Seit einem Jahr spielt Michael Frey in Lille. Ein Knöchelbruch warf ihn im vergangenen Januar aus der Bahn. Kehrt er nach diesem Schock bald wieder zu YB zurück?
Sie ist ihm noch immer präsent, diese eine Szene in der 18. Minute im Spiel gegen Lorient. Jener Moment im vergangenen Januar, der Michael Freys Entwicklung als Fussballer in den Zustand der Stagnation manövrierte. Eine unspektakuläre Ballannahme war es, die einen Gegenspieler dazu veranlasste, Frey im Rücken zu attackieren. Mit vollem Körpergewicht prüfte er die Beständigkeit von Freys Fuss. Wenig später folgte die Diagnose: Knöchelbruch.
In diesem Moment der grossen Ernüchterung wurde Frey wieder wahrgenommen daheim in der Schweiz. Dies, obwohl es diesem jungen Fussballer zuvor gut gelaufen war im nordfranzösischen Lille, nur hatten das die Schweizer Fans eben nicht auf dem Radar.
2014 lotste René Girard den damals 20-jährigen Frey in die französische Studentenstadt Lille. Bei den Young Boys hatte Frey während zweier Spielzeiten bewiesen, dass er regelmässig für Tore sorgen kann.
Für einige kam der Schritt ins Ausland aber zu früh. Für einige schien die Aktion überhastet, weil Lille erst kurz vor Ablauf der Transferphase um den Stürmer buhlte. «Mich zog es aus dem Kinderzimmer in eine Grossstadt», blickt der gebürtige Münsinger heute zurück.
Die Bewältigung dieser neuen Herausforderung gelang. Auch wenn er sich als Schweizer Fussballer in seiner neuen Heimat zu Beginn nicht ernstgenommen fühlte. Michael Frey aber zweifelte nie. Dass er in Lilles Team-Hierarchie emporklettern würde, wusste er. Vielmehr gestaltete sich das Leben neben dem Platz zur grösseren Aufgabe. Es fiel ihm schwer, die Einsamkeit mit den Vorteilen eines Auslandaufenthaltes kaschieren zu können. Statt allein im Selbstmitleid zu versinken, legte Frey seinen Fokus noch mehr auf den Fussball. Die freiwilligen Zusatzschichten gründeten auf unstillbarem Erfolgshunger.
Girard notierte Freys Bemühungen, die physischen und technischen Fortschritte sollten bald auch als Stammplatzberechtigung reichen. Frey spielte regelmässig – und die Skorerqualitäten aus Berner Zeiten meinte man wiederzuerkennen.
Tag der Erneuerung
Doch es folgte dieser 17. Januar. In die Rolle des Beobachters verbannt sah Frey, wie sein Verein die Saison auf dem achten Rang abschloss. Zu wenig für die Verantwortlichen. In der ehemaligen Industrie-Hochburg setzten die branchenüblichen Prozesse ein: Hervé Renard, dessen Charme an einen kapitalistischen Fabrikbesitzer erinnert, wurde zum neuen Trainer ernannt. Lilles Sportchef griff derweil zur Abrissbirne und wickelte allein in diesem Sommer in der Offensivabteilung
16 Transfergeschäfte ab. Acht Neuzuzüge stehen ebenso vielen Abgängen gegenüber.
Nur einer blieb: Michael Frey. Dies, obwohl Renard dem 21-Jährigen schnell zu verstehen gab, dass er sich nach einem neuen Verein umsehen solle. «Dieses Statement hat mich nicht gross beeindruckt», sagt Frey. «Ich bin keiner, der einfach davonläuft, wenn der Trainer kurzfristig nicht mit mir plant.» Frey weiss, was er kann und was er will. Seine Fähigkeiten basieren auf harter, unspektakulärer Arbeit. Es waren schon zuvor nicht Beziehungen, die ihn in die Startformation hievten, sondern sein selbstbewusster Auftritt auf dem Rasen.
Kühl ist aber das Verhältnis zum neuen Coach. Die Verletzung lähmt den Schweizer in seinem Unterfangen, dem Trainer zu beweisen, dass er in die Stammformation gehört. Im Sommer machte Frey rund drei Wochen der Vorbereitung mit, ehe sich sein Knöchel entzündete. Spätfolgen einer Operation in Frankreich. Im «Blick» sprach er von einem Arzt, der «etwas gepfuscht» habe. Die nötige zweite Operation erfolgte in der Schweiz.
Die Verletzung verunmöglichte auch einen Transfer zu Nottingham oder Blackburn, die Interesse zeigten. Trotzdem bleibt Frey optimistisch. Er sieht in der Arbeit an seinem Comeback einen Reiz. Bis im Winter will er fit werden und gestärkt den Weg auf die Fussball-Bühne zurückfinden. Dafür muss er vor allem eines haben: Geduld. «Ich könnte mir vorstellen, in der Schweiz Spielpraxis zu sammeln.» Vielleicht bei den Young Boys, lässt er durchblicken. Es wäre die Rückkehr jenes Berner Jungen, der seine Heimat vielleicht etwas voreilig hinter sich liess.