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Beim Höhepunkt im American Football spielt San Francisco gegen Kansas. San Francisco gewann bereits fünf Mal die Superbowl, letztmals 1995. Für Kansas City liegt der bislang letzte Titel gar noch länger zurück: 1970 triumphierten sie in der vierten Superbowl.
San Francisco 49ers
2014 zogen die San Francisco 49ers um. Von der rustikalen Trutzburg Candlestick Park in das 1,3 Milliarden Dollar teure, hypermoderne Levi’s Stadium. Fort aus San Francisco, raus ins Silicon Valley, wo das Geld sitzt.
Der Weggang sollte der Start in eine neue Ära sein. Doch den 49ers gelang am neuen Ort: fast nichts. In fünf Jahren erreichte das Team das Playoff kein einziges Mal. Unter dem bereits in Philadelphia gescheiterten College-Coach Chip Kelly gewann das Team 2016 nur 2 von 16 Spielen.
Doch im US-Sport mit seinem brillanten Draftsystem ist eine Schiffsladung an Niederlagen immer die erste Etappe des Aufbruchs. Die 49ers konnten im Draft in den vergangenen Jahren sehr früh auswählen – und addierten so viel Talent. 2019 etwa den Defensivspieler Nick Bosa, den besten Frischling in der National Football League NFL.
Für den Wechsel nach San Francisco säuberte der 24-jährige Bosa vor dem Draft seine Profile auf den sozialen Medien. Der glühende Verehrer des Präsidenten Donald Trump war Accounts von Rechtsextremisten gefolgt und hatte deren Inhalte gelikt. Auf die Frage, warum er seine Spuren verwische, sagte er:
Weil ich in San Francisco landen könnte.
Die Stadt der alten Hippies, noch immer Hochburg des Subversiven; stramm links und mit einer starken Punk- und Politszene.
Die Schnittmenge zwischen den Revolutionären aus dem Haight-Ashbury-Viertel und jenen Menschen, die den mit Millionen überschütteten Profis nacheifern, die für milliardenschwere Besitzer spielen, dürfte klein sein. Aber man weiss ja nie.
Bosa ist in San Francisco jedenfalls innert kürzester Zeit zum Publikumsliebling aufgestiegen. Er ist ein Ausnahmetalent in einem Team, das nicht von Stars lebt. Sondern von seiner qualitativen Breite.
Der Trainer Kyle Shanahan und der General Manager John Lynch haben ein Kader erschaffen, welches die Gegner mit Solidität zermürbt. Der Quarterback Jimmy Garoppolo etwa musste im bisherigen Playoff kaum etwas leisten – was sich in der Superbowl aber ändern dürfte.
Garoppolo war einst der Ersatz von Tom Brady in New England, ehe ihn die 49ers in einem Tauschgeschäft verpflichteten und temporär zum teuersten Quarterback der Liga machten. Der 28-jährige Garoppolo besitzt bereits zwei Superbowl-Ringe, aber die Titel haben den Schönheitsfehler, dass er wenig dazu beitrug – er wurde nie eingesetzt. In Miami bietet sich ihm die Chance, endgültig aus dem Schatten Bradys hervorzutreten.
Auch der Coach Shanahan hat eine Scharte auszuwetzen: Als Offensivkoordinator der Atlanta Falcons zeichnete er für einen der schlimmsten Kollapse in der Superbowl-Geschichte mitverantwortlich: 2017 verspielten die Falcons gegen New England eine 28:3-Führung. Es war Shanahans letzter Auftritt mit den Falcons, er wechselte danach fliegend nach Kalifornien. In San Francisco hat er sich einen Namen als einer der fortschrittlichsten Trainer der NFL gemacht.
Kansas City Chiefs
Die Kansas City Chiefs stehen zum ersten Mal seit 50 Jahren in der Superbowl. Der Aufschwung ist eng mit dem Namen Andy Reid verknüpft. Der rührselige Coach hat mehrere ehemalige Weggefährten einen Titel gewinnen sehen. Schlägt nun seine Stunde?
Die Menschen in Kansas City sind fertig mit den Nerven. Zwei Männer, die 24 Stunden mit dem eigenen Kleinbus zur Superbowl nach Miami gefahren sind, liessen ihr Gefährt von einem Priester segnen. Die Aufregung ist gross: Erstmals seit 50 Jahren stehen die Chiefs in der Superbowl – entsprechend will man wenig dem Zufall überlassen. Die Stadt ist das Warten leid, seit Generationen schon.
Sie sind mit ihrer Sehnsucht nicht alleine. Auch der Baumeister des Aufschwungs wartet sein Leben lang auf die Krönung: Andy Reid, der beliebte Trainer der Chiefs. Der 61-jährige Reid hat 221 NFL-Spiele gewonnen – aber nie das letzte der Saison, seiner grandiosen Karriere fehlt die Krönung.
Der Mormone ist ein brillanter Förderer, von Spielern wie von Trainern. Die «Washington Post» nannte ihn einmal den «einflussreichsten Coach der NFL». Es ist keine Übertreibung: Alleine in der laufenden Saison führten sieben ehemalige Assistenten Reids NFL-Teams als Headcoach. Mit Doug Pederson, Jon Gruden und John Harbaugh sind drei davon bereits Superbowl-Gewinner. Nur Reid kämpft weiterhin gegen das Stigma, in den entscheidenden Momenten zu versagen.
Reid geniesst rund um die NFL viele Sympathien, es kursieren faszinierende Geschichten über ihn. Wie er in den 1980er-Jahren spätabends für 15 Dollar Partien als Baseball-Schiedsrichter leitet, um die Familie zu ernähren, weil er als Nachwuchstrainer im American Football kaum etwas verdient. Wie er, der 120-Kilo-Mann, bei einem Abendessen mit Jeffrey Lurie, dem Besitzer von Reids ehemaligem Arbeitgeber Philadelphia Eagles, drei Steaks nacheinander bestellte.
Und dann ist da die menschliche Seite. Viele würden Reid den Gewinn gönnen, weil er sich mit Verlust besser auskennt als ihm lieb ist. 2012 starb sein ältester Sohn Garrett an einer Überdosis Heroin, auch der jüngere Sohn Britt war drogenabhängig.
Bereits 2007 war Garrett zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden, weil er im Rausch einen Autounfall verursacht hatte. Bei der Gerichtsverhandlung wurde öffentlich, dass in seiner Zelle 89 verschreibungspflichtige Schmerztabletten gefunden wurden, die er in seinem Rektum geschmuggelt hatte. Der zuständige Richter sagte:
Ich sehe hier eine Familie in der Krise. Und ein Zuhause wie eine Drogenhölle.
Dann sind da auch die Qualitäten Reids. Er gilt als eines der ausgefuchstesten Offensivgenies seiner Zeit, als brillanter Taktiker. In seinen 20 Jahren als Cheftrainer in der NFL verfügte er überdies noch nie über einen so talentierten Quarterback wie den Tausendsassa Patrick Mahomes.