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Eigentlich hatte sich Gennaro Gattuso vorgenommen, das Thema Augenkrankheit nicht anzusprechen. Eigens für ihn hatte der FC Sion eine Pressekonferenz einberufen, weil so viele Anfragen für Interviews mit dem Weltstar vorlagen.
Eine Zwischenbilanz nach dem Wechsel des italienischen Weltstars vom grossen Milan ins Wallis. Und so redete er dann. Wie zufrieden seine Familie in der Schweiz sei, wie gut er sich mit Christian Constantin verstehe, dass ihm die Stimmung im St. Galler Stadion gefallen habe. Eitel Sonnenschein.
Körperlich topfit sei er auch, obwohl schon 34-jährig. «Ich könnte locker 90 Minuten Gas geben.» Topfit? Wieso liess er sich denn in zehn seiner 16 Pflichtspiele auswechseln? Die Antwort heisst Myasthenia gravis und ist eine Erkrankung des Sehnervs und der Augenmuskulatur. Oft kann Gattuso nach längerer Anstrengung nicht mehr richtig sehen. Er muss sich dann auswechseln lassen. Als er letzte Saison noch für die AC Milan spielte, fiel er wegen der Krankheit monatelang aus.
Schon drei Trainerwechsel
Nun läuft er also für Christian Constantin auf, seit vier Monaten schon. Der FC Sion ist in der Super League oben mit dabei. Für den Patron ist das nicht gut genug: Zwei Mal hat er den Coach schon ausgetauscht, erst letzte Woche wieder. Ganz Profi sagt Gattuso dazu: «Wenn der Trainer gehen muss, ist das eine Niederlage für die Mannschaft.» Keine Spur von Kritik an Alleinherrscher Constantin. Er sagt nur: «Wir sprechen zusammen. Auch über die Strukturen im Verein.»
Dabei traf ihn die Entlassung seines ersten Übungsleiters im Wallis, Sébastien Fournier, stark. Sportlich und menschlich war die Beziehung zwischen Coach und Captain hervorragend. «Un grandissimo Feeling», nennt es Gattuso. Die Mannschaft führte die Tabelle noch an. Dann rastete Fournier in der Kabine aus, beleidigte einige Spieler auf übelste Weise, war danach untragbar. Eine Boulevardzeitung schrieb, Gattuso habe mit Constantin schon über Fourniers Nachfolger beratschlagt, als der alte Trainer noch im Amt war. «Das ist absolut falsch und hat mich sehr geschmerzt.»
Europacup als Ziel
Nach Fournier versuchte sich Michel Decastel erfolglos auf dem Schleudersitz, vor zehn Tagen kam nun André Schürmann an die Reihe. Er soll Sion vom aktuell dritten Platz doch noch ganz nach oben führen. Gattusos Anspruch liegt jedoch tiefer. «Enttäuscht wäre ich, wenn wir den Europacup verpassen würden.» Dafür reicht in dieser Spielzeit schon Platz vier.
Gattuso selbst hat die Erwartungen erfüllt, sportlich wie menschlich. Sportlich, weil sie nicht gerade hoch waren. Er war in Mailand der schlechteste Techniker im Team gewesen, hatte das aber mit Leidenschaft wettgemacht. In Sion erwartete keiner offensive Glanzlichter von ihm. Und defensiv marschiert er auch in der Super League, ist der Terrier, als der er sich einen Namen machte. Nein, er lässt nicht nur einfach seine Karriere ausklingen. «Er hält uns den Rücken frei», sagt Xavier Margairaz.
Überall der Häuptling
Menschlich hat er die Ansprüche erfüllt, da er nicht nur Terrier, sondern auch Leitwolf ist. Er zeigt es in jeder Szene, auf und abseits des Rasens. Fournier machte ihn sofort zum Captain. Und dann ist da noch der Strippenzieher Gattuso: Er versuchte, Alessandro del Piero zum Wechsel nach Sion zu überreden, der entschied sich aber für Sydney.
Rund zwei Millionen Euro soll Gattuso laut der italienischen «Gazzetta dello Sport» pro Jahr in Sion verdienen. Das ist ein hoher Preis für einen, der die Mannschaft zwar anführt, sportlich in der Schweiz jedoch keine neuen Massstäbe setzt. Es drängt sich die Frage auf, ob er die hohe Summe wert ist.