Portrait
Mal Schlitzohr, mal Langweiler - Wer ist Ottmar Hitzfeld?

Ottmar Hitzfeld schickt seine Zuhörer in die Antarktis und zeigt sich selbst den Mittelfinger. Er kann messerscharf analysieren und intuitiv aus dem Gefühl heraus handeln. Ein Porträt des Schweizer Nationaltrainers.

Etienne Wuillemin
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Plötzlich wird Ottmar Hitzfeld zum Schlitzohr. Es ist der Tag nach dem letzten Spiel der WM-Qualifikation. Die Frage an Hitzfeld lautet: Wer wird Weltmeister? Blitzschnell antwortet er: «Deutschland, Brasilien oder Spanien.»

Man darf diese Antwort durchaus wortwörtlich nehmen. Und doch versteckt sich die Essenz seiner Antwort tiefer. Deutschland, Brasilien und Spanien - Hitzfeld hat mit der Schweiz alle drei besiegt. Auch wenn er das niemals so sagen würde: So schnell macht ihm das keiner nach. Hitzfeld hat für seine Nachfolger eine schwindelerregend hohe Messlatte gesetzt. Und darauf ist er stolz.

Der Kommunikator
Es ist ein Beispiel dafür, wie subtil Hitzfeld seine Botschaften platzieren kann. Und ja, der 64-Jährige versteht es durchaus, seine Zuhörer zu unterhalten. Doch dafür muss der Moment stimmen. Am letzten Montag stimmt der Moment. Die Schweiz hat ihr Ziel, die WM-Qualifikation, souverän erreicht.

Auf der Suche nach Indizien, die für oder gegen eine Verlängerung seines Vertrags sprechen, wird Hitzfeld gefragt, wie seine Beziehung zur Mannschaft sei. «Die ist gut», antwortet er, «aber ich muss jetzt der Mannschaft keinen Heiratsantrag machen.»

Kurz danach sagt er, darauf angesprochen, ob er denn wirklich «jünger» geworden sei an der Seite dieser jungen, quirligen Mannschaft: «Da muss ich meine Frau fragen.»

Der Langweiler

Häufig aber stimmt der Moment nicht. Dann ist Hitzfeld angespannt. Einsilbig in den Antworten. Dann wird er zum Langweiler. «Wir haben Fehler gemacht. Ich werde das intern ansprechen», sagt er dann. Oder, nach einem schönen Erfolg: «Das ist ein fantastischer Moment für mich.»

Es gab zuletzt einige fantastische Momente: der Sieg über Brasilien. Die WM-Qualifikation. Der Vorstoss in Topf 1 der WM-Gruppenauslosung. Und trotzdem kommen sich Hitzfelds Zuhörer dann häufig vor, als stünden sie gerade mitten in der Antarktis, der eisigen Kälte ausgesetzt, so kühl sind die Worte des Nationaltrainers.

Direkt nach der WM-Qualifikation gelingt es Hitzfeld mühelos, die Schwierigkeiten des schwer bespielbaren Platzes in Tirana zu erörtern, anstatt sich über Brasilien zu freuen. Nach dem Spiel am letzten Dienstag in Bern musste ihn Captain Inler fast dazu zwingen, mit dem Publikum zu feiern.

Ja, Hitzfeld hat viel mehr auf Lager, als er häufig preisgibt. Und manchmal gibt er Rätsel auf. Wie vor gut einem Jahr, als er beim Spiel Schweiz gegen Norwegen dem Schiedsrichter gleich zweimal den Stinkefinger zeigt. Er, der so beherrscht ist sonst, der tief gläubig ist. Am Tag darauf betätigt er sich als Märchenerzähler, als er sagt:
«Der Finger war gegen mich selbst gerichtet.»

Der Überflieger

30 Jahre lang war Hitzfeld ein erfolgreicher Trainer. Sowohl mit Dortmund als auch mit Bayern München gewann er die Champions League. Sein Wort hat in Deutschland nicht an Gewicht verloren, seit er 2008 das Traineramt in der Schweiz übernahm.

Schon damals in München hatte er den Ruf des berechnenden Trainers, der jedes Detail abwägt, der das Ergebnis über alles stellt. Er gilt auch als Erfinder des «Rotationsprinzips» - nicht alle Stars konnten gleich gut damit umgehen, wenn sie von Zeit zu Zeit pausieren mussten.

Gestern nun - er kann die Tränen kaum zurückhalten - sagt Hitzfeld: «Meine Zeit ist abgelaufen.» Er befürchtet, den Stress im Trainer-Business zunehmend schlechter zu ertragen. Er möchte als Rentner - am 12. Januar wird er 65 - auch mehr Zeit mit seiner Frau verbringen. Einst sagte Hitzfeld: «Es gibt viele Trainer, die nur aus dem Kopf entscheiden und nicht auf das Gefühl hören. Ich habe zum Glück viele Alarmzeichen in meinem Körper, die mich warnen.»

Der Bauchmensch

Hitzfelds Gefühl sagt ihm nun: Es ist Schluss für immer. Sein Körper soll nicht noch einmal kapitulieren. Wie im Sommer 2004, als er unter einem Burnout litt und es zur Trennung von Bayern München kam.

Noch ist die Karriere nicht ganz vorbei. Hitzfeld bleibt noch bis nach der WM. Es ist das Dessert einer aussergewöhnlichen Karriere.