Eliud Kipchoges Traumlauf über die 42,195 Kilometer in Berlin bringt die Sportwelt ins Staunen. Dabei wollte der Kenianer gar nicht Profiläufer werden.
Eliud Kipchoge beim Laufen zuzusehen, hat etwas Betörendes. Federleicht zieht der 33-Jährige über den Asphalt, als trügen ihn unsichtbare Räder. Und hätte am Sonntag die Wettkampf-Uhr nicht auf Weltrekord-Tempo hingewiesen: Man hätte gewettet, der Kenianer laufe gerade im lockeren Joggingmodus durch die Strassen Berlins. 17 Kilometer vor dem Ziel musste auch sein letzter Tempomacher mit verzerrtem Gesicht abreissen lassen. Einsam an der Spitze lief Kipchoge nun gar noch etwas schneller – als hätten ihn die Helfer nur gebremst.
Der Weltrekordlauf in 2:01:39 Stunden ist eine Sternstunde der Leichtathletik. Kipchoge verbesserte die Marke um 1:18 Minuten – einen so grossen Sprung gab es seit 40 Jahren nicht mehr. Dass Kipchoge dazu fähig sein könnte, hatte er angedeutet. Der Olympiasieger von 2016 hat von elf gelaufenen Marathons zehn gewonnen. 2017, als ihn in Berlin der Regen bremste, blieb er nur 35 Sekunden über dem Weltrekord. Und zwei Jahre zuvor schrieb er gleichenorts Schlagzeilen, als seine Sohlen aus den Schuhen rutschten und er wohl nur deshalb den Weltrekord verpasste. Kipchoges Status als Ausnahmekönner zementierte er im vergangenen Jahr, als der Ausrüster Nike unter Laborbedingungen die Zweistunden-Marke knacken wollte. Auf dem Formel-1-Rundkurs in Monza lagen die Hoffnungen vor allem auf dem Kenianer. Das Ziel verpasste er mit 2:00:25 knapp. Es war ein Weltrekord, der aufgrund der vereinfachten Bedingungen aber nicht gewertet wurde. Die Erfahrungen aus jenem Projekt aber waren wohl Türöffner für die Leistung vom Sonntag.
Kipchoges Läuferkarriere unterscheidet sich von jener vieler kenianischer Profis. Als junger Mann wollte er zur Universität, die Eltern konnten ihm den Wunsch aus finanziellen Gründen nicht erfüllen. So nutzte er mit 15 Jahren die physiologischen Vorteile, welche die Sportwissenschaft vielen Menschen im Hochland Kenias zuschreibt. Er wurde Läufer, wie sein Nachbar Patrick Sang, der 1992 Olympia-Silber im Steeple gewann. Sang ist seit bald 20 Jahren Kipchoges Trainer – und führte den damals 18-Jährigen 2003 in Paris zum Weltmeistertitel über 5000 m.
Kipchoge gilt als belesen, oft überrascht er mit philosophischen Zitaten, wie jenem von Aristoteles: «Wenn du Freude hast an dem, was du tust, steht dir der Weg zur höchsten Vollendung offen.» Freude zeigt sich im Gesicht Kipchoges auch noch nach 35 Marathon-Kilometern. Seine läuferische Lockerheit beruht aber auch auf Disziplin. Kaum ein Tag, an dem er seine 30 Kilometer nicht abspult. Wird Kipchoge auf Kenias zweifelhaften Ruf in Sachen Doping angesprochen, sagt er: «Meine Erfolge entspringen harter Arbeit.» Das bestätigen seine Wegbegleiter. Ihnen gilt er zudem als bescheidener Zeitgenosse. Der Millionär, der seine Einkünfte in Immobilien und Agrarland in Kenia investiert, lässt sich in Trainingslagern gerne zum Toilettenputzdienst einteilen. Er gibt sich klein und denkt gross: «Kein Mensch ist limitiert, es sind die Menschen, die sich Grenzen setzen.» Gut möglich, dass er die Marathon-Grenzen bald weiter verschiebt.