Videobeweis
Videobeweise im Fussball: Eine gute Idee wird schlecht umgesetzt

Gleichwohl gibt es in der Bundesliga dank dem Videobeweis massiv weniger Fehlentscheidungen.

Markus Brütsch
Drucken
Ein typisches Bild seit der Einführung des Videobeweises: Ein Schiedsrichter prüft auf dem bereitgestellten Bildschirm am Spielfeldrand eine Szene.

Ein typisches Bild seit der Einführung des Videobeweises: Ein Schiedsrichter prüft auf dem bereitgestellten Bildschirm am Spielfeldrand eine Szene.

Keystone

Aufhören! Nein, weitermachen! An den Stammtischen und in Fernsehtalkrunden wird hitzig diskutiert. Die Einführung des Videobeweises in der deutschen Bundesliga polarisiert. Das Fachmagazin «Kicker» fordert: Sofort abschaffen! Eine Umfrage der Presseagentur DPA ergibt dagegen, dass 64 Prozent der Fussballfans für eine Fortführung sind.

Trainer wie Mönchengladbachs Dieter Hecking plädieren für Geduld und das Justieren von Stellschrauben. Als beim Confed Cup im Juni der Videobeweis erstmals bei einem grösseren Turnier zum Einsatz kam, sorgten einige skurrile Entscheide für Unmut. Die deutschen Schiedsrichter aber, die sich ein Jahr lang vorbereitet hatten, sagten: Kein Problem, wir schaffen das! Doch schon beim Bundesligastart streikte die Technik.

Haarsträubende Einmischungen

Während der gesamten Vorrunde kam es zu haarsträubenden Einmischungen der Videoassistenten (VA), die in Köln das Geschehen an mehreren Bildschirmen verfolgen. So wurde ein glasklarer Penalty für Mönchengladbach zurückgenommen, weil der VA ein Foul an einem Schalker gesehen haben wollte, das sich neun(!) Sekunden zuvor zugetragen hatte.

Beim Spiel Mainz gegen Köln hatte Schiedsrichter Brych trotz einer deutlich erkennbaren Schwalbe von De Blasis auf Penalty entschieden und war dann vom VA unverständlicherweise bestätigt worden. Vor den Bildschirmen fragten sich Hunderttausende: Wofür gibt es eigentlich den Videoassistenten? Spieler, Funktionäre und Fans blickten viel zu oft nicht mehr durch.

Eine Enttäuschung

Jetzt, nach Abschluss der Vorrunde, kann eine Zwischenbilanz dieses Tests, der auf ein Jahr befristet ist, gezogen werden. Es schleckt keine Geiss weg: Es gab zu viele Pleiten und Pannen, der Videobeweis war bis jetzt eine Enttäuschung. Auch nach dem Austausch von Projektleiter Krug änderte sich daran nichts. Die VA hielten sich nicht an die vor Saisonbeginn vom International Football Association Board (Ifab) gesetzte Regel, nur bei eindeutigen Fehlentscheidungen des Schiedsrichtergespanns zum Einsatz zu kommen.

Ifab-Geschäftsführer Lukas Brud bemängelte, der Videoassistent habe zu oft eingegriffen. Es ist offensichtlich: Die Einführung des Videobeweises ist massiv unterschätzt und eine zeitgemässe Idee mangels Einhalten klarer Absprachen fahrlässig beschädigt worden.

Dass ein solcher Einschnitt gewöhnungsbedürftig sein würde, war jedoch schon im Vorfeld klar gewesen. Es ist hart für jene, die gerade ein Tor bejubelt haben, nach einer endlos scheinenden Wartezeit aber erkennen müssen, dass dieses aberkannt worden ist. «Ein Stimmungskiller», sagt Leverkusens Sportdirektor Rudi Völler dazu. Stellt sich aber die Frage: Ist es toll, sich über ein irreguläres Tor zu freuen?

Fehlende Transparenz

Unbestritten ist, dass sich die Stadionbesucher oft wie im falschen Film gefühlt haben. Im Gegensatz zum TV-Zuschauer erfuhren sie nicht, warum der Videobeweis so und nicht anders gefällt wurde. Das Ifab fordert nun, dass im Stadion die Szenen gezeigt werden, weil Transparenz entspannen würde.

Überhaupt sollte der Videobeweis weiter eine Chance bekommen. Denn jetzt, wo sich der Pulverdampf der Polemik allmählich verzieht und die Sicht auf die Fakten klarer wird, bringt eine Analyse der ARD wichtige Erkenntnisse. Sie zeigt, wie sehr die (noch zu) vielen Fehler der Schiedsrichter und Videoassistenten im Fokus standen, die mittels Videobeweis korrigierten Fehler aber kaum gewürdigt wurden.

Fast 1000 Entscheidungen wurden überprüft

Total wurden fast 1000 Entscheidungen überprüft. Das sind 7 pro Spiel. Insgesamt wurden nachträglich 19 Penaltys gegeben, 11 zurückgenommen, 5 Platzverweise ausgesprochen und einer zurückgenommen. Dazu wurden 11 Tore aberkannt. In den vergangenen fünf Jahren gab es pro Hinrunde im Schnitt 52 Fehlentscheidungen, mit dem Videobeweis sind es nur noch deren 23. Der Fussball ist damit ohne Zweifel ein Stück gerechter geworden.

Am Ende des Kalenderjahres hat der Videobeweis dann sogar noch ein paar weitere Pluspunkte gesammelt. Die Achtelfinalspiele des DFB-Pokals in dieser Woche haben reglementsgemäss ohne VA stattgefunden, die zahlreichen Fehlentscheidungen der Schiedsrichter aber die Gemüter erregt. Manche haben den Videobeweis schon richtig vermisst.