Ob der Diskussion über Luganos schwedisches Offensivwunder wird vergessen, dass am Ende die Goalies entscheiden werden
Wenn wir einem neutralen Beobachter den Auftrag erteilen, uns die drei besten Spieler des HC Lugano zu nennen, dann dauert es keine zehn Sekunden, bis wir ohne Wenn und Aber eine Antwort bekommen. Es sind die drei schwedischen Stürmer Linus Klasen, Tony Martensson und Fredrik Pettersson.
Wenn wir hingegen die Frage nach den drei besten Spielern des SC Bern stellen, dann werden wir erst nach einer Stunde oder so zögerliche Antwort mit vielen Wenn und Aber erhalten. Wahrscheinlich werden Martin Plüss, Cony Conacher und Simon Moser genannt. Aber Plüss sei halt schon 39, Conacher zu wenig diszipliniert und wenn Moser bloss öfters ins Tor treffen würde!
Damit sind wir schon mittendrin in der zentralen Diskussion über diese Finalserie: schwedische Akkordarbeit gegen Berner Beamtentum. Oder anders gesagt: Klasen, Martensson und Pettersson haben in der ersten Finalpartie fast eine halbe Stunde Eiszeit bekommen und würden gerne noch mehr spielen. Luganos vierte Linie musste sich mit exakt vier Kurzeinsätzen begnügen. Luganos heutiger Cheftrainer Doug Shedden hat mit ziemlicher Sicherheit während seiner Zeit beim EV Zug in fünf Anläufen den Final nie erreicht, weil er die besten Spieler zu stark forciert hat. Nun ist es ihm gelungen, mit Lugano erstmals seit 2006 in den Final zu kommen, weil er die besten Spieler zu stark forciert. Er sagt: «Die drei Schweden haben uns in den Final gebracht, also spielen sie jetzt auch.» Linus Klasen sieht kein Problem darin: «Wir haben die ganze Saison für diesen Moment gearbeitet. Ich habe kein Verständnis, wenn jetzt jemand müde wird.»
Trotzdem sagt SCB-Trainer Lars Leuenberger: «Es ist nicht sicher, dass die Kräfte der Schweden bis zum Schluss reichen werden.» In seiner Mannschaft wird die Eiszeit gleichmässig aufgeteilt, es wäre fast möglich, wie in einem Bundesamt einen Arbeitsplan (nicht einen Ferienplan!) zu erstellen. Diese korrekte Aufteilung macht Sinn, weil der SCB keine Stars hat, deren forcierter Einsatz sich lohnen würde. Die SCB-Chance in dieser Final-Serie liegt im Kollektiv, im Verteilen der Belastung auf möglichst viele Beine und Arme. Je länger die Serie dauert, desto besser für den SCB.
Aber bei dieser Eiszeit-Diskussion wird das zentrale Thema vergessen: die Torhüter. Charismatische Goalies haben unsere Playoffgeschichte geschrieben. Weil sie erst den Titelgewinn möglich gemacht haben. Helden wie Renato Tosio, Marco Bührer (beide SCB), Ari Sulander, Lukas Flüeler (ZSC), Jonas Hiller, Leonardo Genoni (beide Davos), Cristobal Huet (Lugano) oder Ronnie Rüeger (Zug, Lugano). Die Goalieleistung ist so zentral, dass sogar Finalversager wie Dino Stecher (Fribourg) und Tobias Stephan (Servette) ihren Ehrenplatz in der Hockeygeschichte haben. In 30 Jahren Playoffs gibt es nur drei Meistergoalies ohne Heldenstatus: Thierry Andrey, Urs Räber und Markus Bachschmied. Lugano war damals 1986, 1987, 1988 und 1991 so überlegen, dass ein Durchschnittsgoalie reichte.
So verschieden die Kulturen von Lugano und dem SC Bern auch sein mögen – die Ausgeglichenheit in der aktuellen Final-Serie ist so gross, dass die Torhüter entscheiden werden. Elvis Merzlikins (21) und Jakub Stepanek (29) waren in der ersten Partie mit Fangquoten von 88,89 Prozent beziehungsweise 77,27 Prozent zwei der schwächsten Finalgoalies in der Geschichte der Playoffs. Wenn einer von beiden in den nächsten Tagen seine Bestform findet, wird sein Team Meister. Wenn es Jakub Stepanek ist, dann verglüht der ganze schwedische Offensivzauber wie eine Sternschnuppe.
(4.4.2016)