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Granit Xhaka spricht über das Nationalteam, das Leben in London – und er verrät, warum er bei Arsenal mehr Wertschätzung spürt.
Granit Xhaka: Wie Sie mögen. Wir können auch ausschliesslich darüber reden. Kein Problem.
Es war ein Ausrutscher. Und natürlich waren wir schlecht. Aber ich bedaure eben auch, dass wir auf einem Platz spielen mussten, wo man vor jeder Ballannahme zuerst schauen musste, dass man sich nicht verletzt. Das soll keine Ausrede sein, keine billige Entschuldigung. Wir hätten gegen Katar auch unter diesen Umständen gewinnen müssen.
Ich wage zu sagen, es liegt nicht an der Qualität. Wir verloren gegen England 0:1, gegen Belgien 1:2, aber wir mussten ja nicht hinstehen und sagen: «Wow, die haben uns auseinandergenommen, zum Glück haben wir nicht höher verloren.» Im Gegenteil. Es waren gute Spiele. Vielleicht liegt es an der Cleverness. Wir müssen künftig auch einmal ein Unentschieden über die Zeit bringen. Aber nicht dass jetzt jemand meint, ich wäre am Sonntag mit einem 1:1 zufrieden.
Wir verlieren deswegen nicht das Vertrauen. Aber zugegeben, jeder Spieler hat ein anderes Selbstverständnis auf dem Platz, wenn er weiss: Am Ende gewinnen wir doch immer.
Dass wir einen Plan B haben. Wir haben drei Mal mit Dreierkette gespielt. Das gibt uns Möglichkeiten, wenn wir Alternativen brauchen, einen Rückstand aufholen oder auch mal mauern. Zwar verloren wir alle drei Spiele mit Dreierkette, aber das bedeutet nicht, dass alles schlecht war. Das ist normal in einem Entwicklungsprozess.
Da müssen wir eigentlich nicht mehr gross darüber sprechen. Wir freuen uns auf den Vergleich mit Belgien. Und dann die EM-Qualifikation im neuen Jahr.
Einerseits bin ich stolz auf uns. Andererseits haben wir das Ziel nicht erreicht. Es wird sich nicht mehr ändern, aber Schweden wäre ein schlagbarer Gegner gewesen im Achtelfinal.
Man kann immer besser spielen. Der Achtelfinal war nicht das beste Spiel. Auch nicht von mir. Genau dann, als es hätte sein sollen. Leider.
Vielleicht. Aber ich sehe das nicht an erster Stelle, dass ich davon hätte profitieren können. Es gibt für mich mehr enttäuschende, ja gar traurige Aspekte, die im Vordergrund stehen.
Rund um Schweiz gegen Serbien waren sehr viele Emotionen im Spiel. Aber ab dem Moment des Schlusspfiffs dieser Begegnung war die WM eigentlich vorbei. Es ging nie mehr um den Fussball. Was in den Wochen und Monaten danach auf uns einprasselte, war aus meiner Sicht übertrieben. Und darum enttäuschend. Und ich bin sicher, dass die Diskussionen auch noch während der WM einige Spieler beeinflussten.
Das Schlimme ist ja: Egal, wo du hinkommst, irgendein Spruch kommt eben immer wieder. Das hat man bei Xherdan Shaqiri gesehen, er durfte darum auch nicht nach Belgrad ans Champions-League-Spiel. Ich habe es kürzlich erlebt in einem Spiel mit Arsenal gegen Crystal Palace, als ich mir von Zuschauern Schimpf und Schande anhören musste. Ich frage mich: Was soll das? Wo führt das hin? Wenn ich darüber nachdenke, macht mich das traurig. Im Rückblick muss ich sagen: Ich hätte nie gedacht, dass wir so einen Einfluss haben. Und dass eine kleine Geste so einen Knall auslöst.
Ich kenne die Stadt auch heute noch nicht wirklich. Nicht, weil ich nicht will. Aber ich brauche die Ruhe zu Hause. Ich könnte auch frei herumlaufen, das wäre alles kein Problem. Aber wenn man so viele Spiele hat, dauernd unterwegs ist, dann sehnt man sich manchmal einfach nach Erholung.
Na klar, und das soll sie auch! Ich schreibe ihr ja nicht vor, dass sie stets zu Hause bleiben müsste (lacht). Aber sie hat viel Verständnis. Der Genuss zu zweit kommt nicht zu kurz.
Es ist eindeutig meine beste Saison bis jetzt.
Ja.
Ohne Zweifel. Ich glaube, ich habe nochmals einen Schritt nach vorne gemacht.
Zunächst einmal war es ein tolles Zeichen des Vereins, meinen Vertrag vorzeitig zu verlängern, neu bis 2023. Das war schon vor der WM und für mich ein riesiges Zeichen von Wertschätzung. Ich wusste: Aha, ich bin dem Verein sehr wichtig. Und dann ist natürlich Trainer Unai Emery ein wichtiger Grund. Ich hatte bis nach der WM nie Kontakt mit ihm. Erst im Urlaub. Als ich dann zurück im Training war, hat er mir als Erstes gleich gesagt: «Granit, du bist einer meiner fünf Captains.» Bei einem der besten zehn Klubs weltweit. Das macht schon stolz. Und gibt Vertrauen.
Er will einfach Konkurrenz für Ricardo Rodriguez schaffen im Nationalteam (lacht schallend). Das ist tatsächlich eine Vertrauenssache. Er fragte mich: «Granit, kannst du das?» Ich sagte: «Ja, warum nicht. Ich habe da einfach noch nie gespielt.» Und dann war ich eben plötzlich hinten links.
Ich habe immer ein bisschen Zeit gebraucht. Das war ja in Deutschland nicht anders. Ja, der Wind dreht langsam. Fakt ist aber auch, dass bei mir Fehler schneller zum Thema gemacht werden, als wenn ich gut spiele. Auch das war und ist stets gleich, ob in der Schweiz, in Deutschland oder in England.
Ich spüre das ja selbst auch. Es ist die beste Phase von Arsenal, seit ich bei diesem Klub bin. Und der Trainer hat da enormen Einfluss. Er bereitet uns alle super vor. Wir haben einen Plan. Wir wissen, wie es geht mit Ball, ohne Ball. Wir wissen wie und wann wir wo zu stehen haben. Emery ist wie Lucien Favre, ein Freak, der uns hin- und herschiebt, zehn Mal, bis es jeder verstanden hat.
Genau. Die erste Videoanalyse folgt schon direkt nach dem Spiel. Und dann geht es so weiter, jeden Tag. Am Spieltag nach dem Frühstück 30 Minuten Video – und dann sogar noch einmal, bevor wir zum Spiel fahren.
Obwohl Granit Xhaka im September erst 26 Jahre alt geworden ist, gehört er zu den Nationalspielern mit der meisten Erfahrung. In 71 Länderspielen hat sich der Arsenal-Spieler zum wahrscheinlichen neuen Captain emporgearbeitet. Seine Karriere hat Xhaka beim FC Basel begonnen. 2009 war er Teil jener U17, die als erstes Schweizer Fussballteam überhaupt einen Weltmeistertitel errang. (ewu)