Reportage
Das Todes-Stadion im Dschungel: Wo die Schweizer Nati auf Honduras trifft

In Manaus, wo die Schweiz auf Honduras treffen wird, entsteht das umstrittenste Stadion der Fussball-WM. Unfälle auf den Baustellen der WM-Stadien in Brasilien sorgen für negative Schlagzeilen. Doch es sind nicht die einzigen Probleme. Ein Besuch.

Konrad Stäheli
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Manaus, hier wird die Schweizer Fussball-Nati an der WM 2014 auf Honduras treffen
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Ein Bauarbeiter stürzte vor zwei Wochen meterweit hinunter und starb
Das Stadion im Dschungel von Brasilien
Erholsame Minuten für einen Bauarbeiter mit einem WM-Fussball am Rande der Bauarbeiten im Stadion von Manaus
Manaus, keine unterhaltsame Stadt im Norden Brasiliens
Das Stadion von Manaus im Bau befindend

Manaus, hier wird die Schweizer Fussball-Nati an der WM 2014 auf Honduras treffen

Keystone

Am letzten Wochenende stand Brasilien wieder unter Schock: die nächsten Toten auf den Baustellen der WM-Stadien!

Erst zwei Wochen zuvor waren in São Paulo zwei Menschen gestorben, weil ein Kran auf das Stadiondach gestürzt war.

Ein Trauerspiel, dieses Mal in Manaus: Marcleudo do Melo Ferreira, 22-jährig, war 35 Meter vom Dach der Arena da Amazônia gestürzt, weil ein Kabel gerissen war.

Kurz darauf überlebte José Antônio da Silva Nascimento, 49, einen Herzinfarkt nicht. Laut Familienangehörigen sei er unter Stress gestanden, weil er sieben Tage pro Woche gearbeitet habe.

Auf die Missstände aufmerksam gemacht

Schon mehrmals hatte das Arbeitsministerium die Bauleitung in Manaus auf die Missstände aufmerksam gemacht. Passiert sei wenig, beklagen Gewerkschaften. Gerichte befahlen einen vorübergehenden Baustopp, am Mittwoch ging er zu Ende.

Es sind einmal mehr schlechte Neuigkeiten aus der Hauptstadt des Bundesstaates Amazonas. Auch mit wetterbedingten Verzögerungen am Bau hatte das Stadion Schlagzeilen gemacht. Ursprünglich hätte es am 12. Dezember fertig sein sollen, nun wird es Januar.

Die Stadt wird dann um eine Attraktion reicher sein, allzu viele bietet sie sonst nicht.

Vielleicht die 3600 Meter lange, extravagante und sündhaft teure Brücke über den Rio Negro, der später zum mächtigen Amazonas wird. Oder der nahe Regenwald, für Touristen ist eine Expedition Pflicht.

Eine der hässlichsten Städte Brasiliens

Das Markenzeichen von Manaus ist das Opernhaus: ein prunkvoller Bau mit schweren Gardinen aus Frankreich und Böden aus italienischem Marmor.

Er stammt aus dem vorletzten Jahrhundert, die Stadt war damals dank des Kautschuk-Booms eine der reichsten der Welt. Diese Zeiten sind längst vorbei.

Die Wirtschaft floriert trotzdem, dank der in den 1960ern eingerichteten Freihandelszone.

Rund 600 Fabriken haben sich niedergelassen. Sie schiffen ihre Produkte 1500 Kilometer auf dem Amazonas zum Atlantik oder fliegen sie aus. Eine Strasse in den Süden des Landes existiert nicht.

Mit dem Wirtschaftsboom ist die Bevölkerung in den letzten 50 Jahren um das Sechsfache auf zwei Millionen explodiert.

Die Wohnflächen haben sich ungeplant in den Dschungel hineingefressen, die Stadt gilt darum als eine der hässlichsten des Landes.

Da kann ein Stadion als neues Aushängeschild auf den ersten Blick nur helfen. Und schmuck wird es fürwahr sein, das erkennt der Besucher ein paar Wochen vor der Eröffnung beim Rundgang.

Zwei Ränge, unterbrochen von einem geschlossenen Ring aus VIP-Logen, insgesamt fasst es gut 42 000 Personen.

Aussenwand und gleichzeitig Dach ist eine Konstruktion aus Stahlstreben; es soll eine Reverenz an die Region sein. Das Muster findet sich im Handwerk der Eingeborenen und auch in der Flora und Fauna.

Darüber sind Glasfasermembrane gespannt, die das Sonnenlicht durchlassen, dabei aber dessen Wärme reflektieren. Beim Gespräch auf der Baustelle nennt das Ralf Amann vom deutschen Architekturbüro GMP «intelligente Lowtech statt Hightech». Auch deswegen sei das Stadion besonders nachhaltig.

«Manaus wird das Stadion niemals füllen können»

605 Millionen Reais (ca. 243 Mio. Franken) bezahlt der Bundesstaat dafür - für brasilianische Verhältnisse kein überrissener Preis.

Private Investoren haben sich für den Bau trotzdem nicht finden lassen. Weitere sechs Millionen Reais wird der Unterhalt pro Jahr kosten, damit das Schmuckkästchen nicht zerfällt.

Auch Domingos César Ribeiro Barras, 48-jährig und einer der rund 2000 Arbeiter, findet das Stadion gelungen.

«Nur wird es kein Klub aus Manaus füllen können», sagt er. Das beste Team der Stadt, Nacional, spielt in der vierten Liga und zieht jeweils ein paar hundert Zuschauer an.

«Die Leute hier mögen die grossen Klubs aus Rio de Janeiro und São Paulo», sagt Ribeiro Barras und stapft durch den Matsch vor der Arena davon.

Kein beliebter Klub, aber ein teures Stadion: Wird dieser Kessel ein «Elefante Branco», ein weisser Elefant wie die WM-Arenen in Südafrika, der nach dem Turnier nicht mehr sinnvoll genutzt wird?

Wieso steht er also überhaupt hier? Auch diese Fragen waren es, die im letzten Juni während des Confederations-Cup die Menschen auf die Strassen trieben.

Millionen waren es im ganzen Land, in Manaus einmal 90 000 an einem Abend.

«Unsere Wut richtete sich zuerst gegen die Korruption der Politiker», sagt Karla Tuma. Die 50-Jährige war damals dabei.

WM hinterlässt keine Infrastruktur

Zu den Mauscheleien der Classe politique gehören für sie auch die Projekte rund um den WM-Standort Manaus: «Das Turnier hinterlässt der Stadt kein Erbe, kaum Infrastruktur.»

Der Flughafen wird zwar gerade ausgebaut, der Bau einer Monorail und von Busschnellstrecken wurde wegen Planungsfehlern auf nach der WM verschoben.

«Gut möglich, dass für die Projekte dann plötzlich das Geld fehlt», sagt Tuma. «Und das Stadion macht sowieso keinen Sinn.»

Im Kreuzfeuer der Kritik steht Miguel Capobiango Neto, Projektkoordinator im eigens für die vier WM-Spiele eingerichteten Regierungsamt.

«Überall auf der Welt gibt es Probleme, Stadien nur mit Fussball zu finanzieren», sagt er beim Interview auf der Tribüne; hinter ihm bauen Arbeiter gerade die bunten Schalensitze ein.

Capobiango Neto kennt die Vorwürfe, die Medien haben sie ihm schon zu oft an den Kopf geworfen.

«Eine Projektgruppe lotet gerade mögliche Verwendungsmöglichkeiten aus, um das Stadion auch nach der WM gewinnbringend zu betreiben. Zusammen mit einem Privaten werden wir dann erfolgreich wirtschaften.»

Denkbar sind Kongresse oder Konzerte. Oder Spiele der beliebten Klubs aus Rio und São Paulo, die ihr Heimrecht für eine Partie hierher verlegen können.

In Europa undenkbar, ist diese Methode in Brasilien nicht unüblich. Im Stadion von Brasilia, das mit ähnlichen Problemen kämpft, wird sie schon erfolgreich angewandt.

«Auch die lokalen Fussball-Klubs werden dann besser spielen», sagt Capobiango Neto. «Wie will man von den Spielern gute Leistungen verlangen, wenn man ihnen keine guten Bedingungen bietet?»

Es sind vage Versprechungen, die der Verteidiger des WM-Standorts Manaus macht. Versprechungen, die sich nicht beurteilen lassen, bis sie den Beweis ihrer Richtigkeit antreten müssen, sprich nach der WM.

So bleibt der Fragende ratlos zurück, als Capobiango Neto sich hastig verabschiedet. Der Gouverneur des Bundesstaates Amazonas ist gerade eingefahren, um sich die Fortschritte am Stadion anzuschauen.

«Sicherheit ist immer das Wichtigste», sagt dieser. Die Öffentlichkeit ist trotzdem beunruhigt, kurz zuvor ist in São Paulo der Kran auf das Stadion gestürzt.

Dort, wo der Gouverneur die beschwichtigenden Worte spricht, schlägt ein paar Tage später Marcleudo do Melo Ferreira nach einem 35-Meter-Sturz auf.