Noch ist Stephan Lichsteiner Captain der Schweizer Nationalmannschaft. Doch im Schweizer Länderspieljahr 2019 dreht sich vieles um die Frage: Wann wird er durch Granit Xhaka ersetzt?
2011 war der Fussball noch nicht so rasant. Das Hauptziel der Schweizer Nationalmannschaft war es, Tore zu verhindern – und ja nicht zu verlieren. Trotz Qualitäten im Spiel nach vorne. Heute ist dies anders. Die Nationalmannschaft hat sich verändert. Sie spielt mit Tempo, das Selbstvertrauen ist gross, die Spielanlage dominant. Jetzt will sie gewinnen. Und immer mittendrin: Granit Xhaka.
Im Juni 2011, als er für die Schweiz im Wembley gegen England debütierte, war Xhaka erst 18 Jahre alt. Er träumte davon, irgendwann die tragende Rolle im Team zu spielen. «Ich war damals bereits enorm frech. Aber der Respekt war da», erinnert er sich.
Xhaka wurde als Bub nicht gepusht oder speziell gefördert. In Basel, sagt er, sei von anderen Junioren der Durchbruch erwartet worden. Aber nicht von ihm. Doch dann wurde er mit der Schweiz 2009 U17-Weltmeister. Der Titel öffnete ihm alle Türen.
Zurück in die Gegenwart. Als Granit Xhaka vor dem EM-Qualifikationsstart am Samstag in Georgien (15 Uhr) über sich und sein Befinden spricht, sitzt weiter vorne im Raum Captain Stephan Lichtsteiner. Belagert von sechs Journalisten. An Xhakas Tisch sitzen zwei. Wie es mit Lichtsteiner weitergeht, bewegt das Land gerade.
Dabei ist es nur eine Frage der Zeit, bis Xhaka der dauerhafte Captain der Nationalmannschaft wird. Es wäre das Tüpfelchen auf dem i, sagt er. Doch eigentlich ist es egal, ob der 26-Jährige mit oder ohne Binde spielt – seine Rolle ist dieselbe: Er ist der Leader des Teams. Ganz so, wie es sich Xhaka 2011 erträumt hatte.
Mit Noch-Captain Lichtsteiner hat Xhaka einen guten Kontakt, sie reden viel, auch privat. Seit dieser Saison spielen sie beide für Arsenal. «Ich habe grössten Respekt vor Stephan und seiner unglaublichen Karriere», sagt Xhaka. Es kommt ihm nicht in den Sinn, aufzubegehren. Solange Lichtsteiner für die Nationalmannschaft aufgeboten wird, sei dieser der unbestrittene Captain.
«Wenn du viele Jahre für die Schweiz gespielt hast, kann man dich nicht einfach rasieren», sagt Xhaka. Das Thema eines würdevollen Abschieds ist nicht zu unterschätzen. Wie zuletzt die Ausbootung gestandener Nationalspieler in Deutschland zeigte. Die Kommunikation sei wichtig und es gehe um Respekt, sagt Xhaka. Der Trainer sei gefordert. «Es kommt darauf an, wie man es sagt – und wann man es sagt. Unser Trainer hat das bisher gut gelöst.»
Von Vladimir Petkovic hält Xhaka viel. Die Kritik nach der WM am Trainer kann er noch heute nicht nachvollziehen. «Wer sagt, dass Petkovic ein schlechter Coach sei, hat keine Ahnung von Fussball.» Wenn Xhaka so redet, merkte man, nicht nur die Nationalmannschaft hat sich seit 2011 verändert. Auch er.
Xhaka ist entspannter geworden – und reifer. Er wählt seine Worte jetzt mit Bedacht. Das war früher auch schon anders. Auch abseits des Rasens handelt er heute mit Weitsicht. Er investiert in das Leben nach der Karriere, kauft Immobilien in und um Basel, das für immer sein Zuhause sei.
Xhaka läuft es rund. Sein Marktwert beträgt mittlerweile 50 Millionen Euro. Doch auch er kennt nicht nur Höhepunkte im Leben als Fussballer. In Gladbach lief es zu Beginn nicht gut. Heute ist er froh um die Erfahrung, als er unter Trainer Lucien Favre plötzlich nicht mehr spielte. Auch bei Arsenal war der Start kein einfacher. Es waren Signale für ihn, dass er mehr tun musste.
Also professionalisierte Xhaka sein Umfeld und engagierte einen Privattrainer, der ihm das Fussballspielen nicht beibringen muss, dafür für alles andere verantwortlich ist: für die Physis und das Mentale, für die Erholung und die Ernährung.
Xhaka ist einer, der sich fast keine Ruhephasen gönnt, sich immer am Limit bewegt, Spiel für Spiel, Saison für Saison. Manchmal wirkt es fast, als ob er ein Getriebener ist. «Ich bin sehr ehrgeizig, ich will den nächsten Schritt machen, Arsenal muss nicht die letzte Station sein», sagt er selbst. Sein Trainingstag beginnt um sieben Uhr und endet um fünf – ausser an Spieltagen.
Xhaka erzählt von einem Freund, der ihm einst prophezeite: «Irgendwann wirst du gelassener, weil du viel mehr mit dem Auge machen wirst. Du musst nicht überall auf dem Platz sein.» Der Freund hatte recht. Xhakas Spielweise hat sich verändert. Dadurch wird er nun weniger verwarnt. Und von den Medien in England weniger kritisiert.
«Es dauert seine Zeit, bis man mich und meine Art akzeptiert. Ich kann das nicht beeinflussen», sagt Xhaka. «Das war schon in Deutschland so.» Heute loben ihn die Journalisten des «Guardian», sagen, dass Xhaka seine bisher beste Saison in England spiele. Er habe sich zur ersten Wahl im Mittelfeld hochgearbeitet, sei unverzichtbar und das Herz von Arsenal. Nur fehlerfrei sei er immer noch nicht, heisst es.
Xhaka macht sich wenig aus diesen Urteilen, schon gar keinen Druck. Den hat er sich nie gemacht. Ohnehin findet sich in der Familie sein grösster Kritiker. Xhakas Vater zeichnet jedes Spiel des Sohnes auf, um es danach mit ihm zu analysieren. «Es gibt Lob. Aber seiner Meinung nach habe ich immer Luft nach oben. Mein Antrieb ist es, dass mein Vater einmal sagt: ‹Granit, das war super!› Bis jetzt war das noch nie der Fall. Das spornt mich nur noch mehr an.»