Fussball
Wie schweizerisch ist unsere Nati? – Geissenpeter-Nati war gestern!

Pajtim Kasami jubelt nach seinem Treffer mit einem Doppeladler und zeigt damit, dass er seine Herkunft nicht vergessen hat. Prompt ging ein Aufschrei durchs Land. Doch wie schweizerisch ist unsere Nati? Klar ist: Geissenpeter-Nati war gestern!

François Schmid-Bechtel
François Schmid-Bechtel
Drucken
Pajtim Kasami

Pajtim Kasami

Nordwestschweiz

Das Befremden keimt auch heute auf. Kaum, dass die Nationalhymne ertönt. Denn sie bewegen ihre Lippen nicht. Fixieren irgendwo im Publikum einen Punkt. Sapperlot, wieder haben diese Balkaner nicht gesungen. Und dann sinnieren die Leute, die selbst vor Jahren letztmals die Nationalhymne gesungen haben: Sind diese Tschütteler überhaupt richtige Schweizer? Ist das noch unsere Nationalmannschaft?

Es sind in der Regel die folgenden 90 Spielminuten, die den Zuschauern eine Antwort auf diese und ähnliche Fragen liefern. Aber wehe, die Spieler jubeln nicht vaterländisch. Doppeladler oder so. Das trübt dann die Freude über den Torerfolg, weil dieser Doppeladler ja kein Alpensteinbock ist. Der hat sich auch nicht integriert wie die fleissige Tigermücke aus Asien. Nein, der Doppeladler – üble Sache. Der hat irgendwas mit Albanien oder Kosovo, also «dort unten» zu tun.

Nachdem Granit Xhaka als Spieler von Mönchengladbach und Pajtim Kasami als Spieler von Olympiakos Piräus ihre Tore mit einem Doppeladler zelebrierten, ging ein Aufschrei durchs Land wie bei Micheline Calmy-Rey, als sie im Iran ein Kopftuch trug.

Beim Schweizerischen Fussballverband sind wegen des Doppeladlers so viele Beschwerden eingegangen, dass dieser mit den Nationalspielern einen «Workshop» durchführte: «So juble ich richtig.» Nein, natürlich nicht. Aber er hat den Spielern seine Wünsche und Empfehlungen punkto Aussendarstellung auf dem Rasen und im Netz mitgeteilt.

Weniger Adler, weniger Minarette, weniger Ausländer = mehr Schweiz?

Die Fans einer Geissenpeter-Nati monieren, der Verband sei in den Fängen des Doppeladlers. Aber Kasami ganz artig hinterher: «Ich mache keinen Adler mehr.» Weniger Adler, weniger Minarette, weniger EU, weniger Ausländer, weniger Deutsche, weniger Stau. Weniger ist mehr – wenn das Leben nur so einfach wäre. Es ist gut, wenn Fussballverbände und Klubs die Spieler in Sachen Aussendarstellung sensibilisieren. Dabei muss aber nicht das seelische Wohl von Alpöhi zentrale Antriebsfeder sein. Nein, es geht um ihre Rolle als Vorbilder. Ihre meinungsbildende und integrative Kraft.

Denn es gab sie, die diskussionswürdigen Aktionen. Ein Gruss mit ausgestrecktem Arm von Basel-Spieler Taulant Xhaka. Ein Kommentar von Granit Xhaka zu einem Bild, das seinen Bruder mit aufgezogener Faust zeigt: «Das zeigt die Stärke der Albaner. Wir gedenken Adem Jashari.» Dieser war Mitbegründer der paramilitärischen Organisation «Befreiungsarmee des Kosovo».

Wie viele Likes hat Arnold Winkelried auf Facebook?

Es mag für uns befremdlich sein, wenn junge Kosovaren einen Kriegshelden verehren, während unsere Kinder beim Namen Arnold Winkelried fragen: «Wie viele Likes hat der auf Facebook?» Der Urschweizer lebt seit Urzeiten in seiner urgemütlichen, urgeschützten und später urreichen Schweiz, während rundherum der Orkan tobt. Im Kosovo sogar bis vor gut 20 Jahren. Wobei noch heute immer wieder heftige Windböen die Grosswetterlage beeinflussen.

Integration funktioniert nicht ohne Geduld. Wir wissen nicht, was Xhakas Vater während seiner dreijährigen Gefangenschaft als «Politischer» erlebt hat. Wir können das Elend von Behramis Vater nicht nachvollziehen, das ihn zur Flucht bewogen hat. Weil alles so frisch – die Republik Kosovo, die Schweiz als zweite Heimat –, ist es nichts als logisch, wenn in den Familien hin und wieder die Orientierung fehlt.

Im heutigen EM-Qualifikationsspiel gegen Litauen werden wir keinen Doppeladler sehen, sagen die Spieler. Gleichwohl sind wir in Sorge. Weil schon Tage vor dem Anpfiff so viel über den Jubel debattiert wurde. Wenn das mal bloss kein schlechtes Omen ist. Denn eigentlich ist es egal, wie die Spieler jubeln, solange es nicht faschistisch wird. Hauptsache, sie können jubeln. Wer anderer Meinung ist, soll doch gleich Ecopop zustimmen und die Abschaffung des Nationalteams initiieren. Weil eine Heidi-Schweiz so realitätsfremd ist wie eine Geissenpeter-Nati.

Und was den Psalm betrifft: Haben Sie sich auch darüber aufgeregt, als Didier Burkhalter am 1. November bei der Eröffnung des arabischen Forums für die Rückführung von Vermögenswerten in Genf vergessen hat, die Hymne zu singen?