Am Freitag beginnt mit der Eishockey-Weltmeisterschaft das grosse Treffen der internationalen Eishockey-Familie. Doch die zur Schau getragene Harmonie trügt. Hinter den Kulissen tobt seit einigen Jahren ein Machtkampf.
Wenn heute Freitag in Stockholm und in Helsinki die Eishockey-Weltmeisterschaft 2012 eröffnet wird, dann beginnt das alljährliche grosse Treffen der internationalen Eishockey-Familie. Es ist eine Familie, die – im Gegensatz zur mittlerweile unüberschaubar monströs gewordenen Fussball-Sippe – ihren Sport in freundschaftlichem und fairem Rahmen pflegt und feiert. Doch die zur Schau getragene Harmonie trügt. Denn hinter den Kulissen tobt seit einigen Jahren ein Machtkampf, in welchem drei Organisationen die Hauptrolle spielen: die nordamerikanische National Hockey League (NHL), die auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion tätige Kontinental Hockey League (KHL) und der internationale Eishockey-Verband (IIHF).
So mächtig, reich und scheinbar unverwundbar im Fussball der Weltverband Fifa geworden ist, so ungemütlich ist die Position der ebenfalls in Zürich beheimateten IIHF. Sie ist richtiggehend eingeklemmt worden zwischen den beiden grössten und reichsten Eishockey-Ligen der Welt, der NHL und der KHL. Wie einfach im Vergleich zum Fussball, wo allein in Europa ein halbes Dutzend Ligen um die Gunst der Weltstars buhlen, die Weltordnung im Eishockey funktioniert, zeigt ein Blick auf die aktuelle WM-Statistik: Von den gut 400 Spielern, die die insgesamt 16 Mannschaften für das WM-Turnier gemeldet haben, spielt ziemlich genau die Hälfte in der NHL und der KHL (Grafik unten).
Gutes Geld in Kontinentaleuropa
Für viele europäische «Mittelklasse»-Stars war die Gründung der KHL im Jahr 2008 ein echter (Geld-) Segen. Schaffte man früher den Sprung in die NHL nicht, dann verdingte man sich als talentierter Söldner oft in der Schweizer NLA, wo es vergleichsweise gutes Geld zu verdienen gab. Inzwischen werden aber in Russland, Lettland, Weissrussland oder Kasachstan Millionensaläre bezahlt.
Besonders die russischen Talente, die es früher aus finanziellen Gründen nach Nordamerika zog, bleiben nun lieber in der Heimat, wo sie Star-Status geniessen und erst noch mehr verdienen als in der NHL. Die Zahlen sprechen für sich: In der Saison 1999/2000 spielten 71 Russen in der NHL, zwölf Jahre später waren es noch 31. Dass sich die KHL und die NHL schon seit Jahren über ein gültiges Transferabkommen zanken, zeigt die Machtlosigkeit der IIHF ebenfalls deutlich. Sämtliche Vermittlungsversuche schlugen fehl.
Akzentuiert hat sich der Konflikt der beiden Giganten nun noch vor dem Hintergrund der Olympischen Spiele in Sotschi 2014. Die Russen wollen im eigenen Land um jeden Preis die Goldmedaille holen. Doch noch ist nicht sicher, ob die NHL in zwei Jahren die Meisterschaft tatsächlich wieder unterbrechen wird. Die IIHF hat allergrösstes Interesse, dass die Olympia-Pause auch im neuen Gesamtarbeitsvertrag der NHL verankert wird. Aber auch hier ist sie nicht mehr als bangender und hoffender Zuschauer mit beschränktem politischem Einfluss. IIHF-Präsident Dr. René Fasel muss in diesem extrem heiklen und diffizilen Umfeld die Klaviatur der Diplomatie meisterhaft beherrschen.
Auf die Probe gestellt
KHL-Präsident und Gazprom-Boss Alexander Medwedew, einer der reichsten und mächtigsten Männer der Welt, hat Fasels Nerven in den letzten Jahren öfter mal auf die Probe gestellt. Bestes Beispiel: die Champions Hockey League, die 2009 nach einer Saison durch den überraschenden Rückzug der russischen Hauptsponsoren (u.a. Gazprom) wieder eingestellt werden musste.
Die IIHF hatte den (Image-)Schaden und sah sich mit Schadenersatzklagen von geprellten Teilnehmern konfrontiert. Trotz der politischen Ränkespiele hat das Erfolgsprodukt der IIHF kaum Schaden genommen: die WM. Auch in diesem Jahr ist der Vorverkauf – vor allem in Helsinki – hervorragend gelaufen. Der Eishockey-Familie sind die Machtkämpfe im Hintergrund egal. Man ist froh, wenn man, einen Becher Bier in der Hand, Puck-Künstlern wie Jewgeni Malkin, Pawel Datsjuk oder Henrik Zetterberg bei der Arbeit zusehen darf.