In der Bundesliga ist es zur grossen Trainer-Rochade gekommen. Nur eines der Top-8-Teams steigt mit dem gleichen Trainer in die neue Saison. Zum Start treffen Julian Nagelsmann und Adi Hütter mit ihren neuen Klubs aufeinander. Sie stehen für einen Trend.
Normalerweise erwischt es sie als Erstes. Bleibt der sportliche Erfolg aus, dann sind es oft die Trainer, die gehen müssen. Sie räumen dann ihren Spind. Das schwächste Glied in der Kette wird wieder ausgetauscht. Bis zur nächsten Krise. Doch die neue Generation von Bundesliga-Trainern nimmt ihr Schicksal selber in die Hand. Hat ein Trainer bei einem Klub Erfolg, nimmt er plötzlich genau so wie seine Spieler lukrativere oder sportlich attraktivere Angebote an.
Wahrscheinlich gibt es in der Bundesliga keine anderen Trainer, die diese Sichtweise des Profifussballs so sehr verkörpern wie Julian Nagelsmann und Adi Hütter. Zum Start der neuen Bundesligasaison treffen sie mit ihren neuen Klubs aufeinander: Nagelsmann mit Bayern München, Hütter mit Borussia Mönchengladbach. Beide ausgestattet mit einer grossen Portion Selbstvertrauen, wissend um ihren Wert für einen Fussballklub.
Für Hütter ist er der nächste Schritt einer klug geplanten Trainerkarriere. Gestartet in Österreich und in der Schweiz, hat der ehemalige Meistertrainer der Berner Young Boys erfolgreich bei Eintracht Frankfurt gearbeitet. Er formte die Frankfurter zu einem Spitzenteam, nahm Kurs in Richtung Champions League – ehe er sich im Frühling für den Transfer nach Gladbach entschied. Die Fans nahmen ihm den Abgang besonders übel, versicherte er noch wenige Wochen davor Treue. Dazu kamen der sportliche Niedergang und schliesslich das Verpassen der sicher geglaubten Königsklasse. «Treue ist auch immer eine Gefühlssache. Jetzt hatte ich das Gefühl, etwas Neues machen zu müssen», sagt Hütter. 7, 5 Millionen Euro überwies die Gladbacher Borussia an die Eintracht.
Noch deutlich mehr Geld floss für den Transfer von Julian Nagelsmann nach München: 25 Millionen Euro liess sich der Rekordmeister den Wundertrainer kosten. Nagelsmann gilt als vielleicht grösstes Trainertalent überhaupt. Mit 28 übernahm er im Februar 2016 bereits das abstiegsgefährdete Hoffenheim, arbeitete kontinuierlich, formte Spieler zu Stars. Hoffenheim wurde zum Spitzenteam. Dann der Schritt zu Leipzig. Wintermeister, Champions-League-Halbfinal, Vizemeister. Doch der Titel im Palmarès von Nagelsmann fehlt noch immer. Jetzt mit Bayern muss er kommen. Das weiss Nagelsmann genau.
Auf die Frage, wie es nun sei, Bayern-Trainer zu sein, sagt er, es sei ein schönes Gefühl. «Aber wohlig und warm wird es erst, wenn ich Titel gewinne. Erst dann bin ich wirklich beim FC Bayern angekommen. Bis es so weit ist, ist es ein unvollendetes Gefühl.» Alles andere als ein weiterer Triumph der Bayern wäre eine Sensation. Und Julian Nagelsmann hat trotz schwieriger Vorbereitung mit enorm vielen abwesenden Spielern nach der Europameisterschaft sowie keines einzigen Sieges in den Testspielen bisher so etwas wie Aufbruchstimmung vermittelt. Doch verliert er auch das Eröffnungsspiel gegen Gladbach, könnte der Druck über Nagelsmann rasch zunehmen.
Nagelsmann und Hütter sind zwei von insgesamt sieben neuen Trainern unter den besten acht Teams der letzten Bundesliga-Saison. Bayern, Leipzig, Dortmund, Wolfsburg, Frankfurt, Leverkusen und Gladbach haben alle einen neuen Trainer. Einzig der Schweizer Urs Fischer blieb nach der Sensationssaison von Union Berlin. Ausgelöst wurde der Dominoeffekt durch das Bekanntwerden des Wechsels von Marco Rose von Gladbach zu Dortmund. Gladbach ersetzte die Position durch Frankfurts Hütter. Jene Position hat nun Oliver Glasner, der aus Wolfsburg gekommen ist, inne.
Mark van Bommel ist der neue Trainer Wolfsburgs. Und weil Nagelsmann bei Bayern anheuerte, ist nun der ehemalige Salzburger Jesse Marsch für Leipzig verantwortlich. Gerardo Seoane übernahm schliesslich das Traineramt in Leverkusen. Auch der Schweizer im Trainerkarussell steht für das neue Selbstverständnis. Nach einem halben erfolgreichen Jahr verliess er Luzern, nach drei titelreichen Jahren die Young Boys. Seoane musste bisher noch nie eine Krise bewältigen in der Trainerkarriere. Nun trainiert er Bundesliga.
Sportlich gibt es vor dem Start der neuen Saison noch mehr offene Fragen als ohnehin schon. Zu unklar ist, wie gut die neuen Trainer zu ihren neuen Teams passen. Kann Nagelsmann mit dem Starensemble der Bayern umgehen? Spielt Leipzig unter Marsch wieder den typischen RB-Umschaltfussball? Kehrt das Spektakel unter Rose bei Dortmund zurück? Kann sich Wolfsburg unter van Bommel als Spitzenteam halten? Führt Glasner seine erfolgreiche Arbeit in Frankfurt weiter? Wie schlägt sich Seoane in der Bundesliga? Und gelingt Urs Fischer wieder eine ähnliche sensationelle Saison wie die letzte mit Union Berlin? Auch dank der vielen Trainerwechsel ist für grosse Spannung gesorgt beim Start der Bundesliga-Saison.
Gerardo Seoane bezeichnet seinen Wechsel in die Bundesliga als «Sprung auf das nächste Level». Bei Bayer Leverkusen erhält der Luzerner, der in den letzten drei Jahren erfolgreich bei den Young Boys gearbeitet hat und immer Meister wurde, eine talentierte Equipe. Die Erwartung in Leverkusen ist es, in dieser Saison wieder auf einen Champions-League-Platz vorstossen zu können. Doch Leverkusen hat auch wichtige Spieler verloren. Die Bender-Zwillinge haben ihre Karrieren beendet, Leon Bailey wechselte zu Aston Villa
Urs Fischer steigt derweil in seine dritte Bundesliga-Saison mit Union Berlin. Nach dem Aufstieg 2019 sicherte er mit Union im ersten Jahr souverän den Ligaerhalt, im zweiten Jahr führte er sein Team sensationell in die Conference League. Auch spielerisch hat er sein Team in der letzten Spielzeit weit vorangebracht. Statt auf hohe Bälle, setzte sein Team auf einen flachen Spielaufbau und Ballbesitz. Nach vielen Transfers baut er nun auf ein weitgehend neues Team. Sein kommuniziertes Saisonziel lautet einmal mehr: Ligaerhalt in der Bundesliga. (rg)