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Dank der Heim-Weltmeisterschaft rückt Radquer wieder ins Scheinwerferlicht. Timon Rüegg ist der hoffnungsvollste Einheimische.
Wir sind ein paar Minuten zu früh, Timon Rüegg ist noch nicht parat. Er öffnet die Tür dennoch, bittet uns in sein Elternhaus im zürcherischen Oberweningen, ehe er den Gang unter die Dusche antritt. Die Situation ist sinnbildlich.
Auch die Heim-Weltmeisterschaft auf dem Flughafen in Dübendorf am kommenden Wochenende kommt noch etwas zu früh für den Radquerspezialisten. Zu früh für einen Exploit, zu früh für eine Medaille.
Frisch geduscht sitzt Rüegg später am Küchentisch und spricht über die bevorstehende WM. Eine WM, die für ihn eine ganz spezielle wird. Der 24-Jährige ist erstmals der Teamleader des Schweizer Teams an einem Grossanlass, ausgerechnet vor der heimischen Haustür.
Die Familie, viele Freunde und einige Schweizer Zuschauer werden den Weg nach Dübendorf finden. «Seit über zwei Monaten denke ich immer wieder an diese WM und daran, wie sehr ich mich freuen kann», sagt Rüegg.
Der heimische Grossanlass soll dem verstaubten Image des Radquers in der Schweiz wieder neues Leben einhauchen. Einst galt das Quer als eine Sportart mit grosser Ausstrahlung. Albert Zweifel, Peter Frischknecht, Beat Breu, Beat Wabel oder Dieter Runkel sorgten über Jahrzehnte für Erfolge und Begeisterung.
Vom Glanz alter Tage ist aber nicht mehr viel übrig, der Platz des Radquers hat hierzulande längst der Mountainbike-Sport eingenommen. Immerhin erlebt das Quer seit 2018 und der Rückkehr des Schweizer Weltcup-Rennens in Bern wieder ein kleines Revival. Doch noch immer fehlt ein Aushängeschild, so wie es die Mountainbiker mit Nino Schurter haben.
Zu diesem Aushängeschild könnte Rüegg dereinst aufsteigen, geht er seinen Weg konsequent weiter. Derzeit ist er schon der beste Nicht-Belgier und Nicht-Holländer im Weltcup, womit er jedoch lediglich auf dem 16. Rang steht. Trotzdem geht die Entwicklung in die richtige Richtung. Zu verdanken hat er dies auch der Tatsache, dass er 2019 erstmals Strassenrennen bestritten hat.
Im Team «Swiss Racing Academy» von Pirmin Lang bestritt er von April bis August 35 Rennen. «Dadurch habe ich nochmals eine ganz andere physische Komponente bekommen», sagt Rüegg. Früher sei er nach rund 45 Minuten fast am Limit gewesen, heute «kann ich mein Tempo 60 Minuten durchgehen». Seine Stärken im technischen Bereich hätten darunter nicht gelitten.
Zur absoluten Weltspitze braucht es aber noch Geduld, ist sich Rüegg bewusst. Dies liegt nicht nur an seinem Können, sondern auch an den Strukturen. Zwar sind auf Weltebene die Preisgelder ansprechend – sogar höher als bei den Mountainbikern –, in der Schweiz fehlt es aber an finanzieller Unterstützung. Während Belgien mehrere professionelle Teams kennt, gibt es in der Schweiz kein einziges. Rüegg sagt:
«Ein professionelles Team gäbe sicher einen grossen Schub»
Der gelernte Schreiner betreibt Radquer professionell, kommt aber finanziell nur über die Runden, weil er noch bei seinen Eltern wohnt.
Und auch darum ist das Quer im Moment in der Schweiz meistens ein Wintertraining für die Mountainbike-Spezialisten. Rüegg aber setzt voll auf diese Sportart. Zwar fuhr auch er lange Mountainbike-Rennen, inzwischen hat sich sein Fokus aber verschoben. «Die Disziplin ist einfach perfekt auf meine Fähigkeiten zugeschnitten», sagt er. Er ist ein wenig zu schwer gebaut für die Mountainbike-Rennen mit ihren langen Anstiegen, dafür kommt er aber besonders impulsiv aus den Kurven.
Zudem passt ihm die Rennlänge von rund 60 Minuten besser im Vergleich zu den eineinhalbmal längeren Mountainbike-Rennen. Etwas anderes passt Timon Rüegg ebenfalls: das Wetter. «Wenn es trocken ist an einem schönen Herbsttag, dann kann es ein richtig schnelles Rennen werden. Wenn es wie aus Kübeln schüttet, dann ist vieles schlammig und technisch anspruchsvoll. Ich mag diese Abwechslung», so Rüegg, der immer dann besonders gut ist, wenn das Wetter nicht stimmt.
«Wenn ich merke, dass das Wetter allen anderen nicht passt, dann gefällt es mir umso mehr.»
Rüegg ist gut gelaunt an diesem Vormittag. Ein kleiner Dämpfer ist längst vergessen. Sein im Vorjahr errungenes Schweizer-Meister-Trikot musste er am 12. Januar als Vizemeister abtreten. Der Mountainbiker Lars Forster überflügelte Rüegg an der SM in Baden.
«Es war ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Ich glaube, es hätte auf beide Seiten kippen können, aber am Ende hatte Lars knapp die Nase vorne», fasst Rüegg zusammen. An der WM ist Forster aber nicht am Start, die Limite erfüllt der Mountainbiker nicht.
Für Rüegg bedeutet das: mehr Druck und mehr Verantwortung. «Auf der einen Seite wäre es cool gewesen, wenn Lars auch gestartet wäre. Aber jetzt macht es mich auch stolz, dass ich die Schweiz als Teamleader anführen darf.» Timon Rüeggs Ziel sind die Top-Ten. Für Edelmetall kommt die WM in Dübendorf wohl noch zu früh.