FC Basel
«Ich kann noch in den Spiegel schauen»: FCB-Sportchef Marco Streller im grossen Interview vor dem Cupfinal

FCB-Sportchef Marco Streller kann nicht gerade auf eine gelungene Saison zurückblicken. Als letzte Hoffnung gilt der Cupsieg - es wäre der erste Titel für Streller in der Rolle des Sportchefs. Streller über die unfaire Uefa-Behandlung, Transfers und die vergangene Saison.

Jakob Weber, Céline Feller
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Sportdirektor Marco Streller glaubt an sein Team und daran, dass der Cupsieg in Basel wieder eine Euphorie auslösen könnte.

Sportdirektor Marco Streller glaubt an sein Team und daran, dass der Cupsieg in Basel wieder eine Euphorie auslösen könnte.

Keystone

Marco Streller, beginnen wir mit einer These: Der Sieg im Cup wäre nicht die Rettung der verkorksten Saison, sondern schlicht und einfach die Erfüllung eines Zieles.

Marco Streller: Ich glaube, man muss es unterschiedlich anschauen. Wir wussten in der Winterpause schon, dass die Meisterschaft wohl verloren ist und wir international nicht vertreten sind. Im Kopf gab es nur noch diesen 19. Mai. Denn ein Titel ist ein Titel. Die Analyse dieser Saison wird dieser allfällige Cupsieg nicht beeinflussen. Da gebe ich Ihnen Recht.

Besteht keine Gefahr, dass man sich von einem Titel in der Aufarbeitung der Saison blenden lässt?

Nein, das wird definitiv nicht passieren. Aber es ist ein Titel, kein Trostpreis. Den darf man nicht kleiner machen, als er ist. Wir hatten einen schwierigen Weg in den Final. Das Spiel in Sion hat widergespiegelt, was wir schon länger in der Mannschaft sehen: sehr viel Charakter und Klasse. Das war eine fast ausweglose Situation und die Mannschaft hat einen Weg gefunden, dieses Spiel zu gewinnen. Ich habe gespürt, was dieses Spiel in Basel ausgelöst hat. Jetzt brennen wir alle so extrem auf diesen Match am Sonntag. Über alles andere mache ich mir jetzt keine Gedanken.

Mit dem Cup würde man sich den einfachst möglichen Titel holen.

Es ist doch nicht der einfachste Titel, den man holen kann. Wir hatten nur Auswärtsspiele, mussten gegen die Cup-Mannschaft schlechthin, den FC Sion, antreten und mussten bei Zürich in einem Klassiker spielen. In einer Meisterschaft kann man eine Niederlage immer wieder ausbessern. Das kannst du im Cup nicht. Ich lasse mir diesen Titel von niemandem schlechtreden, ich schätze ihn aber auch richtig ein.

Am Ende bringt der Titel dem FCB faktisch aber nichts, weil er ihn nicht einmal dazu berechtigt, einen fixen Startplatz in der Europa League zu haben.

Das ist ein Witz. Dass die Uefa die Champions-League-Qualifikation höher bewertet als einen fixen Startplatz in der Europa League, zeigt, dass Anliegen kleiner Klubs auf dieser Ebene niemanden interessieren. Das wären sichere Einnahmen gewesen von zirka 10 Millionen. Ich kann das nicht verstehen, aber auch nicht ändern.

Was würde der Titel Ihnen und für Ihre Arbeit bedeuten?

Es wäre sehr, sehr wichtig. Für uns alle. Dieser riesige Umbruch, der von uns vielleicht auch ein wenig unterschätzt worden ist, war so ein immenser Einschnitt. Der Fussball hat sich in den letzten beiden Jahren noch einmal so stark entwickelt - in eine in meinen Augen schwierige Richtung – und wenn man das alles anschaut, wäre es für uns wirklich extrem wertvoll. Und etwas, das man einfach mal geniessen darf. Wir haben nicht nur schöne Momente erlebt in den letzten zwei Jahren. Es würde zeigen, dass doch gewisse Dinge richtig gemacht wurden. Ich würde mich mega freuen für die Leute im Klub, für die Jungs und die Fans. Die wurden die letzten Jahre nicht eben verwöhnt, auch wenn wir letzte Saison eine tolle Champions-League-Kampagne hatten, die immer ausser Acht gelassen wird. Diese haben alle schon wieder vergessen, habe ich manchmal das Gefühl. Deshalb wäre es wirklich sehr toll, auch für uns.

Was würde der erste Titel für das Projekt von Ihnen und Bernhard Burgener bedeuten? Wäre es genau diese Bestätigung, die es braucht?

Der grösste und wichtigste Titel ist der Schweizer-Meister-Titel. Solange wir diesen nicht haben, ist das Projekt für mich nicht abgeschlossen. Wir haben dafür noch ein Jahr Zeit, erst dann ist 2020. Aber es wird nicht einfach, das ist auch klar. Aber ein Cupsieg würde schon eine gewisse Bestätigung bedeuten.

Wie weit ist diese Mannschaft denn davon entfernt, das Projekt abschliessen zu können?

Wenn ich nicht der Meinung wäre, dass das möglich ist, müsste ich aufhören. Wir sind zwar 20 Punkte hinter YB und das ist viel zu viel. Aber in der Rückrunde waren wir nicht 20 Punkte schlechter. Das Spiel am Sonntag war enttäuschend, ja. Beim 2:2 im Joggeli war der Klassenunterschied jedoch nicht ersichtlich. Unser Ziel muss sein, näher hinzukommen. Wohin es dann reicht, werden wir sehen. Ich werde mich aber davor hüten zu sagen, nächstes Jahr werden wir wieder Meister.

Ist dieser Cupfinal das wichtigste Spiel, seit Sie Sportchef sind?

Es geht um einen Titel, das sagt alles.

Das ist klar. Aber es gäbe auch Spiele wie jenes auswärts gegen Limassol, welches den Titel des wichtigsten Spieles verdient hätte. Dort ging es um den Einzug ins europäische Geschäft.

Das war wichtiger, ja. In diesem Moment vor allem. Aber wir können das nicht mehr ändern, ich schaue auch nicht zurück, das wäre Energieverlust. Dinge korrigieren kann man erst in der anstehenden Pause. Weil dieses Spiel jetzt noch bevorsteht sage ich: Ja, es ist das Wichtigste.

Zur Person:

Der 37-jährige Marco Streller ist seit Sommer 2017 Sportchef des FC Basel. Gemeinsam mit Präsident Bernhard Burgener übernahm er vom Erfolgsduo Heusler/Heitz. Unter ihnen spielte Streller bis Sommer 2015 beim FC Basel, zuletzt auch als Captain. Er wurde im Somer 2007 von Heusler zurück nach Basel geholt, wo er bereits im Jahr 2000 seine Profikarriere gestartet hatte. Für Streller und die neue FCB-Führung ist der Cupfinal die erste Chance auf einen Titel.

Macht Sie das nervös, dass es erstmals als Sportchef für Sie um einen Titel geht?

Es ist eine gewisse Anspannung da, ja. Das ist aber wichtig und richtig. Ich kenne es als Spieler, jetzt muss ich der Mannschaft vertrauen und versuchen dieses Vertrauen auch zu vermitteln.

Wie schwer wird ist es für Sie, nur vertrauen und zuschauen zu können?

Das ist ein Scheissdreck! (lacht) Aber das Vertrauen ist da. Wenn ich an die Vorrunde denke, hatte ich ganz ehrlich gesagt manchmal auf der Tribüne das Gefühl, dass wir in ein 0:3 laufen könnten. Wenn man das Spiel gegen YB vom Sonntag ausklammert, dann hatte ich in der Rückrunde immer das Gefühl: Heute können wir nicht verlieren. Das ist wertvoll. Das macht mich ruhiger.

War auch der Gedanke mal präsent, was passiert, wenn man diesen Titel nicht holt?

Nein, weil ich so überzeugt bin, dass wir es schaffen werden. Aber ich weiss, worauf Sie hinaus wollen. Wenn wir diesen Cupfinal nicht gewinnen, dann war diese Saison nicht zufriedenstellend. In vielen Augen zumindest, ich muss das etwas differenziert betrachten. Aber ohnehin setze ich mich nicht mit dem Worst-Case-Szenario auseinander. Sonst kann ich gleich die weisse Fahne schwenken. Und wenn der Fall doch eintritt, erlebe ich das noch genug früh (lacht).

Wieso wäre es kein Desaster für Sie? Trotz allem, was passiert ist?

Die ganz schlimmen Sachen sind 2018 passiert, nicht 2019. Cupfinal hin oder her: Es ist eine Steigerung da. Das ist genauso wichtig für mich. Ich darf nicht zu emotional in meinen Entscheiden sein sondern muss die Situation nüchtern betrachten. Wer das tut, der sieht diese Entwicklung.

Trotz allem: Sie sind alles andere als zufrieden mit dieser Saison. Was stört Sie am meisten?

Das 1:7 gegen YB. Das war für mich der absolute Tiefpunkt. Von da an ging es bergauf. Weiter nach unten wäre ja für einen Basler auch nicht mehr möglich gewesen (lacht). Die Entwicklung, welche die Mannschaft durchgemacht hat, stimmt mich positiv.

Was beschäftigt Sie eigentlich zurzeit mehr: Der Cupfinal oder die Kadermutationen?

Nur der Cupfinal. Selbstverständlich muss man in der Kaderplanung einige Dinge vorbereiten. Aber vor diesem Sonntag gibt es keine Entscheidungen von uns und werden auch keine kommuniziert. Der Fokus liegt auf dem Cupfinal. Alles andere interessiert mich nicht. Das verstehen sogar die Agenten.

Das heisst zwischen den Zeilen, dass es bereits Dinge zu vermelden gäbe?

Nein, dem ist nicht so.

Wie weit ist man denn in der Kaderplanung? Die Saison dauert nicht mehr lange und es wäre im Interesse des Klubs und der Spieler, Entscheide zu treffen.

Das ist so. Deshalb wird sicher nächste Woche Bewegung rein kommen.

Den ganz grossen Umbruch können Sie diese Saison noch nicht einleiten. Viele Verträge laufen noch bis 2020. Wie gross ist Ihr Spielraum überhaupt?

Es ist schwierig. Es gibt Sportchefs in Europa, jene in den grossen Ligen, die es wohl einfacher haben als ich, weil sie sehr viel mehr Geld zur Verfügung haben. Deshalb muss man da etwas kreativ sein. Ich möchte mich aber nicht beschweren. Ich habe gesagt, dass ich diesen Weg mitgehe und das mache ich auch. Aber es ist natürlich nicht einfach, wenn man tendenziell runterschrauben sollte. Ich mag das Wort sparen nicht, ich sehe es eher als umstrukturieren und kreativ sein. Natürlich aber schiele ich ab und zu neidisch auf Klubs, die sagen: Wir gehen jetzt mal für 400 Millionen einkaufen. (lacht)

Mittelgrosse Vereine sprechen immer wieder von ihren Transferbudgets. Wie sieht es bei Ihnen aus, hat Ihnen Bernhard Burgener dieses mittlerweile gegeben?

Selbstverständlich kenne ich mein Budget. Aber es ist so: Wenn alle ausgeliehenen Spieler zurück sind, haben wir zirka 33 Spieler im Kader. Da muss man Lösungen suchen. Dafür haben wir aber auch einen Kaderplaner.

Dieser sagte zu Beginn der Woche, er wünsche sich einen neuen Charakter, eine neue Mentalität in diesem Team und möchte Änderungen verkünden können. Gehen Sie einher mit ihm?

Es gab schon viele, die sagten: Mentalität schlägt Qualität. Wir müssen wieder mehr Mentalität in die Mannschaft kriegen. Das ist so.

Am Sonntag gegen YB hat diese Mentalität erschreckend stark gefehlt.

Ich will gar nicht zu sehr auf diesem Spiel herumreiten. Das war enttäuschend, wir waren zu ängstlich. Jetzt wird uns auch wieder mangelnde Physis vorgeworfen. Nur: Muss denn ein Team, das sich über das Spielerische definiert, auf einmal in puncto Physis auf Augenhöhe mit YB sein? Wir müssen im Sommer schauen, was wir wollen.

Marcel Koller steht auf physisch starke Spieler.

Das ist so. Für mich muss ein Mix da sein. Selbstverständlich werden auch die Wünsche des Trainers berücksichtigt. Aber natürlich auch die Finanzen. Und dann gibt es eigene Ideen, die man als Klub verfolgen will.

Passt denn der Trainer mit seinen Ideen zu den Ideen, die der Klub hat?

Dazu mache ich mir im Moment keine Gedanken. Wir haben am Sonntag einen Final vor uns, das ist das einzige was jetzt zählt..

Aber Sie werden sich vor dieser Woche Gedanken gemacht haben und werden dies auch nach dem Sonntag tun.

Nein, momentan nicht.

Wirklich nicht?

Natürlich nicht.

Natürlich wäre, wenn Sie das getan hätten, da es eine so wichtige Entscheidung ist.

Aber dann würde ich Ihnen ja jetzt auch nicht sagen, was der Stand ist.

Letzte Woche wurde der Geschäftsbericht 2018 publiziert. Der FCB muss 21 Millionen sparen. Wie konsterniert nehmen Sie das zur Kenntnis?

Über Zahlen gibt Ihnen der Präsident Auskunft. Aber nochmal: Wenn für einen Sportchef Geld keine Rolle spielt, dann ist der Job sicherlich einfacher. Unsere Aufgabe ist es, den Erfolg zurück zu bringen und gleichzeitig den Apparat runterzufahren.

Die Bedeutung an einer europäischen Teilnahme wurde in diesem Bericht erneut ersichtlich. Der Weg nach Europa wird aber immer schwieriger. Mit einem Meistertitel gab es früher einen direkten Startplatz. Inwiefern sind Vergleiche mit Ihrem Vorgänger Georg Heitz denn eigentlich unfair?

Die sind total unfair. Aber es macht keinen Sinn, darüber zu reden. Es war unglaublich schwer, von Heusler und Heitz zu übernehmen. Es ist immer einfacher, von hinten zu schiessen anstatt Verantwortung zu übernehmen. Das tun wir immerhin. Und auch der Präsident tut das, indem er schaut, dass es den Klub in fünf Jahren noch gibt. Deshalb dürften wir auch mal etwas Respekt einfordern für die Aufgabe, die wir hier übernommen haben. Ich bin nicht mit einem Bachelor-Abschluss auf die Welt gekommen und habe keine Ausbildung als Sportchef. Die letzten zwei Jahre aber haben mir aber Erfahrungen gebracht, die mir zehn Jahre Studium nicht gebracht hätten.

Wird Ihre Arbeit unterschätzt?

Zum Teil sicherlich. Ein bisschen mehr Objektivität wäre manchmal schön. Ich will keine «Carte blanche», aber einen Realitätssinn.

Sie betonen immer wieder, dass Sie nicht als Fan handeln und sich nicht zu sehr von Ihren Emotionen leiten lassen dürfen. Wie oft erwischen Sie sich noch dabei, diese Emotionen zugunsten des rationalen Denkens unterdrücken zu müssen?

Während eines Spiels muss ich meine Emotionen im Griff haben. Aber ich werde immer Fan dieses Klubs bleiben. Es macht mich ja auch aus, dass ich emotional bin. Was dieser Klub mir bedeutet, das weiss jeder. Das wissen selbst meine härtesten Kritiker. Ist es nicht auch das, was es ausmacht? Dass jemand Emotionen hat? Es ist schliesslich kein normaler Job.

Sie konnten Ihre Emotionen mit Ausnahme des United-Heimspiels öffentlich kontrollieren. Darf man damit rechnen, dass am Sonntag alle Bänne brechen, wenn der Titel Realität sein sollte? Oder haben Sie Angst, dass man Sie dafür dann verurteilen sollte?

Wenn wir diesen Titel holen, ist es mir komplett egal, wer was sagt. Punkt. Es wird emotional werden. Ich werde mich als Mensch nicht verändern, ich bleibe mir treu. Ich kann jeden Tag in den Spiegel schauen, das ist das, was für mich zählt. Und wenn am Sonntag dieser Titel geholt wird, dann wird es in ganz Basel wieder die ganz grossen Emotionen geben. Grösser als bei den letzten zwei, drei Meistertiteln. Denn zwei Jahre im Tal der Tränen nehmen die Selbstverständlichkeit weg und sorgen dafür, dass es wieder etwas ganz Spezielles wird. Dann merken auch die Leute, dass der Weg stimmt. Dann kann in Basel wieder eine Euphorie entstehen, die die Mannschaft trägt und uns hilft, wieder näher an YB ranzukommen. Dann kann ich Ihnen vielleicht auch in einem nächsten Interview sagen: Es hat sich alles gelohnt.