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Am 13. Juni wird am Fifa-Kongress die WM 2026 erstmals nach neuen Spielregeln vergeben – mit präsidialen Nebengeräuschen. Wer aber macht das Rennen?
Wie könnte es bei der Fifa anders sein. Anstatt über die positiven Auswirkungen der Reformen auf das Wahlprozedere des WM-Organisators, berichten Medien im Vorfeld des Fifa-Kongresses in Moskau vornehmlich über präsidiale Ränkespiele und politische Manöver.
So soll Präsident Gianni Infantino auf seiner Suche nach verheissungsvollen Geldquellen hinter den Kulissen alles dafür tun, dass das Konglomerat USA, Kanada und Mexiko bei der Vergabe der Endrunde 2026 den Vorzug vor der Bewerbung aus Marokko erhält.
Längst nicht alle Gerüchte stimmen. Allerdings ist offensichtlich, dass Infantino aus finanziellen Überlegungen ein grosses Risiko eingegangen ist, das ihn im nächsten Jahr sogar die Wiederwahl kosten kann.
Die Task Force, welche die beiden Bewerbungen aus Nordamerika und Nordafrika auf Herz und Nieren getestet hat, verneint eine präsidiale Einmischung in ihre Arbeit vehement. Auch Gerüchte, dass die Fifa kurzfristig die Vergabekriterien zuungunsten von Marokko habe ändern wollen, weist sie ins Reich der Märchen.
Die Arbeit dieser Evaluationskommission hat durch die neuen Spielregeln für die Vergabe der WM eine ungleich wichtigere Rolle erhalten. Die Beurteilung der Kandidaten nach einem messbaren Punktesystem soll dazu führen, dass der WM-Gastgeber künftig mehr aus technischen Aspekten als aus politischen Gründen den Zuschlag erhält. «Der sehr detaillierte Kriterienkatalog verunmöglicht eine politische Entscheidung, weil darin sehr wenig Ermessensspielraum besteht», erklärt ein Fifa-Mitarbeiter.
Rund 200 Seiten dick ist der Bericht dieser Task Force, die sogar die Möglichkeit hätte, einen Kandidaten von der Wahl auszuschliessen. Dies geschieht, wenn er die technischen Mindeststandards nicht erfüllt, der Punktedurchschnitt des Kriterienkatalogs tiefer als 2 ist (Maximalnote 5).
Gerüchte, wonach die Fifa Marokko so frühzeitig aus dem Rennen nehmen will, haben sich nicht bewahrheitet. Marokko überwand diese Hürde mit der Gesamtnote 2,7. Das von den USA geführte Trio erhielt eine 4,0. Bei den Afrikanern hat die Gruppe Bedenken in den drei Schlüsselbereichen Stadien, Unterbringung und Transport angebracht. Bei den USA wurde die Unterstützung der Regierung als Risiko bezeichnet.
In der Tat hat Präsident Trump einmal mehr mit seinen gefürchteten Tweets Öl ins Feuer gegossen. Er drohte Ländern, die bei der Abstimmung nicht für die USA votieren würden, mit Konsequenzen. Der Schuss könnte nach hinten losgehen und USA-kritische Nationen in den Schoss der Marokkaner führen.
Nach den Bestechungsskandalen um die WM-Vergaben 2018 (Russland) und 2022 (Katar) hat die Fifa den Wahlprozess für die Endrunden nämlich komplett umgebaut. Anstatt der erlauchte Kreis des Fifa-Rates wählen nun alle 207 stimmberechtigten Mitgliedsländer den WM-Gastgeber. Vorgesehen ist eine offene Wahl, in der die Entscheidung der einzelnen Nationen sichtbar ist.
Die Nordamerikaner bleiben für die Wahl des ersten WM-Veranstalters mit neu 48 teilnehmenden Mannschaften klarer Favorit. Wohl auch bei Infantino, der sich offiziell nicht äussern darf und strikt neutral sein muss. Immerhin versprechen die Organisatoren einen Rekordgewinn von 14 Milliarden Dollar, wovon stolze 11 Milliarden an die Fifa fliessen sollen.
Doppelt so viel wie bisher. Geld, das der Weltfussballverband gut gebrauchen kann, weil ihm viele Sponsoren nach den Korruptionsskandalen die Liebe aufgekündigt haben. Die Nordamerikaner wollen die WM als Premium-Event präsentieren, was unter anderem Auswirkungen auf die Ticketpreise hat.
Diese steigen gemäss Budget auf ein Rekordniveau von durchschnittlich 431 Dollar. 60 der 80 Spiele finden in den USA statt, je 10 in Kanada und Mexiko. Insgesamt sind 23 Austragungsorte vorgesehen. Für Kanada wäre es eine WM-Premiere.
Allerdings hat die Trump-Administration mit ihren Entscheidungen zur Einwanderung, zum Reiseverbot für bestimmte muslimische Nationen und zu den jüngsten Handelseinschränkungen viele Nationen vor den Kopf gestossen. Auch sind einigen Mitgliedern die nach wie vor laufenden Untersuchungen der US-Justiz gegen die Fifa ein Dorn im Auge. Deshalb könnte die Wahl dennoch eng werden.
Marokko hat eine überwältigende Unterstützung der 56 afrikanischen Nationen, die mehr als einen Viertel aller Stimmen ausmachen. Zudem zählt man auf grosse Sympathien bei muslimischen Ländern.
Auch europäische Nationen wie Frankreich oder Russland unterstützen Marokko. Das Land hat sich bereits viermal vergeblich um eine WM-Endrunde beworben, letztmals für das Turnier 2010. 1994 unterlag man bereits einmal den USA. Die Afrikaner werben mit Fussball der kurzen Wege und legen als Trumpf die gleiche Zeitzone wie Europa in die Waagschale. Europa ist für die Fifa der mit Abstand wichtigste TV-Markt.
Neben der WM-Vergabe findet sich auf der Traktandenliste des FifaKongresses ein zweites umstrittenes Traktandum. Auf Antrag des südamerikanischen Verbandes und mit Support von Infantino will die Fifa eine Machbarkeitsstudie in Auftrag geben, ob bereits die WM 2022 in Katar mit 48 Teams ausgetragen werden kann. Auch das würde den finanziellen Ertrag der Fifa steigern.
Objektiv gesehen ist diese frühzeitige Erweiterung ein Unding. Die WM, die wegen der klimatischen Bedingungen ausnahmsweise im Winter stattfinden wird (21. November bis 18. Dezember) wurde aus Termingründen bereits von 32 auf 28 Tage gekürzt, zudem plant Katar lediglich mit acht Stadien (Russland: 12), denen schon jetzt ein Ruinendasein nach der WM prophezeit wird.
Als Konsequenz müssten bei einem 48er-Turnier wohl Spiele in Nachbarländer vergeben werden. Nur liegen diese seit geraumer Zeit in einem diplomatischen Streit mit dem steinreichen Emirat.
Offiziell fällt der Kongress am 13. Juni die wichtigen Entscheidungen. Allerdings trifft sich bereits am Sonntag der Fifa-Rat zur Sitzung. Die Erfahrung des letzten Kongresses (Neubesetzung der Ethikkommission) hat gezeigt, dass dort oft entscheidende Weichen gestellt werden.
Zum Beispiel könnte in letzter Minute die Abstimmung zur WM-Vergabe als geheim deklariert werden, oder der Fifa-Rat könnte theoretisch doch noch einen Kandidaten von der Teilnahme an der Wahl ausschliessen. Denn er muss die Gebote offiziell genehmigen.
Die Chance, dass etwa Präsident Infantino noch einen Coup plant, ist aber geringer als im Vorjahr. Zuletzt verweigerte ihm seine Exekutive die Gefolgschaft. Bei der Sitzung im März wollte der Italo-Schweizer eine rasche Zustimmung zur Lancierung einer auf 24 Teams aufgestockten Klub-WM, die ab 2021 alle vier Jahre stattfindet, sowie einer Global Nations League, wo sich alle zwei Jahre die besten Nationen der Teilverbände in einem 8er-Finalturnier messen.
Ein nicht bekannter Investor bietet für einen 49-prozentigen Anteil an den Rechten die gigantische Summe von 25 Milliarden Dollar für 12 Jahre. Allerdings bestehe das Angebot nur für 60 Tage und gibt Infantino wegen einer Vertraulichkeitsvereinbarung den Namen der Geldgeber nicht bekannt. Diese sollen aus Saudi-Arabien, China und Nordamerika stammen.
Mit diesem Hauruck-Vorgehen verprellt Infantino viele Gefolgsleute. Gerade in Europa ist der Aufschrei heftig. Uefa-Präsident Aleksander Ceferin spricht von egoistischen Bestrebungen, von blindem Streben nach Profit und vom Verkauf der Seele des Fussballs an nebulöse Investoren.
Der Gegenwind ist derart gross, dass eine geplante ausserordentliche Ratssitzung am 1. Juni kurzfristig wieder abgesagt und die weitere Diskussion auf nach der WM verschoben wurde. Es gibt auch Stimmen in der Fifa, die das Projekt als «gestorben» betrachten.
Während Infantino in seinen bisherigen zwei Amtsjahren ein gutes Gespür für das Machbare und für politische Allianzen bewies, scheint er sich hier auf eine Kamikaze-Aktion begeben zu haben.
Der Fifa-Präsident kämpft mit drastisch schwindenden Fifa-Geldreserven, die in Diskrepanz zu seinem Wahlversprechen stehen, die Entwicklungsbeiträge an die Verbände zu vervierfachen. Im nächsten Frühling sind Wahlen. Die Lancierung von solchen abenteuerlichen Schnellschüssen und die Anzeichen bröckelnder Unterstützung helfen dem Walliser kaum, diese auch zu gewinnen.