Soll Ottmar Hitzfeld Nationaltrainer bleiben? Es gibt gute Gründe dafür und dagegen. Wir stellen sechs Fragen und geben sechs Antworten.
Der Vertrag von Ottmar Hitzfeld als Schweizer Fussball-Nationaltrainer endet nach der WM 2014 in Brasilien (12. Juni bis 13. Juli). Nach der erfolgreichen Qualifikation macht sich Hitzfeld nun Gedanken, ob er bis zur EM 2016 weitermachen will.
Letztmals durfte Hitzfeld den Vertrag im März 2011 verlängern - obwohl sich abzeichnete, dass die Schweiz die EM 2012 verpassen wird. Der Verband wurde für seine Entscheidung kritisiert. Jetzt schreit fast die ganze Schweiz nach einer Vertragsverlängerung. Zu Recht?
1.) Ist es der richtige Zeitpunkt, um mit Ottmar Hitzfeld zu verlängern?
Eigentlich nicht. Ideal wäre, erst die Weltmeisterschaft in Brasilien abzuwarten. Es gibt zwei entscheidende Parameter, um die Arbeit eines Nationaltrainers zu beurteilen. Die fussballerische und die resultatmässige Entwicklung. Punkto Resultate würde erst die Qualifikation für die Achtelfinals einen Fortschritt bedeuten. Alles andere wäre gleichbedeutend mit einem Scheitern. Und einen Gescheiterten der Öffentlichkeit als den einzig richtigen Trainer zu verkaufen, wäre trotz Support der Ringier-Blätter (Hitzfeld ist «Blick»-Kolumnist und -Berater) enorm schwierig.
2.) Welche Überlegungen stellt Hitzfeld selbst an?
Vielleicht diese: In welche Sphären kann diese Mannschaft noch vorstossen? Bringe ich das Team fussballerisch noch weiter? Gibt es einen schöneren Abgang als eine erfolgreiche WM im Fussballland Brasilien? Wäre es nicht Pflicht, in Zukunft mehr zu Hause zu sein und Zeit mit meiner Frau zu verbringen? Wie reagiere ich auf den Stress einer EM-Qualifikation im Alter von 65 Jahren? Verpasse ich den Zeitpunkt meines Rücktritts?
3.) Hat der Schweizer Verband überhaupt eine andere Möglichkeit, als mit Hitzfeld zu verlängern?
Für den Hauptsponsor Credit Suisse ist Hitzfeld ein Segen. Der 64-Jährige repräsentiert ganz grossen Sport. Schliesslich hat er mit Dortmund und Bayern München die Champions League gewonnen. Wenn der Deutsche vor Private-Banking-Kunden der CS spricht, tut er das so packend, dass selbst die Superreichen zu Hitzfeld-Groupies mutieren. Ausserdem spricht nach der souveränen WM-Qualifikation kaum etwas gegen eine Vertragsverlängerung.
Ideal wäre, der Verband könnte die Verlängerung mit der Klausel verknüpfen, dass Hitzfeld an der WM mindestens die Gruppenphase überstehen müsste. Das würde aber bedeuten, dass der Verband mehrgleisig fahren und schon jetzt andere Optionen prüfen müsste. Die Bereitschaft dafür scheint momentan nicht vorhanden zu sein.
4.) Welche Chancen ergeben sich für den Schweizer Fussball, wenn Hitzfeld verlängert?
Mit dem Welttrainer Hitzfeld hat der Verband den perfekten Repräsentanten. Das wirkt sich positiv auf die Wahrnehmung in der Fussball-Welt aus - und in Verhandlungen mit Sponsoren. Hitzfeld hat den Umbruch im Team eingeleitet. Zwar auch, weil er gezwungen wurde, trotzdem geht er den Weg mit jungen Talenten seither konsequent. Jeder Spieler respektiert Hitzfeld, einige verehren ihn gar - das schadet nie, weder beim 10-jährigen Nachwuchskicker noch beim Nationalspieler.
6Was passiert, wenn Hitzfeld zurücktritt?
Wohl kein Trainer zieht Losglück derart an wie Ottmar Hitzfeld, warum nicht auch in Zukunft? Natürlich bleibt die Boulevard-Presse devot, weil Hitzfeld auch bei Ringier unter Vertrag steht. Schliesslich könnte der Verband, falls Hitzfeld frühzeitig signalisiert, nach der EM 2016 aufzuhören, in aller Ruhe einen Nachfolger suchen. Das würde die Chancen für einen Wunschtrainer wie Lucien Favre oder Marcel Koller erhöhen. Diese sind kurzfristig wohl kaum verfügbar.
5.) Welche Risiken geht der Verband ein, wenn er mit Hitzfeld verlängert?
Hitzfeld ist der teuerste Nationaltrainer der Geschichte. Schon deswegen ist eine Vertragsverlängerung ein Risiko. Ausserdem kann auch der siebenfache deutsche Meister nicht garantieren, die Nationalmannschaft weiterzuentwickeln. Denn Hitzfeld gilt als Resultat-Trainer. Noch heute spricht er von einer Sensation, wenn er an den Auftaktsieg gegen Spanien an der letzten WM zurückdenkt.
Aber sensationell bei dieser Abwehrschlacht waren einzig das Ergebnis und die Leistung von Torhüter Diego Benaglio, keineswegs aber die fussballerische Darbietung. Ganz anders funktioniert beispielsweise Lucien Favre. Selbst nach dem 2:0-Sieg gegen Dortmund sagte der Gladbach-Trainer: «Diejenigen, die nicht mit dem nötigen Tempo spielen, werden in Zukunft gar nicht mehr spielen. Ich bin tief enttäuscht. Wir müssen viel intensiver trainieren.» Es sind die Worte eines Konzepttrainers.
6.) Was passiert, wenn Hitzfeld zurücktritt?
Vielleicht hilft ein Blick in den Klubfussball. Bayern München, Napoli und GC wechselten vor dieser Saison den Trainer. Bayern freiwillig, Napoli und GC nicht. Der Effekt ist bisher derselbe. Der neue Trainer - ob Pep Guardiola, Rafael Benitez oder Michael Skibbe - hat das funktionierende Team noch besser gemacht.
Er hat spielerische Fortschritte bewirkt, und die Resultate stimmen ebenfalls. Es wäre überhaupt keine Überraschung, wenn beim Schweizer Nationalteam derselbe Effekt zum Vorschein käme. Manchmal hilft ein frischer Blick von aussen, plötzlich werden festgefahrene Strukturen und Routinen aufgebrochen, und man schöpft brachliegendes Potenzial noch besser aus.