Dänemark, England, Spanien und Italien hatten in der EM-Gruppenphase nur Heimspiele – nun stehen alle vier Nationen im Halbfinal. Ist das Zufall?
Dänemark, England, Spanien und Italien: Einer dieses Quartetts wird am Sonntagabend den Pokal des Europameisters in die Luft stemmen. Sportliche Argumente für einen verdienten Titel haben alle: die Dänen mit ihrer leidenschaftlichen Spielweise, die Engländer mit ihrer defensiven Stabilität, die Spanier mit ihrer Ballsicherheit und die Italiener mit einer nie da gewesenen Offensiv-Power.
Gemeinsam ist den vier Teams aber nicht nur erfolgreicher Fussball, sondern auch, dass sie an dieser paneuropäischen Meisterschaft als Heimteams dabei sind. Alle vier Mannschaften haben ihre drei Gruppenspiele zu Hause ausgetragen. Es ist ein nicht zu unterschätzender Vorteil. Denn Heimspiele bringen gleich drei Vorteile mit sich: keine Reisemüdigkeit, keine Akklimatisationszeit und die Unterstützung durch die eigenen Fans im Stadion.
Die Europameisterschaft in elf Ländern ist ein Turnier, das es in dieser Form noch nie gegeben hat. Statt ein oder zwei Gastgeberteams wie üblich gibt es gleich deren neun – Rumänien und Aserbaidschan waren nicht qualifiziert. Sechs Teams spielen alle Gruppenspiele zu Hause. Alle kommen weiter. Im Achtelfinal bleiben nur Deutschland und die Niederlande hängen. Die Deutschen, weil sie im Wembley gegen England ihr Auswärtsspiel verlieren. Die Niederländer, weil sie in Bukarest am Überraschungsteam Tschechien hängen bleiben.
Am Ausscheiden eben jener Tschechen im Viertelfinal gegen Dänemark können die Reisekilometer gut erklärt werden. Nach der Schweiz, die insbesondere in der Gruppenphase viele Kilometer gesammelt hat, haben die Tschechen die grösste Distanz absolviert. Nach dem Sieg gegen die Niederländer fliegen sie sieben Stunden nach Baku. Sie haben im Vergleich zu Dänemark einen Ruhetag weniger, wirken im Spiel bei über einer Temperatur von über 30 Grad platt, verlieren mit 1:2 und sind danach draussen. Fans hatten die Tschechen nur gegen die Niederlande in Bukarest, bei den Gruppenspielen auf der britischen Insel waren wegen der Delta-Variante fast keine vor Ort, bei der Partie in Baku wegen der grossen Distanz ebenso wenig.
Anders ist da die Unterstützung für das zweite Überraschungsteam Dänemark. Das Team, das nach dem Zusammenbruch ihres Schlüsselspielers Christian Eriksen im ersten Spiel des Turniers zum Liebling geworden ist, wird ab der zweiten Partie von seinen Fans getragen. Gegen Belgien reicht es im sehr gut gefüllten Stadion in Kopenhagen fast zum Sieg, Russland wird einige Tage später aus dem Stadion geschossen. Und auch in Amsterdam verkommt die Partie zu einem Heimspiel. Hätten die Dänen nach ihrem Schicksalsschlag ohne Fans antreten müssen, die Situation wäre eine andere gewesen.
Der grosse Profiteur des Turniers dürfte England sein. Ausser dem Viertelfinal in Rom, das sie mit 4:0 gegen die Ukraine gewonnen haben, bestreiten sie alle Partien zu Hause. Selbst die Halbfinals und der Final finden in London statt, wo die Engländer von euphorischen Fans getragen werden. Zudem befinden sich im Fussballzentrum St. George’s Park in Burton upon Trent zwei Rasenplätze mit der Nachbildung des Wembley-Rasens. Die Engländer trainieren also auf dem Untergrund, auf dem sie ihre Partien bestreiten. Von solchen Voraussetzungen konnten die ausgeschiedenen Viertelfinalisten nur träumen.