Am Donnerstag, dem 29. Dezember 2016, ist mit Ferdy Kübler einer der letzten ganz grossen Schweizer Sportler im Alter von 97 Jahren gestorben. Der Zürcher war in den Fünfzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts einer der erfolgreichsten Radprofis und der älteste noch lebende Tour-de-France-Sieger. Sein Todesfall ist auch das Ende von einer ganzen Epoche.
Mit Ferdy Kübler hat uns der letzte wahre Held des Sports verlassen. Wir gehen in unserer aufgeregten Zeit ja etwas gar leichtfertig mit Superlativen um. Manch einer wird schon als Held gefeiert, wenn er in einem «Fussballmätschli» einen raumgreifenden Pass über 20 Meter zirkelt.
Die globale Medienmaschine produziert sportliche Helden im Stundentakt. Es sind seelenlose Helden der Bilder, stromlinienförmig modelliert oder von Vermarktungsstrategen künstlich gegen den Strich zu Rebellen gebürstet.
Ferdy Kübler ist in den Herzen und Köpfen und Seelen, in der Fantasie der Menschen und nicht in Imagekampagnen zu einem Titanen des Sports geworden – und über seine Aktivzeit geblieben.
Er hat eine ganze Generation inspiriert und als erster Schweizer Sportler überhaupt «ewigen Ruhm» erworben. So ist er zu einem Fixstern am Firmament des Schweizer Sportes geworden. Erst Roger Federer sollte ihn übertreffen.
Warum ist das so? Was machte die Faszination von Ferdy Kübler aus? Beinahe ist heute vergessen, dass die 1950er-Jahre, als Ferdy Kübler seine grössten Triumphe feierte, die Tour de France gewann (1950) und Weltmeister wurde (1951), die «Belle Époque» des Sports und vor allem des Radsports waren.
Von den grossen Dramen der Rundfahrten gab es noch keine TV-Bilder. Nur Radioreportagen und Literatur. Ja, Literatur. Viele grosse Zeitungen engagierten für die Tour de France die berühmtesten Dichter der Zeit. Um das Geschehen in jenen grossen Worten zu schildern, zu denen nur Poeten fähig sind.
Wir wissen heute, dass viele der epischen Dramen gar nie so wie beschrieben stattgefunden haben. Die Radfahrer wurden in der Fantasie ihrer Zeitgenossen zu schwitzenden Göttern der Landstrasse. Sie stiegen in Höhen auf, die Sportler im 21. Jahrhundert nicht mehr erreichen können.
Weil heute die TV-Bilder die Vorstellungskraft nicht mehr zu stimulieren vermögen und den Sport, in jedem Winkel ausgeleuchtet, sichtbar, erklärbar, gewöhnlich machen. Ihm einen Teil seiner Mystik, seines Erlebnis- und Inspirationswertes genommen haben.
Ferdy Kübler wäre auch solo zu einem Jahrhundert-Athleten geworden. Aber nicht zu einer Ikone unseres Sportes. Der Zufall bescherte ihm in der Blüte seiner Jahre mit Hugo Koblet einen Rivalen, der unterschiedlicher nicht hätte sein können. Nie vorher und nie mehr seither hat es in der Schweiz eine sportliche Rivalität gegeben wie die zwischen Ferdy Kübler und Hugo Koblet.
Die Massen bewunderten Küblers Leidensfähigkeit. «Le fou pédalant» nannten ihn die Franzosen. Koblet hingegen schien federleicht, wie auf Schwingen göttlicher Gunst von Triumph zu Triumph zu fahren, nein, zu fliegen. Vergöttert als «Pédaleur de charme». Der Tod hat ihn vor der Zeit am Steuer seines Porsches ereilt und zum «James Dean des Schweizer Sports» gemacht.
Ferdy Kübler personifizierte die klassischen helvetischen Eigenschaften, die in den Jahren eines bis dahin beispiellosen wirtschaftlichen Aufstiegs eine ganze Generation in unserem Land geprägt haben. Arbeit, Anstrengung, Ausdauer. Der ungebrochene Glaube an soziale Gerechtigkeit. An den Aufstieg durch eigene Anstrengung. An den Lohn für Anstrengungen schon im Diesseits – und nicht wie jahrhundertelang gepredigt erst im Jenseits.
Er stieg aus ärmlichen Verhältnissen so hoch wie noch kein Schweizer Sportler vor ihm, aber nicht zu hoch in einem Land, in dem die Bäume nicht zu hoch wachsen dürfen. In einer Zeit, als Starverehrung wie wir sie heute kennen, noch den Schwefelgeruch des Unseriösen hatte.
Ein «Roger Federer des Proletariats». Ferdy national. Nicht Roger global. Ein Musterschweizer. Und so hatte die Werbeindustrie keine Bedenken, ihn zum Reklameträger zu machen und in dieser Rolle ist er der nächsten Generation im Gedächtnis haften geblieben.
Der Abschied von Ferdy Kübler macht uns so schmerzlich bewusst, dass die «gute alte Zeit» des Sports nun unwiederbringlich dahin ist. Wir nehmen Abschied von einem grandiosen Sportler. Aber auch von einer ganzen Epoche.