Mit Kameras, Drohnen und Dokumentarfilmen setzen sich Randsporten in Szene. Red Bull ist der Meister des Geschichtenerzählens und rückt selbst Segeln, Gleitschirmfliegen und Basejumpen optimal in Szene.
Das Stadion als Bühne, oder gleich als ganzes Opernhaus, der Trainer, der Regieanweisungen gibt. Sportler, die ihre Auftritte haben, die ihre Rolle erfüllen (oder auch nicht). Die für die Galerie spielen, sich zu Statisten degradieren lassen. Sieger, die im Rampenlicht stehen, und Verlierer, die in der Versenkung verschwinden. Der Sport ist längst ein gewaltiges Schauspiel, medial bis ins letzte Detail in Szene gesetzt. Wer auffallen will, muss sich dieser Logik beugen - das gilt für König Fussball, aber noch viel mehr für Sportarten, die weniger im Fokus der Öffentlichkeit stehen.
Zum Beispiel der Marathon-Weltrekord von Eliud Kipchoge. Zwei Mal trat der Kenianer unter Laborbedingungen an, die Marke von zwei Stunden für die 42,195 Kilometer zu unterbieten. Beim ersten Mal auf der Motorsport-Strecke in Monza. Start um 05.45 Uhr, zwölf Grad Celsius und Windstille. Vor den drei Läufern ein Elektrowagen mit Anzeigetafel, die auch noch Windschutz bot. Mitarbeiter aus dem Ärzte- und Wissenschaftsteam begleiteten die Läufer auf Fahrrädern. Nach jeder der 2,4 Kilometer langen Runden ein neuer Tempomacher. Der Versuch scheiterte: Kipchoge blieb in 2:00:25 knapp über der magischen Marke. Er war trotzdem zufrieden, wie sein Sponsor Nike, der 30 Millionen Dollar investiert hatte.
Denn die mediale Aufmerksamkeit war gigantisch. Es ist der Stoff, aus dem die Träume der Geschichtenerzähler sind. Ein Mann aus ärmlichen Verhältnissen, der sich anschickt, das Unvorstellbare, das Undenkbare, das Unerreichte zu vollbringen. Entdecken, erobern, greifbar machen – das ist es, was unser Wesen ausmacht: Wir wollen Dinge tun, die niemand vor uns getan hat. Der Rekordversuch wurde verfilmt, produziert von «National Geographic». Er zeigt «Pioniere auf ihrer globalen Reise», wie «Disney Plus» schreibt. Kipchoge bei Tests im Windkanal und in Labors in den USA, aber auch im Alltag in Kenia. Wie er Gemüse schält und Toiletten schrubbt. Und wie er Abends Bücher von Konfuzius und Aristoteles liest.
Zwei Jahre später unterbot Eliud Kipchoge die 2-Stunden-Marke in Wien. 5,3 Millionen Menschen verfolgten den Livestream von Ineos, dem Chemiekonzern, der diesmal federführend war, auf Youtube.
Unbestrittener Meister der medialen Inszenierung ist Red Bull. Längst verbindet man das österreichische Unternehmen kaum, oder zumindest nicht mehr nur mit dem Energydrink, der noch immer das Gros des Umsatzes ausmacht. Zum Portfolio gehören Fussballvereine in Leipzig und Salzburg, Eishockeyvereine, oder zwei Formel-1-Teams. Dazu kommen Athleten wie Daniela Ryf, die Skifahrer Loïc Meillard und Marco Odermatt, oder der Schwinger Remo Käser. Im Zentrum stehen aber andere: Sportler, die sich an den Grenzen zwischen Sport und Entertainment bewegen. Wie zum Beispiel der Basejumper Felix Baumgartner, der 2012 in einem Heliumballon aufstieg, um aus der Stratosphäre und aus einer Höhe von 38’964 Metern über Meer mit einem Fallschirm abzuspringen und auf die Erde zurückzusegeln. Red Bull steht längst für Lifestyle, für Extremsportler, die ihr Träume verwirklichen und unsere befruchten.
Dabei spielt Red Bull ein Spiel nach eigenen Regeln und hebt auch einmal ein neue Formate aus der Taufe. Zum Beispiel Red Bull Crashed Ice, wo sich Wagemutige auf Schlittschuhen einen Eiskanal hinunterstürzen. Oder Red Bull X-Alps. X-Alps gilt als härtester Wettkampf für Gleitschirmteams im Biwakfliegen. Das Konzept: Alle zwei Jahre fliegen die Athleten eine Strecke von über 1000 Kilometern Luftlinie im Alpenraum, mit Stationen in fünf Ländern: Österreich, Italien, Frankreich, Deutschland und in der Schweiz. 2019 siegte zum sechsten Mal in Folge der Schweizer Chrigel Maurer, der «Adler von Adelboden», wie ihn das «Migros Magazin» einst nannte. Red Bull zählt zwar nicht zu seinen Sponsoren, einen Grossteil seiner Bekanntheit bezieht Maurer aber aus dem X-Alps-Format.
Red Bull schafft es, selbst Sportarten, die im Zeitgeist der Digitalisierung unterzugehen drohen, in den Fokus zu rücken. Segeln zum Beispiel. Die Rennen sind oft lang und es gibt Phasen, in denen wenig passiert. Das Fazit: Schlecht geeignet, um damit ein grosses Publikums zu erreichen.
Doch Red Bull wäre nicht der Meister des Geschichtenerzählens, wenn man nicht auch für dieses Problem eine passende Lösung finden würde. Anfang September absolvierten die beiden Österreicher Roman Hagara und Hans Peter Steinacher ein Trainingslager auf dem Bodensee. 2004 in Athen und 2008 in Peking gewannen die beiden Olympia-Gold. Sie sind damit die höchstdekorierten Sommer-Olympioniken Österreichs. Hagara und Steinacher segeln sonst nur im Meer, wo der Wind stärker, und die Wellen höher sind. Dennoch schaffte es Red Bull, auch daraus ein Ereignis zu machen. Und kündigte an, einen Geschwindigkeitsrekord aufstellen zu wollen. Dazu lud man Sponsoren und Journalisten ein, um auf dem Boot mitzusegeln, das bei gutem Wind Tempi von bis zu 75 km/h erreicht.
Zur perfekten Inszenierung gehört auch das Beiboot, das immer mitfährt, einerseits für die Sicherheit, andererseits führt es den zweiten Teil der Crew mit, eines der Erfolgsgeheimnisse von Red Bull. Ein Team, das jedes Manöver in Szene setzt - mit Kameras, mit Drohnen. Die Videos, die daraus entstehen, erzählen Geschichten von wagemutigen Seglern, von Teamwork, von einem Lebensgefühl. Und sie lassen die Zuschauer an diesem Ereignis teilhaben. Die Thermik und der Verkehr auf dem Bodensee lassen nur sehr selten Geschwindigkeiten zu, für die der Katamaran der österreichischen Crew gebaut wurde. In der Trainingswoche herrschte besonders grosse Flaute. Ein Rekordversuch war deshalb nicht möglich. Es sei nur darum gegangen, das Boot und seine Stabilität zu testen.
Nebenbei habe man innerhalb von drei Minuten drei Manöver in der Schweiz, Österreich und Deutschland durchgeführt – und damit in drei verschiedenen Ländern. Auch das ist eine gute Geschichte.