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Wie viel Glück erträgt der Mensch? Wie viele Siege eine Mannschaft? Seit dem Altertum beschäftigen sich Philosophen, Dichter und Denker mit diesem Thema. Sie haben Warnungen für das Volk in griffige Formulierungen gegossen. «Allzu viel ist ungesund» oder «Halte stets das Mass».
Eishockey-Playoffs sind eine sportliche Grenzerfahrung. Selbstvertrauen ist ein wichtiger Erfolgsfaktor. Zu viel Selbstvertrauen hingegen der häufigste Grund für den Sturz eines Favoriten. Zu viel Selbstvertrauen führt in harmlosen Fällen zu Leichtsinn – einer leichten, rechtzeitig heilbaren psychischen Erkältung. In schweren Fällen hingegen zu Arroganz – einer langwierigen Grippe.
Der SC Bern hat inzwischen 88 der letzten 121 Meisterschafts- und Playoffpartien unter Kari Jalonen gewonnen. Der finnische Erfolgstrainer hat das Spiel des Meisters so perfektioniert, dass die einzelnen Spieler inzwischen gar nicht mehr gefordert und herausgefordert werden. Diese Leichtigkeit des Siegens hat den SC Bern gegen die ZSC Lions in eine kritische Situation gebracht. Die Zürcher haben die erste Partie der Halbfinalserie in Bern am Dienstagabend mit 3:2 gewonnen.
Die Reaktion des SCB auf diese Niederlage ist gut und gefährlich zugleich. Gut, weil das Selbstvertrauen intakt geblieben ist. Gefährlich, weil der Halbfinal-Fehlstart noch keine Trotzreaktion hervorgerufen hat. Die Berner haben ihre Gelassenheit nach dem Spiel zelebriert.
Eric Blum personifizierte die innere SCB-Verfassung am besten. Er sagte, was ein Musterprofi in solchen Situationen stets sagt: Man nehme Spiel für Spiel. Man müsse die Niederlage abhaken und vorwärtsschauen. Dann hielt er inne und zeigte Sinn für Selbstironie: «Ich kann auch noch weitere solche Sprüche machen . . .» Beunruhigt war er nicht.
Nur Trainer Jalonen wirkte nach dieser Startniederlage beunruhigt. Nur mit Mühe wahrte er seine steife Würde und wich konkreten Fragen mit dem Hinweis aus, er müsse erst das Video analysieren. Und nein, er sei nicht laut geworden, es sei jetzt nicht Zeit zum Toben (für «Pep Talks»). Seine Stimme klang allerdings ungewohnt heiser. Er muss in den Pausen eben doch getobt haben. Was Eric Blum auf eine entsprechende Frage bestätigt: «Ja, für seine Verhältnisse war er etwas laut. Aber nicht laut, wenn wir Guy Boucher als Massstab nehmen...»
Die Gelassenheit der Berner hat also etwas Künstliches. Logisch. Sie ist auch Mittel zum Zweck: Dem Gegner jetzt nur ja keine Anzeichen von Schwäche zeigen. Im Gegensatz dazu steht die echte Gelassenheit der Zürcher. Sie ist das Produkt einer grimmigen Entschlossenheit. So wie dem Innenleben der Berner nach zu vielen leichten Siegen die Würze der Niederlage fehlt, so ist die Verfassung der ZSC Lions diese Saison durch Niederlagen plus Trainerwechsel kräftig gewürzt worden.
Die Zürcher erinnern auf faszinierende Weise an den SCB, der im Frühjahr 2016 vom 8. Platz aus die Meisterschaft gewonnen und auf dem Weg zum Titel im Viertelfinal die ZSC Lions gleich 4:0 überrollt hat. SCB-Trainer war damals Lars Leuenberger, heute strategischer Leiter der SCB-Sportabteilung. Er sagt: «Die Zürcher spielen genau so wie wir damals.»
ZSC-Trainer Hans Kossmann fällt es sichtlich leichter als Kari Jalonen, gelassen zu sein. Auf die vielfach gestellte Frage, wie er diese wundersame Wandlung seiner Mannschaft zuwege gebracht habe, gibt er eine kluge Antwort: «Das hat mir nichts zu tun. Die Spieler sind in sich gegangen und haben das selber geschafft.» Für eine solche Wandlung ist das richtige Mass an Niederlagen offensichtlich hilfreich. 29 waren es damals in der Meister-Saison 2016 beim SCB, 26 in der dieser Qualifikation für die ZSC Lions. Niederlagen, das Salz der Erde, das Salz des Selbstvertrauens.