Nach dem 0:1 gegen Frankreich wartet für Deutschland mit Portugal das nächste Spitzenspiel.
Jogi Löw hat ihn doch noch gebracht: den besten deutschen Torjäger der abgelaufenen Saison. Kevin Volland, 28-jähriger Stürmer der AS Monaco, überraschend noch in den EM-Kader gerückt, positionierte sich zur Aufholjagd nicht in der Spitze, sondern als Linksverteidiger. Derweil bewegte sich mit Mats Hummels ein Innenverteidiger für die Schlussminuten auf die Stürmerposition. Der Wechsel steht sinnbildlich für die Probleme Deutschlands. Es fehlt der Mann, der Tore schiessen kann.
Jogi Löw hatte in diesem EM-Startspiel gegen Frankreich einem Offensiv-Dreizack mit Thomas Müller, Serge Gnabry und Kai Havertz vertraut. Alle drei sind hervorragende Offensivspieler, aber ein Knipser oder ein Mittelstürmer ist keiner davon. Im Kader könnte diese Rolle eigentlich neben Kevin Volland am ehesten Timo Werner zufallen. Dieser hat aber eine schwache Saison gespielt und reiste ohne Selbstvertrauen an. Und so fehlt ein Top-Stürmer, so wie ihn die Deutschen früher hatten: Mit Mario Gomez, mit Miroslav Klose, ja selbst mit Lukas Podolski.
Auch für den in Deutschland stark kritisierten Jogi Löw war das Manko im Auftritt gegen Frankreich in der Offensive zu suchen: «Das einzige Manko war: Wir haben kein Tor erzielt und die Durchschlagskraft vermissen lassen.» Diese Durchschlagskraft fehlte den Deutschen insbesondere im Sturm, aber nicht nur. Auch auf dem restlichen Spielfeld fehlte es den Deutschen im Vergleich zum französischen Weltmeister an Entschlossenheit. Für die typisch deutschen Tugenden steht die DFB-Elf längst nicht mehr. Früher war es so, dass die Deutschen schlecht spielten und gewannen. Heute siegen sie nicht mal mehr, wenn sie gut spielen.
Einer der wenigen deutschen Fussballer, der die nötige Siegermentalität hat, ist einer, der sich mit einer Rolle abfinden muss, die ihm nicht behagt: Joshua Kimmich. Er, im echten Leben Mittelfeldchef und Wortführer von Bayern München, agierte als Rechtsverteidiger. Statt einen positiven Einfluss auf die Partie auszuüben, haderte Kimmich mit sich und seiner Aufgabe. Im Zentrum fehlte derweil der klare Chef. Eine Rolle, für die Kimmich wie geboren scheint. Muss Löw gegen Portugal demnach umstellen und Kimmich wieder ins Zentrum beordern? Zumindest schien im zentalen Mittelfeld der nötige Wortführer zu fehlen. Auch ein starker Box-to-Box-Spieler wie Leon Goretzka hätte der Partie gut tun können, denn es fehlte an den Läufen in die gegnerische Platzhälfte, wie Ilkay Gündogan feststellte: «Wir haben es verpasst, mit einem oder zwei Spielern mehr in die gegnerische Hälfte reinzustossen.» Auch Löw bemängelte dies. Für ihn lag dies aber weniger an der Formation, sondern viel mehr an der Umsetzung: «Wir hatten genug Offensivkräfte auf dem Platz, aber wir müssen bei Laufwegen, Nachrücken und Abstimmung besser werden.»
Gerade im Vergleich zu Frankreich waren die Abstimmungsprobleme offensichtlich. Wie bei ihrem Weltmeistertitel von 2018 agierten die Franzosen gegen den Ball wie eine Vereinsmannschaft, in der jeder weiss, was zu tun ist. Die Automatismen stimmten und selbst extrovertierte Spieler wie Paul Pogba erfüllten ihre Aufgabe gewissenhaft. Bei Deutschland dagegen fehlte es an Abstimmung und der Kommunikation. Sichtbar war dies bei der entscheidenden Szene dieser Partie, als die Ordnung bei einem gegnerischen Einwurf nicht stimmte, Pogba einen Seitenwechsel schlug und damit das unglückliche Eigentor von Mats Hummels einleitete.
Solche Fehler dürfen den Deutschen im nächsten Favoritenduell am Samstag mit Portugal nicht unterlaufen. Die Portugiesen, die nach einem 3:0-Sieg gegen Ungarn die Achtelfinal-Qualifikation klar machen könnten, vertrauen im Gegensatz zu Deutschland einer hochkarätig besetzten Offensive.
Das zeigt sich augenscheinlich an der Person von André Silva. Der Stürmer von Eintracht Frankfurt hat in der abgelaufenen Bundesligasaison 28 Ligatore geschossen, zwölf mehr als Volland, der beste Deutsche Skorer in den Top-5-Ligen. Löw würde sich wohl wünschen, André Silva wäre Deutscher.