.

Monaco hat eigene Gesetze. Da schauen alle weg. Auf dem Boulevard der Eitelkeiten spricht keiner vom Tod, obwohl jeder weiss, dass das Rennen eine tickende Zeitbombe ist und der Klassiker ein heisser Tanz auf der Rasierklinge bleibt. Auch morgen, bei der 70. Auflage des prestigeträchtigsten Rennens des Jahres. Regen ist angekündigt ist, das macht alles noch verrückter, noch spektakulärer und noch gefährlicher. Trotzdem: Die Formel 1 ist seit dem schwarzen Wochenende von Imola am 30. April und 1. Mai 1994 sicherer geworden. Seit Roland Ratzenberger und Ayrton Senna gab es keinen Formel-1-Toten mehr.

Eine halbe Milliarde Euro Umsatz

Dank verschärfter Crashtests, neuem Kohlefasermaterial, höheren Seitenwänden am Cockpit, dem Hals- und Nackenschutzsystem, besseren Auslaufzonen und ständig weiterentwickelten Barrieren wie den Tecpro-Kunststoffelementen, die vor Jahresfrist auch Pérez das Leben retteten. Doch jeder Unfall ist hier einer zu viel. Und im Fürstentum gibt es sie immer wieder. Am Ende könnte der Letzte einer zu viel gewesen sein.

Alle würden sich verwundert in den Augen reiben, im stillen Wissen, es immer geahnt zu haben. Nur: Das PS-Spektakel ist zu wichtig, wirtschaftlich, touristisch und finanziell. Jedes Jahr schreibt das Fürstentum am GP-Wochenende eine halbe Milliarde Euro Umsatz. Die Steueroase am Mittelmeer ist ohne Formel 1 undenkbar. Entsprechend verwundert Jacky Stewarts Aussage nicht. Er sagte, wohl stellvertretend für den GP-Zirkus: «Müsste man den gesamten Formel-1-Kalender auf ein Rennen reduzieren, es müsste Monte Carlo sein.»