Gschobe #12
Liebe Nati – bis dass der Tod uns scheidet

Sie stammen aus dem gleichen Dorf im Appenzellerland, sind zwischen 45 und 48, treffen sich einmal pro Woche und jassen oder spielen Boule. Pius, Qualitätsmanager, Appenzell. David, Lehrer, Speicher AR. Tobias, Consultant, Zürich. Flavio, Sozialarbeiter, Kirchberg SG. François, Journalist, Windisch.

François Schmid-Bechtel
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François Schmid-Bechtel

François Schmid-Bechtel

Aargauer Zeitung

David: Was ist los mit dir? Den ganzen Abend schon bist du so still?

Pius: Sie hat mir das Maul gestopft.

David: Wer?

Pius: Amina, die Freundin von Haris Seferovic.

David: Du hast doch nicht etwa gepfiffen?

Pius: Doch. Aber zu Hause, vor dem Fernseher.

David: Freunde, wir haben einen Ahnungslosen in unserer Runde – Schande! Wenn ich könnte, würde ich pfeifen.

François: Ich auch.

Flavio: Eure Probleme möchte ich haben. Seid froh, dass ihr wenigstens noch pfeifen könnt.

François: So schlimm?

Flavio: Schlimmer. Erinnert ihr euch? Sommer 1982. Die erste Freinacht unseres Lebens. Gratis Pizza im «Pomodoro». Grande Italia. Und jetzt? Weltuntergang. Wir sind null, nichts, nicht mal mehr ein Trümmerhaufen. Uns fehlt sogar die Kraft zu pfeifen.

Pius: Ihr könnt den Seferovic haben, vielleicht hilft das.

François: Lass doch den armen Kerl endlich mal aus dem Spiel.

Pius: Würde ich ja, wenn ich Trainer wäre.

David: Jetzt ist aber mal gut. Nicht nur die Pfiffe, sondern auch die Reaktion des Fussball-Verbands, man müsse die Fans erziehen, hat mich irritiert.

Tobias: Wie soll das gehen?

David: Vladimir Petkovic hat doch gesagt, er wünschte sich Fans, wie sie die Nordiren haben. Also schicken wir die Pfeifenden nach Nordirland ins Erziehungslager.

Der Nationalcoach (links) hat kein Verständnis für die Pfiffe gegen Stürmer Seferovic

Der Nationalcoach (links) hat kein Verständnis für die Pfiffe gegen Stürmer Seferovic

KEYSTONE/JEAN-CHRISTOPHE BOTT

Flavio: Ich führe die Pfiffe auf eine Wohlstandsverwahrlosung zurück. Damit den Schweizer Fans wieder klar wird, wie gut sie es haben, schicken wir sie ins ärmste Fussballland der Welt.

François: Nach Italien?

Tobias: Nein, so züchten wir nur Depros. Italien, das ist der völlig falsche Weg. Wir müssen rund um die Nati eine positive Grundstimmung erzeugen.

François: Wie wärs mit Ralph Krueger, dem Gott des positiven Denkens, als Fanbeauftragter des Schweizer Fussballverbands?.

David: Alles gut und recht. Aber weil es immer irgendwelche Abweichler gibt, braucht es zusätzlich flankierende Massnahmen. Wir wärs, wenn man beim Kauf eines Nati-Tickets gleich noch einen Ehrenkodex unterschreibt? So in der Art: Ich verspreche dir die Treue in guten und in schlechten Tagen, in Gesundheit und Krankheit. Ich will Dich lieben und achten und ehren. Ich werde dich immer unterstützen. Ich werde dich nicht auspfeifen – bis dass der Tod uns scheidet.

François: Wie romantisch! Aber was machst du mit Typen wie Pius, die zu Hause pfeifen?

David: Man könnte Stichproben machen und bei Fehlverhalten Bussen aussprechen. Warum nicht den Billag-Kontrolleur damit beauftragen? Quasi zwei Fliegen auf einen Schlag.

Pius: Dreht ihr jetzt völlig durch? Schon mal was von freier Meinungsäusserung gehört?

David: Du bist nicht gefragt.

Pius: Oh doch! Soll ich euch mal was pfeifen? Valon Behrami schreibt in einem offenen Brief, den der «Blick» abgedruckt hat: «Darf man einen Spieler auspfeifen? Sicher, wer ein Ticket bezahlt, ist automatisch frei, seine Enttäuschung auszudrücken.»

Tobias: So cool. Wisst ihr, was das bedeutet? Ab jetzt gibt es Gratis-Eintritt für die Nati-Spiele.