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Die Fans sind begeistert von Trainer Peter Zeidler und dem FC Sion, fragen sich aber, wie lange Präsident Christian Constantin und der Deutsche das Heu auf der gleichen Bühne haben.
Ist der Mann ein Magier? Oder einfach bloss einer, dem in den letzten Wochen das Glück nachgelaufen ist? Seit Peter Zeidler am 22. August beim FC Sion Trainer geworden ist, haben die Walliser kein einziges Spiel mehr verloren. Neun Mal sind sie in der Super League und zwei Mal im Cup ungeschlagen geblieben. Es scheint, Präsident Christian Constantin sei mit der Verpflichtung des in der Schweiz zuvor gänzlich unbekannten Deutschen ein Coup gelungen.
Aber nicht nur die Resultate stimmen. Unter Zeidler zeigen die Sittener auch einen spektakulären Offensivfussball mit 34 Toren in elf Partien. Beim letzten Spiel in Thun ist der Walliser Fanblock gerammelt voll gewesen. Begleiten viele Anhänger den FC Sion zu Auswärtsspielen, ist dies ein untrügliches Zeichen dafür, dass die Liebe und die Leidenschaft für den Klub Hochkonjunktur haben. Doch es fragt sich: Ist der Aufschwung vor allem der guten Laune des Spielplans geschuldet und nach den nun folgenden Härtetests gegen YB und Basel bereits wieder Vergangenheit? Kann Zeidler die Pace halten und wie reagiert der Präsident nach Rückschlägen? Die «Schweiz am Sonntag» hat sich im Wallis umgehört und fünf Menschen getroffen, die den FC Sion aus dem Effeff kennen.
Der 41-Jährige bittet den Besuch in sein Musikatelier in Naters direkt am Rhoneufer. Salzmann ist Musiker und spielt seit acht Jahren als Percussionist & Hackbrettspieler in der Band von Stefanie Heinzmann. Sein verstorbener Vater Amadé ist im Wallis eine Legende als Komponist, Künstler, Erfinder, Autor und Musiker. Er hat seinem Sohn viel Talent vererbt. Gut zu hören ist dies vor zwei Wochen im Volkshaus gewesen, als Salzmann und Heinzmann mit Walliser Hackbrett beim Konzert der Kölner Rockgruppe BAP einen Auftritt hatten. Doch der Oberwalliser hat sein Herz nicht nur an die Musik, sondern auch an den FC Sion verloren. Sein Taufpate René Ritler war Fotograf für die Agentur Keystone und nahm den kleinen Ephraim schon früh mit ins Stadion. «Bouderbala, Cina, Brigger und Bregy waren unsere Idole», sagt Salzmann, der eine Dauerkarte für das Tourbillon hat. Er erzählt die Geschichte von seiner guten Freundin Désirée In-Albon Schweizer, die am Tag vor dem Cupfinal 2015 geheiratet hatte, dann direkt mit einigen Gästen nach Basel fuhr und im Brautkleid auf dem Rasen des St. Jakob-Parks den 3:0-Triumph des FC Sion feierte. «Meiner Meinung nach war dies das beste Spiel, das unsere Mannschaft je gezeigt hat», sagt Salzmann. «Der Cupfinal vereinigt das Wallis. Solche, die sich auf der Strasse kaum grüssen oder kennen, fahren mit dem gleichen Geist ans Endspiel und sorgen für energetische Schwingungen, die im Sieg münden.» Salzmann ist von Zeidlers Arbeit angetan: «Vorher kam mir die Mannschaft wie eine Herde Schwarznasenschafe vor, jetzt besteht sie aus kampfstarken Eringerkühen.»
Mitten in den Rebbergen von Savièse lebt Charly In-Albon mit seiner Familie. Der frühere Haudegen des FC Sion und von GC sitzt an diesem frühen Nachmittag im Wohnzimmer und spricht über den FC Sion. In diesem Klub ist er gross geworden, hat er es früh in die erste Mannschaft geschafft und diese viele Jahre später sogar während ein paar Monaten trainiert. In-Albon gehört zu den Kritikern von Christian Constantin. «Er hat Ambitionen, die der Walliser eigentlich nicht hat. Wir sind ein Randkanton und brauchen die Champions League nicht», sagt In-Albon. Auf der andern Seite anerkennt er, was der Präsident bewirkt: «Zu seiner Sauerkraut-Gala kommen jedes Jahr 7000 Leute. Das ist genial und zeigt die extreme Identifikation der Walliser mit dem FC Sion.» Und: Von aussen betrachtet gelte durchaus die Gleichung: Wallis = Matterhorn + FC Sion.
Den aktuellen Höhenflug des FC Sion schreibt In-Albon, der seit 17 Jahren als Verkaufsberater in der Medizinbranche tätig ist, dem Trainer zu: «Was Peter Zeidler leistet, ist hervorragend. Er hat die deutsche Mentalität reingebracht. Und es freut mich, junge Einheimische wie Sierro, Follonier und Karlen zu sehen. Wir können sicher gegen YB um den zweiten Platz kämpfen.» In-Albon, selber ab und zu im Tourbillon anzutreffen, sagt: «Ich hoffe nur, dass Constantin nicht bei der ersten Niederlage wieder beginnt in die Arbeit des Trainers hineinzufunken. Ich wünsche mir mehr Nachhaltigkeit.»
Peter Zeidler sitzt vor dem Mittagessen in der Lobby des Hotels Porte d’Octodure in Martigny und nimmt sich Zeit, über die ersten Monate seiner Tätigkeit in Sion zu sprechen. «Jetzt warten die richtigen Prüfungen», sagt Zeidler. YB und Basel sind die nächsten Gegner. Freddy Mveng kommt vorbei und schüttelt dem Trainer mit traurigen Augen die Hand. «Ich muss nachher mit ihm sprechen. Er ist verzweifelt, weil er verletzt ist und nicht spielen kann», erklärt Zeidler, als der Spieler weg ist.
Die Episode zeigt, warum der Deutsche bisher so erfolgreich ist: Die Kommunikation zwischen ihm und der Mannschaft stimmt. Ein zweites Beispiel dafür ist das Ritual nach dem Halbzeitpfiff. Zeidler läuft jeweils auf den Platz, die Spieler versammeln sich um ihn und erst dann geht es gemeinsam in die Kabine. «Wir zeigen damit, dass wir ein Team sind», sagt der 54-Jährige. Mit Präsident Constantin kann er sich stundenlang über Fussball unterhalten. «Ich habe in Hoffenheim und Salzburg mit Dietmar Hopp und Dietrich Mateschitz grosse Persönlichkeiten kennen gelernt, aber Constantin ist viel greifbarer», sagt Zeidler. Er ist überwältigt von der Identifikation der Walliser mit dem Klub: «Diese Woche sind 600 Leute zu einer Autogrammstunde gekommen − der Wahnsinn.» Sie gaben ihm zu verstehen: «Du bist einer von uns!» Dass er deutsch und französisch spricht, ist Gold wert. «Ich passe wie die Faust aufs Auge hierher», sagt Zeidler. Natürlich hat er von den Launen Constantins erfahren und sagt: «Das Gebilde ist nicht fragil, aber sensibel.»
Der vielbeschäftigte Politiker und Walliser Staatsrat Jean-Michel Cina (53) hat ein Zeitfenster gefunden und schildert am späten Nachmittag in seinem Büro im Regierungsgebäude an der Place de la Planta in Sitten, was ihn mit dem FC Sion verbindet. Vor zwei Wochen ist er mit Constantin zum Spiel in Thun gefahren. Sie besprachen die vom Präsidenten des FC Sion angestossene Olympiakandidatur, deren Dossier bis zum 15. Dezember eingereicht werden muss.
Aber Cina, der vor 30 Jahren unter Trainer Alexander Mandziara im erweiterten Kader der erfolgreichen Young Boys stand, erlebte bei diesem Trip hautnah, wie positiv sich der FC Sion in den letzten Monaten verändert hat. «Ich sah in Thun, wie Constantin den Weg zum einfachen Bürger findet und welche Wertschätzung dieser ihm entgegenbringt», sagt Cina, dessen Bruder Dominique es auf 14 Länderspiele gebracht hatte. «Und ich konnte sehen, was für ein gutes Händchen er bei der Trainerwahl gehabt hat. Zeidler hat eine natürliche Autorität und es ist ihm gelungen, dem Team eine Seele zu geben.» Cina, der nächstes Jahr als Staatsrat zurücktritt und Präsident der SRG wird, sagt: «Der FC Sion und das Wallis sind eine Einheit, fest verwachsen und ein wichtiges Bindeglied zwischen dem Ober- und dem Unterwallis.» Er glaubt, dass es ohne Constantin den Klub in dieser Form nicht geben würde, die Walliser Siegermentalität aber schon. «Das Never-give-up» ist dank dem Kampf gegen die Naturgewalten im Gen der Walliser Bergler», sagt Cina, der als eingefleischter Fan des FC Liverpool auch durchaus über die Spitzen der Walliser Alpen hinausblicken kann.
Es ist noch stockdunkel, als Christian Rieder in Wiler im Lötschental aufbricht, um pünktlich um 7 Uhr zum verabredeten Gespräch beim Bahnhof in Visp zu sein. Der 34-Jährige ist auf dem Weg in den WK nach Spiez und muss bald weiter. Rieder ist der Gründungspräsident des Fanklubs Lötschental und durch seinen Vater zum Fan des FC Sion geworden. «Heute gehe ich mit ihm und meiner Tochter ins Tourbillon. Es ist meine zweite Heimat», sagt Rieder. Er betont, dass sie immer ins Stadion gegangen seien, auch damals, als der FC Sion 1998 in der ersten Amtszeit von Constantin mit 15 Millionen Franken Schulden am Rande des Konkurses stand.
Rieder glaubt, dass sich der Präsident in den vergangenen zwei Jahren verändert hat und zurückhaltender geworden ist. Es hat ihn überrascht, wie lange Didier Tholot Trainer bleiben durfte und wen der Präsident danach aus dem Hut gezaubert hat. «Peter Zeidler ist ein sensationeller Psychologe. Er findet die richtige Balance zwischen Distanz und Nähe zu den Spielern», sagt Rieder, der von Beruf Suchtberater ist und bei fünf der dreizehn Cupsiege dabei war. «Jetzt haben wir eine Trainerfigur, welche die Werte des Wallisers vertritt: Kampf, Ehrgeiz, Leidenschaft. Das hat hier lange kein Trainer mehr so artikuliert. Es kann sein, dass das alte Feuer und der Tourbillon-Geist wieder erwachen. Wie in den 80er- und 90er-Jahren, als unser Stadion für jeden Gast die Hölle war.» Obwohl Rieder beim Präsidenten eine gewisse Altersmilde erkannt hat, schwingt Skepsis mit, wenn er sagt: «Wir sind gebrannte Kinder. Wenn sich Zeidler und Constantin morgen verkrachen, ist das keine Überraschung.»