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Patrick Fischer, Felix Hollenstein und Reto von Arx führen die Schweizer Nati an der WM in Moskau: als Chef-Pilot, Co-Pilot und Bordingenieur. Geht das gut?
Die Arbeitslosigkeit. Ja, die Arbeitslosigkeit verbindet die drei Männer, denen wir unsere Nationalmannschaft anvertraut haben. Patrick Fischer und Felix Hollenstein hatten nach ihrer Entlassung als Cheftrainer in Lugano bzw. Kloten keinen neuen Job gefunden. Und Reto von Arx suchte nach dem Ende seiner Spielerkarriere im letzten Herbst immer noch eine Beschäftigung im Eishockey.
Was ist nun die Berufung dieses Trios an die nationale Bande? Mit etwas Boshaftigkeit können wir sagen: eine Erlösung aus der Arbeitslosigkeit. Eine Notlösung. Nach der Entlassung von Glen Hanlon blieb Verbandsdirektor Florian Kohler nichts anders übrig, als aus der Not eine Tugend zu machen und das Programm «Swissness» auszurufen und die drei arbeitslosen Spielerlegenden zu verpflichten.
Diese fünf Spieler muss man an der WM im Auge behalten:
Aber es gibt auch eine andere Sichtweise: Es ist ein Glücksfall für unser Hockey, dass drei Kultspieler, die beinahe 2500 NLA-Spiele absolviert und über 10 Titel gewonnen haben, im Herbst 2015 keinen Job hatten. Nur so ist es möglich geworden, ein «Dream Team» an der Bande der Nationalmannschaft zu haben. Zum ersten Mal in unserer Geschichte führen gleich drei «Alphatiere» die Nationalmannschaft. Zwei «Alphatiere» hatten wir schon. 1992 führten John Slettvoll und Bill Gilligan die Schweiz sensationell in den WM-Halbfinal. Aber ein Jahr später kam es zur Ego-Kernschmelze und die Schweiz stieg 1993 mit diesen beiden Coaches ab. 1998 erreichte die Schweiz mit Ralph Krueger und Bengt-Ake Gustafsson erneut das WM-Halbfinale. Aber drei «Alphatiere» – das hat es so noch nie gegeben.
Wie funktionieren die drei? Diese helvetische Lösung ist im Grunde eine NHL-Kopie. Die Zeit der grossen Bandengeneräle, die alles selber machen, eine Strategie entwickeln, das Spielsystem einüben, den emotionalen Haushalt in der Kabine in Ordnung halten und dann auch noch das Coaching übernehmen, ist abgelaufen. Charismatische Bandengeneräle wie Ralph Krueger, Kevin Schläpfer, Arno Del Curto, Sean Simpson oder Chris McSorley, die alles unter Kontrolle haben, haben wollen, sind Ausnahmeerscheinungen geworden.
Heute gibt es in allen wichtigen Ligen der Welt, auch in der NHL, den Trend zur Aufgabenteilung. Der Cheftrainer entwirft die Strategie, steht den Chronistinnen und Chronisten Red und Antwort (weshalb er im Idealfall ein guter Kommunikator ist), überlässt es aber seinen Assistenten, diese Strategie in Taktik umzugiessen, das Training zu gestalten, und auch die Pflege der Spieleregos obliegt seinem Betreuerstab.
Und so funktioniert unser «Trio Grande.» Um zu verstehen, wie die Aufgaben verteilt sind, nehmen wir am besten ein Cockpit eines Flugzeuges – dort sassen jahrelang drei Mann: der Chefpilot, der Co-Pilot und der Bord-Ingenieur. Patrick Fischer ist der Chefpilot. Er steuert den Kurs und er entscheidet, wann es für die Passagiere (die Spieler) Zeit ist, sich anzuschnallen. Er hat bei der Auswahl der Spieler das letzte Wort, er hält die Kabinenreden und er coacht während des Spiels die Stürmer, ordert beim Schiri ein Time-out und stellt die Linien um.
Die Verbandsführung positioniert ihn zudem recht geschickt als «Hockeygott» in der Öffentlichkeit. In der Schweiz ist ja der Nationaltrainer auch immer der erste Verkäufer des Eishockeys. Ist die Nationalmannschaft erfolgreich, so wird es der Erfolg von Patrick Fischer sein. Aber es wird auch sein Scheitern sein. Felix Hollenstein ist der Co-Pilot. Vom Naturell fühlt sich der kluge Opportunist sowieso in der Rolle des «zweiten Mannes» viel wohler. Er kümmert sich um die Trainings (er hat ja in diesem Trio mit grossem Abstand am meisten Erfahrung als Trainer) und coacht die Verteidiger. Ihm obliegt es, dafür zu sorgen, dass die Abwehr standhält.
Reto von Arx ist der (mentale) Bordingenieur. Er hat mit der Steuerung des Flugzeuges nichts zu tun. Er hat keine bestimmte Rolle bei der Trainingsgestaltung oder beim Coaching. Seine wichtigste Aufgabe ist die Betreuung der Spieler auf der Bank. Er sorgt dafür, dass sich die Passagiere an Bord (die Spieler auf der Bank) wohlfühlen und er hat ein feines Gespür dafür, wenn an Bord (in der Kabine) etwas nicht mehr stimmt.
Patrick Fischer erklärt die Aufgabenverteilung ganz pragmatisch so: «‹Fige› kümmert sich beim Coaching um die Verteidiger, ich um die Stürmer. ‹Arxi› beobachtet, was die gegnerische Mannschaft macht und kümmert sich auf der Bank um die Spieler. Er hat einen sehr guten Draht zu allen und kann die Spieler mit wenigen Worten gut beeinflussen. Er ist für die Stimmung auf der Bank und in der Garderobe unglaublich wichtig.»
Diese Aufgabenverteilung kann funktionieren. Patrick Fischer, Felix Hollenstein und Reto von Arx waren als Spieler Leitwölfe und alle drei trugen im Klub oder in der Nationalmannschaft die Captain-Binde. Aber sie sind vom Naturell her so verschieden, dass es keine Ego-Kernschmelze geben wird. Felix Hollenstein und Reto von Arx werden, wenn es gut läuft, ihrem Chef gerne die Bühne und das Scheinwerferlicht überlassen und sind, wenn es nicht läuft, noch so froh, wenn sie nicht den Kopf hinhalten müssen. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Verträge nach der WM verlängert werden und dieses Trio nicht wieder arbeitslos wird, steht bei 99,9 Prozent.