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Was ist aus den Stadien und Anlagen der Olympischen Winterspiele 2014 geworden? Noch müssen die Beteiligten lernen sich zu vermarkten, doch die Investitionen haben sich gelohnt. Ein Augenschein in Sotschi.
In Sotschi tanzt der Bär. Die auf Hochtouren laufende Badesaison und die Fussball-WM bringen die Stadt an den Rand des Wahnsinns.
Auf denselben Breitengraden wie die italienischen und französischen Mittelmeerstrände liegend, zieht sich Sotschi mit 420 000 Einwohnern auf 145 Kilometern der Schwarzmeerküste entlang. Zwar ist der Strand hier meist steinig, doch das hält niemanden davon ab, in Russlands grösste Badewanne zu steigen.
Über zwei Millionen Menschen kommen jährlich hierher, verbringen den Tag unter Sonnenschirmen am Wasser, und am Abend wird auf der Promenade flaniert, in einem der unzähligen Restaurants gegessen und später bis in die Morgenstunden zu heissem russischen Discosound gefeiert.
Wer die Musse findet, sich einmal hinzusetzen und aufs türkisblaue Meer hinauszuschauen, kann nicht glauben, dass dieser Badeort viereinhalb Jahre zuvor Gastgeber der Olympischen Winterspiele ist.
51 Milliarden Dollar hat sich Russland laut westlichen Quellen das Vergnügen kosten lassen, die Russen selber sprechen von 37,5 Milliarden. So oder so: Der Gigantismus wurde auf die Spitze getrieben.
Wir fragen uns: Was ist aus den sündhaft teuren Stadien und Sportanlagen geworden? Werden sie noch gebraucht oder verlottern sie allmählich als sogenannt «Weisse Elefanten»? Wurden Unsummen verlocht, die gescheiter in das Bildungs- und Gesundheitswesen investiert worden wären?
Der Beginn unseres Augenscheins erfolgt im Olympia-Park, wo alle «Eiswettbewerbe» stattfanden. Dieser ist vom Stadtteil Adler aus zu Fuss in 45 Minuten erreichbar. Hier wartet Sergej Nikulin, um uns durch das weitläufige Gelände zu führen und aufzuklären, was sich hinter den Fassaden der sechs Sportstätten heute so alles tut.
Natürlich, im 270 Millionen Dollar teuren «Fisht-Stadion» wird Fussball gespielt. Nach der WM wird hier ein eben erst aus St. Petersburg zugezogener Zweitligaverein als FK Sotschi Heimrecht haben.
Das Stadion, das bei den Olympischen Spielen lediglich für die Eröffnungs- und Schlussfeier verwendet wurde, wird mit seiner Kapazität von 40 000 Plätzen für diesen Verein allerdings viel zu gross und allenfalls bei Länderspielen ausgelastet sein. Das Dach wurde nach 2014 bei Kosten von 50 Millionen Dollar abgebaut.
Gleich daneben steht das kleine Eishockeystadion «Schaiba». «Es wird für Frauen-Eishockey, für kulturelle Anlässe und als Sportzentrum für Kinder genutzt», erklärt Nikulin. Wie zum Beweis entert in diesem Moment eine Horde Jugendlicher mit Unihockeystöcken die Halle.
Ein paar Schritte weiter erhebt sich vor uns die grosse Eishockeyarena «Bolschoi» mit 12 000 Plätzen. Sie beheimatet den 2014 gegründeten HC Sotschi, der in der KHL zuletzt einen Zuschauerschnitt von 5463 aufwies. Auch diese Halle wird für Events verwendet; im letzten Herbst trat hier die Rockgruppe Scorpions auf.
Vor dem «Eiswürfel», in dem die Curlingwettbewerbe stattgefunden haben, lungern zwei Dutzend junge Männer mit zwei Säcken voller Fussbälle herum. Sie erklären uns, dass sie hier Hallenfussball spielen würden. Im Gebäude sind verschiedene Shops untergebracht. Im Eishockeyfachgeschäft herrscht gar ein erstaunlicher Betrieb.
Inzwischen stehen wir vor der lang gestreckten «Adler-Arena». Hier drehten die Eisschnellläufer vor 8000 Fans ihre Runden. Drinnen zeigt eine Uhr als Hommage an die Eisschnelllaufnation Holland die aktuelle Zeit von Heerenveen an. Aber die Bahn ist längst abgebaut und einer Tennis-Akademie, einer Boxschule, dem Tischtennisverband und einem Fitnesscenter gewichen.
Bleibt noch der «Eisberg», die riesige Halle, in der die Eiskunstlauf- und Shorttrackwettbewerbe stattfanden. Hier wird Mitte Juli die Eislaufshow «Romeo und Julia» geboten. Im Eisberg zu Hause ist auch die Eiskunstlaufschule für Kinder.
Im Olympia-Park mit der weissen Fackel im Zentrum eines riesigen Platzes kann man sich Velos, Roller und andere Gefährte mieten, um das Gelände zu erkunden. Die Formel-1-Rennstrecke schlängelt sich über den Asphalt, und hinten ist das Riesenrad des Erlebnisparks zu sehen, der gemäss Nikulin täglich von über 2000 Leuten besucht wird. Es ist zwar Ferienzeit, aber trotzdem erstaunlich, wie viele Familien sich an diesem brütend heissen Spätnachmittag im Olympia Park tummeln.
Am nächsten Tag sind wir gespannt, was uns im Skigebiet erwartet. Gähnende Leere oder doch den einen oder anderen Wanderer und Mountainbiker? Wir haben Elena Schurawkowa angeheuert. Sie ist uns als profunde Kennerin der Region Krasnaja Poljana und aller Fakten zu den Olympischen Spielen empfohlen worden.
Auf der 45-minütigen Fahrt in Richtung Kaukasus hat es auf dieser neuen Strasse kaum Verkehr. Parallel dazu gibt es ja die ebenfalls für die Spiele erbaute Bahn, und wir fragen uns, ob dieser finanzielle Kraftakt mit 27 (!) Tunnels nötig gewesen sei. Wir erreichen nun die Gemeinde Krasnaja Poljana und passieren wenig später das 2017 eröffnete Casino, ein 63-Millionen-Dollar-Bau für die Touristen.
Weiter geht es nach Rosa Chutor, das im Winter von einer halben Million Skifans besucht wird. Immer wieder sagt Schurawkowa: «Hier war bis vor wenigen Jahren nichts, nichts, nichts!» Die Auslastung der Hotelanlagen in der Skisaison ist gut, im Sommer dagegen stehen viele Betten leer.
Doch die Anstrengungen der lokalen Regierung, aus Sotschi mit seinen 200 Sonnentagen, 130 Mineralquellen und 50 Sanatorien ein Urlaubsmekka zu machen, das im Sommer wie im Winter ein Renner ist, scheinen erste Früchte zu tragen. Wir fahren mit der Gondelbahn bis zum olympischen Dorf auf 1100 m ü. M.
Dort, wo die Athleten gewohnt haben, werden nun Touristen günstig einquartiert und im Winter Skisportler. Dass wir vor dem Einsteigen in einer Warteschlange standen, zeigt, dass es Interesse genug gibt, die Bergwelt des Kaukasus auch im Sommer zu besuchen.
Trotzdem: So verschwenderisch grosszügig, wie die Spiele konzipiert wurden, gibt es jetzt vor allem im Sommer Überkapazitäten. Ein zweites für Olympia erschlossenes Resort, Gorki Gorod auf 960 Meter Höhe, ist ein Flop. «Das stimmt leider», sagt Schurawkowa. Im Endspurt vor den Spielen sei beim Bauen gepfuscht worden.
Das bis im April schneesichere Rosa Chutor mit 20 Kilometern Skipiste begeistert dagegen die Wintersportler. Wir fahren weiter auf den «Peak» auf 2320 m ü. M. Neben dem atemberaubenden Blick ins Gebirge gibt es hier Touristenattraktionen wie eine Hängebrücke und Spielmöglichkeiten für Kinder.
Bei schönem Sommerwetter lässt sich hier oben gut verweilen oder ein Spaziergang machen. In der Hoffnung, nicht gleich einem kaukasischen Bären in die Pranken zu laufen. «Das sind Feiglinge, die laufen eher davon, als anzugreifen», lacht Schurawkowa.
Weiter unten sehen wir auf 1430 m ü. M. das Langlauf- und Biathlonzentrum «Laura». Dieses wird, wie die Bob- und Rodelbahn, kaum mehr benötigt. Zum Schluss fahren wir zum Skisprungzentrum mit fünf Schanzen. «Sie sind im Sommer mit Matten bestückt und werden zum Trainieren benützt», sagt Schurawkowa.
Auf der Rückfahrt nach Sotschi erzählt die 64-Jährige, dass sie einst grosse Vorbehalte gegenüber den Olympischen Spielen gehabt habe. «Wie viele Einwohner von Sotschi. Klar, wir müssen noch lernen, die Skiregion zu vermarkten und einen Topservice anzubieten», sagt Schurawkowa. «Dennoch sage ich heute: Die riesigen Investitionen haben sich gelohnt.» Nicht allein wegen der 100 000 Millionen Dollar Olympia-Einnahmen.
Dennoch: Der auswärtige Besucher verlässt Sotschi mit zwiespältigen Gefühlen. Ja, es gibt auch im Sommer Leben im Olympiagelände und es wurden Arbeitsplätze geschaffen. Und ja, eine gewisse Nachhaltigkeit in gewissen Bereichen ist sicher vorhanden. Gleichwohl wirkt vieles überdimensioniert. Oder ist dies einfach bloss die Sicht des Betrachters aus der kleinen Schweiz?
Letzte Frage an Frau Schurawkowa: «Gibt es denn gar nichts auszusetzen an diesem Gigantismus? «Doch, es gibt kein Geld für die Rentenerhöhung.»