Am Sonntag empfängt der FC Basel die Young Boys zum Spitzenkampf. Es ist auch das Duell der Sportchefs Marco Streller und Christoph Spycher, die sich früher auf dem Platz als Leaderfiguren duellierten.
Es geschieht an Benjamin Huggels 40. Geburtstag. Es ist August, ein warmer Sommertag, die Stimmung ausgelassen. Die Blicke von Marco Streller, gerade zum Sportchef des FC Basel gewählt, und Christoph Spycher, seit Herbst 2016 in gleicher Funktion bei YB tätig, kreuzen sich. Augenringe haben beide.
Die Transferzeit im Sommer hat Spuren hinterlassen. Bei beiden. Lange reden sie – nicht so sehr über die gemeinsame Vergangenheit in der Nationalmannschaft, sondern eben über ihre neuen Jobs, die Herausforderungen, aber auch den Spass, den sie dabei haben.
Am Sonntag kreuzen sich ihre Wege wieder. Der FC Basel empfängt die Young Boys im Joggeli zum Spitzenduell. Ein wegweisendes Spiel im Kampf um den Meistertitel. Anlass genug, die beiden jungen Sportchefs in den Fokus zu rücken.
Es ist September 2016 und für einmal ist es nicht der Schwarze Block, der die Hauptstadt auf den Kopf stellt. Für den Wirrwarr ist YB verantwortlich. Fredy Bickel wird als Sportchef entlassen. Eigentlich hat YB mit SFV-Nachwuchskoordinator Paul Meier schon einen neuen Mann. Der Drahtzieher: ein gewisser Urs Siegenthaler, Teil des Trainerstabs der deutschen Nationalmannschaft und ab März 2016 im YB-Verwaltungsrat. Dann kommentiert er den Abgang Bickels in Basler Dialekt – aus der VIP-Loge von Bernhard Burgener im Joggeli. Die YB-Fans drehen durch, Siegenthaler wird untragbar. Er nimmt den Hut – und Meier braucht gar nicht zu kommen.
«Das waren sehr unruhige Tage», erinnert sich der 39-jährige Spycher. «Es lag damals etwas in der Luft, die Verwaltungsräte waren auffällig oft in den Büros, oft bei Fredy. Was damals ablief – auch das Interview von Siegenthaler –, ist für mich bis heute schwer nachvollziehbar.» Ganz Bern schrie nach Christoph Spycher, ehemaliger Captain von YB und zu diesem Zeitpunkt Talent-Manager.
«Für mich war es ein sehr schwerer Entscheid.» Eigentlich wollte Spycher ablehnen. Aus Solidarität mit Bickel. Auch weil er diesen Schritt eigentlich erst drei bis fünf Jahre später machen wollte. Und weil sich der Klub in diesen Tagen vor der ganzen Fussball-Schweiz der Lächerlichkeit preisgab. «Aber im Fussball kannst du heutzutage keine Karriere am Reissbrett skizzieren.» Und so packt Spycher die Chance, die sich ihm bietet, stellt Bedingungen und empfiehlt, dass Vertrauensmann Ernst Graf als sportliche Kompetenz in den Verwaltungsrat aufgenommen wird. Zudem legt er Kommunikations- und Entscheidungswege fest. Dann springt er ins kalte Wasser.
Im Gegensatz dazu lief die Übergabe in Basel in geordneten Bahnen. Auch wenn der Wechsel für viele überraschend kam. Marco Streller hatte Zeit, sich vorzubereiten – auch wenn zwischen seinem Rücktritt als Spieler und seiner Ernennung zum Sportchef bloss zwei Jahre verstrichen sind. Dass die beiden Aufgaben grundverschieden sind, «unterschätzt man manchmal», gibt er heute zu. «Man darf sich nicht mehr zu sehr von Emotionen leiten lassen, sich gleichzeitig aber auch nicht ganz verändern.»
Streller ist noch in der Findungsphase. «Es gibt Momente, da fängst du an, dich zu hinterfragen. Nicht gleich zu zweifeln, aber kritisch zu überlegen, ob du die richtigen Entscheide getroffen hast.» Streller ist ein selbstkritischer Mensch. Einer, der sich, wenn nötig, Rat holt. Vor allem von Georg Heitz, von dem er sich aber immer mehr emanzipiere. Einfach sei es aber nicht: «Ich wurde ins kalte Wasser geworfen, musste vieles selber lernen.» Eine Management-Ausbildung hat Marco Streller nicht. Zudem hätten Heitz und Bernhard Heusler nach seinem Rücktritt 2015 nicht angedeutet, welche Idee vielleicht bereits in ihnen geschlummert hatte.
Weil Streller viel am neuen Job liegt, holt der 36-Jährige die Management-Ausbildung nach. «Ich will zudem bei anderen Sportchefs hospitieren.» Er ist mit Exponenten aus der Bundesliga in Kontakt – Bobic, Heldt, Rangnick – und will sobald wie möglich einen besuchengehen. Man müsse solche Möglichkeiten nutzen, «wenn man sie hat».
Doch zuerst kommt YB. Das Spitzenspiel. Dieses wegweisende Duell. Die Ausgangslage ist klar: Die Berner liegen sieben Punkte vor den Baslern – und beide Teams mussten zuletzt einen herben Dämpfer einstecken: Basel stand am Dienstagabend mit einem Bein im Champions-League-Achtelfinal, verlor am Schluss aber doch 1:2 gegen ZSKA Moskau. Jetzt haben die Russen die leicht besseren Karten. YB dominierte gegen Dynamo Kiew in der Europa League über weite Strecken, aber am Schluss zottelten die Berner hängenden Kopfes vom Platz. 0:1, bloss noch Platz 3. Ein Sieg muss auswärts gegen Partizan Belgrad her, wenn YB europäisch überwintern will.
«Das Spiel gegen Basel ist absolut zentral. Natürlich – danach ist noch nicht einmal die Hälfte der Meisterschaft gespielt, aber das Duell kann einen wegweisenden Charakter haben»,sagt der YB-Sportchef. Und: «Wir wollen etwas holen in Basel, keine Frage. Aber der Druck ist für den FCB ungleich grösser als für uns.» Oder wie es Marco Streller sagt: «Alles ist möglich. Auch, dass wir am Sonntagabend zehn Punkte Rückstand auf YB haben. Das wäre aber natürlich sehr enttäuschend für uns.»
Der Sportdirektor des FC Basel ist sich der diffizilen Lage bewusst. «Zehn Punkte Rückstand wären eine Hausnummer.» Sollte dieses Szenario eintreffen, würde er trotzdem nicht von einer Krise beim FCB sprechen wollen. Obwohl er weiss, das manches anders ist. «Ich habe seit Beginn der Saison gelernt, dass es oft nur schwarz oder weiss ist, eine Grauzone gibt es selten.» Der Basler Fan sei kritisch, aber auch treu und begeisterungsfähig.
Optimistisch sind sie beide, Spycher wie Streller. Ersterer sagt: «Wir haben uns im Sommer drei Vorgaben gemacht: Wir wollten mehr Speed, mehr Hunger und mehr Konstanz.» Spycher spricht davon, dass YB im Sommer auch einen «Mentalitätswandel» angestrebt habe. Insgesamt verliessen neun Spieler den Klub, Talente wie Yvon Mvogo oder Denis Zakaria, aber auch Altgediente wie Milan Gajic (30) oder Alain Rochat (34). Man holte junges Blut. Leute wie Djibril Sow (20) oder Jordan Lotomba (19), aber auch routiniertere Spieler wie Christian Fassnacht (23) oder Jean-Pierre Nsamé (24). Die Niederlagen gegen Lausanne und Thun beunruhigen Spycher nicht gross. «Aber klar, solche Ausreisser darf es nicht oft geben.»
Der Umbruch im Team bei YB war gross. Der FCB aber wechselte die ganze Führungsriege aus und die Mannschaft wurde erneuert. «Aber eigentlich haben sie zwei gute Stürmer mit zwei guten Stürmern ersetzt – und Matias Delgado ist zurückgetreten. Aber sonst hat sich nicht viel verändert», sagt Spycher.
Trotzdem brauchten Trainer Wicky und Mannschaft Zeit, bis sie Tritt fanden. Die letzten zwei Monate aber stimmen Marco Streller optimistisch. Weil die Variable in den Leistungen schmaler geworden und das Selbstverständnis fürs Spiel zurückgekehrt ist. Man sei noch immer etwas fragil, aber zwei Schritte weiter. So weit, dass Streller zuversichtlich ist, dass der Rückstand am Sonntagabend nur noch vier Punkte beträgt. «Dann sind wir in Schlagdistanz und YB spürt den Druck wieder mehr.»
So oder so: Die Spannung ist zurück in der Meisterschaft. Denn während der FC Basel in den letzten Jahren der Konkurrenz enteilte, hechelt er jetzt hinterher. Und so verspricht das Duell vom Sonntag eines auf Augenhöhe zu werden. Ein Spiel mit Spektakel und Emotionen. «Wir haben keine Angst, aber Respekt. YB spielt gut. Für den Schweizer Fussball ist es förderlich, dass gute Gegner da sind. Das macht auch uns besser», erklärt Streller.
Beide Sportchefs geben alles für ein Ziel: das Bestmögliche für ihren Verein herauszuholen, das europäische Überwintern, den Cupsieg vielleicht. Doch über allem steht die Meisterschaft. Das spüren auch ihre Familien, ihre Frauen und Kinder. «Ich brauche die volle Unterstützung meiner Frau, damit ich meine Rolle als Vater so ausfüllen kann, wie ich das will», sagt Spycher. Ohne ihr Einverständnis hätte er den Job nicht angenommen. Die Konsequenz aus seinem Engagement für YB: «Für mich habe ich kaum noch Zeit. Ich komme fast nicht mehr dazu, aktiv Sport zu treiben oder meine Freunde zu sehen. Viel mehr als Job und Familie gibt es nicht.»
Mal eben mit den Kindern ins Schwimmbad oder übers Wochenende spontan Skifahren gehen im Wallis – es sind Freiheiten, die auch für Marco Streller der Vergangenheit angehören. Aber für ihn war immer klar, dass auch mit der neuen Rolle, die Familie nicht zu kurz kommen darf. «Sicher habe ich weniger Zeit, als ich vielleicht erwartet habe», muss er sich aber eingestehen. Und: «Zu Beginn bin ich nach Hause gekommen und war mit dem Kopf noch im Büro. Das gehört in solchen Jobs dazu, vor allem, wenn es nicht optimal läuft. Aber mittlerweile kann ich es gut trennen.»
Am Sonntag treffen sie sich wieder, Marco Streller und Christoph Spycher. Und während sie sich früher auf dem Platz duellierten, wirken sie jetzt hinter den Kulissen. Dass sie auch dort so schnell so viel Verantwortung tragen würden, hätten wohl beide nicht gedacht.