Bundesliga
Im Stile eines Magiers: Lucien Favre zeigt bei Dortmund, dass er zu den besten Trainern der Welt gehört

Die zweitbeste Hinrunde der Klubgeschichte, Tabellenleader und die meisten Treffer in der Bundesliga: Seit Lucien Favre Trainer bei Borussia Dortmund ist, läuft es der Mannschaft wie am Schnürchen. Was der Schweizer Coach und seine Spieler nach dem radikalen Dortmunder Neustart geschafft haben, grenzt schon fast an Zauberei.

Markus Brütsch
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Lucien Favre (Mitte) beglückwünscht Mario Götze (2. v. l.) zu dessen feiner Leistung. Unter Favre ist das Sorgenkind neu aufgeblüht.

Lucien Favre (Mitte) beglückwünscht Mario Götze (2. v. l.) zu dessen feiner Leistung. Unter Favre ist das Sorgenkind neu aufgeblüht.

Keystone

Lucien Favre sieht etwas bleich und abgekämpft aus. Eben noch ist er sich mit seinem Staff in den Armen gelegen und hat den 2:1-Sieg über Borussia Mönchengladbach gefeiert. Jetzt wartet noch die allerletzte Pressekonferenz des Jahres, bevor über Weihnachten endlich ein paar Tage der Ruhe in der Schweizer Heimat anstehen. Vielleicht wird Favre erst dann so richtig bewusst, was sich in seinem ersten halben Jahr als Trainer von Borussia Dortmund alles ereignet hat.

Dass seine Mannschaft als Leader sechs Punkte Vorsprung auf Bayern München hat. Sie mit 42 Punkten die zweitbeste Vorrunde in der Klubgeschichte gespielt hat. Sie mit 44 Toren die meisten Treffer der Liga erzielt hat. Sie keines der 13 Pflichtheimspiele verloren hat. Sie in der Champions League Gruppensieger geworden ist und im Achtelfinal gegen Tottenham antreten wird. Und auch im DFB-Pokal noch dabei ist und Bremen empfängt.

Keine Lust auf Mängelliste

Nach dem Spiel gegen Mönchengladbach wird Favre gefragt, was seine Mannschaft in der Rückrunde noch besser machen könne. Seine Antwort: «Ich geniesse den Sieg. Ich mache mir jetzt noch keine Gedanken darüber.» Für einmal hat selbst dieser «Tüpflischisser» keine Lust auf eine Mängelliste.

Wobei dies am Ende einer solch berauschenden und vielversprechenden Halbserie ja auch seltsam herübergekommen wäre. Denn die Herbstmeisterschaften des BVB in den Jahren 1994, 1995 und 2010 waren allesamt Ouvertüren zu Titelgewinnen gewesen. In 38 von 55 Fällen wurde in der Bundesliga der Erste nach der Vorrunde Meister. Die Wahrscheinlichkeit, dass Favre wie seine Landsleute Roman Bürki, Marwin Hitz und Manuel Akanji am Ende die Schale in den Händen halten wird, beträgt 69 Prozent. «Er versucht Dinge zu verbessern, an welche die Spieler noch gar nicht gedacht haben», sagt Sportdirektor Michael Zorc.

Aus einzelnen Puzzleteilchen zur geschlossenen Einheit

Was Favre seit Sommer und nach einem radikalen Dortmunder Neustart geschafft hat, verdient Respekt. Gewiss, er trainiert das beste Kader seiner Trainerkarriere. Wie schnell er aber die einzelnen Puzzleteilchen zu einer geschlossenen Einheit zusammengefügt hat, die erst kurz vor Weihnachten das erste Bundesligaspiel verlor, ist gleichwohl beeindruckend.

Selbst wenn in den ersten Wochen das Glück ein treuer Begleiter war. Genau daran hat nach dem letzten Spiel am Freitag Marco Reus erinnert. «Vielleicht wäre ohne diesen Dusel alles etwas anders gekommen», gab sich der Captain demütig.

Die Profis blühen auf

Apropos Reus: Der 29-Jährige ist unter Favre mit elf Toren und acht Assists zu einer Hochform aufgelaufen. Und seit Gladbacher Zeiten des Trainers Vertrauensmann. Der Prototyp auch von Favres Tempofussball. Endlich ist der sonst so verletzungsanfällige Nationalspieler einmal gesund geblieben und hat in 25 Pflichtspielen nur einmal gefehlt.

Auch andere Profis sind unter Favre aufgeblüht. Der Spanier Paco Alcacer, beim FC Barcelona auf der Ersatzbank versauert, führt die Torjägerliste mit 12 Toren an; keiner hat mehr Assists (9) als das 19-jährige Flügeltalent Jadon Sancho aus England.

Favre hat auch dafür gesorgt, dass der Belgier Axel Witsel nach anderthalb Jahren in China ohne Verzögerung erstmals in einer Topliga seine Klasse als Regisseur zeigen kann. Hoch anzurechnen ist dem Trainer ebenso, dass er Megatalenten wie Dan-Axel Zagadou (19), Achraf Hakimi (20), Jacob Bruun Larsen (20), Christian Pulisic (20) und Sancho das Vertrauen geschenkt hat.

Der vierte BVB-Meistertrainer?

Und dann gibt es noch Mario Götze. Seit seinem entscheidenden WM-Tor 2014 in einem Formtief steckend, hat ihn Favre sorgsam aufgepäppelt. Am Freitag war Götze mit seinen zwei Assists eine entscheidende Figur.

Viel Zeit zum Durchatmen hat Favre jedoch nicht. In zehn Tagen beginnt die Vorbereitung auf die Rückrunde. Im Trainingslager in Südspanien wird ihm vielleicht die Sonne etwas Farbe ins Gesicht zaubern. Mitte Mai werden wir dann wissen, ob der 61-Jährige nach Ottmar Hitzfeld, Matthias Sammer und Jürgen Klopp der vierte BVB-Meistertrainer in der Bundesliga ist.