Heute fällt der Startschuss in der National League. Für Ajoie, Ambri und Langnau geht es in erster Linie darum, so weit wie möglich vom letzten Platz wegzukommen. Aber sie leben Hockey-Romantik und Hockey-Kultur. Für alle drei gilt: Siege sind für den Tag, die Romantik ist für die Ewigkeit. Deshalb sind alle drei im Laufe der Jahre nach Abstiegen wieder in die höchste Liga zurückgekehrt.
Eine Episode aus dem Elsgau (deutsch: Ajoie), dem Disneyland des frankofonen Hockeys mag zeigen, wie Hockey-Romantik im 21. Jahrhundert aussieht. Der Frankokanadier Guillaume Asselin hatte im letzten Frühjahr in Sierre einen weiterlaufenden Vertrag. Dann stieg Ajoie mit Michaël-Philip Devos und Jonathan Hazen in die National League auf. Keine Frage: diese Chance, mit seinen beiden Freunden in der höchsten Liga spielen zu dürfen, würde nie mehr kommen. Also bezahlte er die von Sierre geforderte Ablösesumme von 25 000 Franken für den Ausstieg aus dem laufenden Vertrag aus der eigenen Tasche und verdient nun in Ajoie nicht einmal 150 000 Franken. Wichtiger als Geld ist die Chance, mit Freunden in der höchsten Liga zu stürmen: «Geld und Geist», oder eben «Argent et Esprit».
Ajoie hat die höchste Liga 1993 verlassen und ist nach einer langen Leidenszeit mit Abstiegen bis in die 1. Liga wieder zurück. In einem neuen Stadion. Und der Referenz eines Cup-Sieges von 2020. In diesem Wettbewerb hat Gary Sheehan das Team zu Siegen über Titanen wie die ZSC Lions, Lausanne, Biel und Davos geführt. Also ist Ajoie konkurrenzfähig. Nicht ganz. Was im Cup ein aufregendes Abenteuer war, wird Alltag. Nun müssen Woche für Woche die nominell besseren Teams herausgefordert werden. Sozusagen 52mal Cup-Final. Es wird nicht 52 Hockey-Wunder geben. Alles andere als der 13. und letzte Platz wäre eine schöne Überraschung und ein Triumph der Hockey-Romantik. Der Aufsteiger tritt mit einer Swiss League-Mannschaft an, verstärkt mit vier Spektakel-Ausländern aus der Provinz Quebec. Aber wir dürfen den spektakulärsten Tabellenletzten seit Einführung der Playoffs (1986) und gute Unterhaltung erwarten. Hockey-Romantik eben. Aber dramatische.
Nach 61 Jahren verlässt Ambri die Hockey-Kathedrale Valascia und zügelt in eine neue Arena auf dem alten Militärflugplatz. Dieser Umzug ist die grösste Herausforderung in der Klub-Geschichte. Ein neues Stadion bedeutet Aufbruch in eine neue Ära und alle sind sicher: alles wird besser. Auf der ganzen Welt ist das so, sportartenübergreifend. Aber in Ambri ist auch das anders. Dieser Umzug ist ein durch die Umstände erzwungener Aufbruch mit bangem Herzen und ungewissen Aussichten. Wird die Magie auch im kühlen Beton des neuen Stadions leben? Vermögen Fans und Spieler auch in den neuen Gemäuern den «heiligen Zorn» zu entfachen, der schon so manches sportliche Wunder ermöglicht hat? Oder wird Ambri nun ein «gewöhnlicher» Klub?
Diese Frage ist bezeichnend für den Mythos Ambri. Aber sie ist müssig. Wenn Ambri in der neuen Arena ein gewöhnliches Hockey-Unternehmen wird, dann war der Mythos Ambri bloss eine Fata Morgana: Es kann ja nicht sein, dass kalte, alte Mauern die Seele dieses Klubs ausmachen. Es wird, ja es muss umgekehrt sein: Ambri hat den alten Gemäuern der Valascia eine Seele eingehaucht. Und wer eine mehr als 50jährige Arena mit Leben füllte, wird auch ein neues Stadion zu beseelen und zu beleben wissen. Aber ein wenig anders wird es nun sein. Siege waren in der alten Valascia immer sekundär, ausser gegen Lugano. Der Sinn des Lebens war: Wir leiden, also sind wir. Im neuen Stadion wird wohl mehr profanes Resultatdenken einkehren, Ambri wird der normalen Hockeywelt etwas näherkommen. Die Frage ist: wie nahe?
Mehr offensive Feuerkraft als letzte Saison, erhöhte defensive Stabilität durch einen ausländischen Verteidiger: Ambris Romantik hat eine stabilere Basis als die Romantik in Ajoie und Langnau. Kommt es anders, so wird man darauf verweisen, dass Ambri eben schon immer ein Klub der Dramen war.
Ob Langnau die Schmach des letzten Platzes erspart bleibt, hängt davon ab, wie lange der neue Trainer Jason O’Leary braucht, um aus Verlierern Sieger zu machen und den neuen Stil einzufuchsen. Kein Abstieg und deshalb keine Investitionen und kein einziges Spiel mit vier Ausländern: Kein anderes Hockey-Unternehmen hat letzte Saison so viel Geld gespart und so oft verloren. Aber wenn die Langnauer so weitermachen, dann verlottern sie sportlich und es droht im Frühjahr 2023 bei der Wiedereinführung der Promotion und Relegation der Abstieg. Niemand weiss das so gut wie Sportchef Marc Eichmann.
Aber er hatte erneut nicht die Mittel, um nachhaltig aufzurüsten. Zwar darf er nun vier Ausländer beschäftigen. Aber sonst reichte das Geld nur zu Einkäufen in den Transfer-Brockenstuben. Nicht die Transfers verändern die Lage. Sondern der Trainerwechsel. Letzte Saison hat Rikard Franzén die Politik der geldlosen Vernunft umgesetzt. Der Schwede hielt das Team zusammen. Aber es verlor so oft, dass das Verlieren zur Gewohnheit wurde – und der Trainer am Ende der Saison als Opfer der Vernunft gehen musste. Eichmann versucht die Romantik des Verlierens durch einen Trainerwechsel zu beenden. Der kompromisslose Resultatcoach Jason O’Leary ist der Nachfolger des freundlichen Defizitverwalters Franzén. Der Kanadier, vom Stil her eine Westentaschen-Ausgabe von Chris McSorley, gewann mit Langenthal 2017 die SL-Meisterschaft und erreichte 2019 mit Zugs Farmteam die Playoffs. Wie Luca Cereda in Ambri versucht auch er, aus Mangel an Talent den Gegner mit Tempohockey zu zermürben. Vier ausländischen Stürmer obliegt es, die Laufarbeit in Tore umzumünzen. So oder so wird es nicht einfach, im Duell gegen den letzten Platz besser zu sein als Ajoie. Sicher ist: wenn es nur zum zweitletzten Platz reicht, so wird Langnau immerhin der spektakulärste und unterhaltsamste Zweitletzte seit Einführung der Playoffs sein.