Bundesliga
Durchgestartet wie noch keiner

Der wundersame Weg von Ulisses Garcia aus der vierten Schweizer Liga zu Werder in die spektakuläre Bundesliga.

Markus Brütsch
Drucken
Mittendrin statt nur dabei: Ulisses Garcia (2. v. l.)

Mittendrin statt nur dabei: Ulisses Garcia (2. v. l.)

Keystone

Es ist die simple Chronologie einer verrückten Story: Am 30. Mai bestreitet Ulisses Garcia in Seuzach mit GC II vor 410 Zaungästen das letzte Saisonspiel der 1. Liga, am 15. August läuft er mit Werder Bremen vor 42 100 Zuschauern gegen Schalke ins Weser-Stadion ein und gibt sein Bundesligadebüt.

«Ganz zu Beginn war ich schon etwas nervös», räumt Garcia ein. Kein Wunder, war doch hundertmal mehr Publikum da als in Seuzach. «Aber dann lief es mir immer besser und ich gewöhnte mich ans hohe Tempo.» Von null auf hundert – was Garcia in den letzten zweieinhalb Monaten erreicht hat, ist mehr als ungewöhnlich. Von der vierten Schweizer Spielklasse in 77 Tagen ohne Umweg in die höchste Liga Deutschlands – das hat bisher noch keiner geschafft. Es hat auch schon Spieler wie Christian Schwegler und Pascal Thüler gegeben – Letzterer gar mit Champions-League-Erfahrung – , die ihre Sporen bei Luzern und GC abverdient hatten und zuversichtlich nach Norden zogen, dann aber in Bielefeld und Duisburg keine Minute eingesetzt wurden.

Garcia aber hatte vor seinem Transfer von GC zu Werder lediglich drei Auftritte im Profifussball auf dem Buckel: ein Super-League-Spiel, ein Qualifikationsspiel für die Europa League gegen Brügge und ein Zweiminuteneinsatz im Cup gegen Vedeggio. Ohne Leistungsausweis den Sprung ins Land des Weltmeisters zu schaffen und dort in den ersten vier Pflichtspielen gegen die Würzburger Kickers, Schalke 04, Hertha Berlin und Mönchengladbach in der Startformation zu stehen, ist verblüffend. Vor allem, wenn der Betreffende erst 19 Jahre alt ist.

Einen Personaltrainer engagiert

Von einem solchen Saisonstart hatte Garcia gewiss nicht zu träumen gewagt. Dass er sich die Bundesliga zutraue, hatte er zwar schon im Juli bekundet, dabei aber eher mittelfristig gedacht. Er glaubte, sich über Werder II in der dritten Liga an die Elite herantasten zu müssen, aber gewiss nicht, gleich Gegenspielern wie Choupo-Moting, Haraguchi, Xhaka und Jantschke über den Weg zu laufen. Er hatte zwar davon profitiert, dass Stammlinksverteidiger Santiago Garcia zu Saisonbeginn noch nicht fit war, sich aber gegen Janek Sternberg durchgesetzt; und als Namensvetter Garcia gegen Mönchengladbach wieder fit war, nahm Viktor Skripnik den Youngster nicht aus der Mannschaft, sondern versetzte ihn einfach nach vorne ins Mittelfeld. «Wir haben ihn ja nicht für unsere Vitrine geholt», sagte der Trainer. «Ich traue ihm eine gute Rolle zu.» In Bremen wird erwartet, dass Garcia auch am Sonntag in Hoffenheim zur Startelf gehört.

«Ich bin selber überrascht, wie gut es bisher gelaufen ist», sagt Garcia, «aber ich habe auch einiges getan dafür.» Um sich für die riesige Herausforderung im Norden Deutschlands zu wappnen, hatte er einen Personaltrainer engagiert. Er wollte von den physisch starken Gegnern nicht gleich weggepustet werden. «Die Robustheit ist eine meiner Stärken», sagt Garcia nun. Der Bremer Innenverteidiger Assani Lukimya sagt: «Ulisses ist ein selbstbewusster, hoch motivierter Junge.» Der Gelobte selber ist sich bewusst, dass es vermutlich schwieriger sein wird, jetzt die gezeigten Leistungen zu bestätigen, als zum Shootingstar von nur drei Bundesligarunden zu werden. «Ich schaue einfach mal von Spiel zu Spiel», hat er sich bereits dem Jargon der Profis angepasst.

Dass die Bäume nicht in den Himmel wachsen, hat er ohnehin eben erst bei der Schweizer U21-Nati erlebt. Beim 1:0-Sieg am Montag in Kasachstan war ihm von Coach Heinz Moser der St. Galler Martin Angha vorgezogen worden. Aber: Garcia war erstmals auf dieser Stufe dabei und Moser sagt: «Ich kenne Ulisses gut. Ich habe ihn schon seit der U15-Auswahl unter den Fittichen.» Er hat eine tolle Entwicklung genommen, seit er aus Genf nach Zürich gekommen sei. «Doch ich bin schon auch überrascht, wie er nun in Bremen eingeschlagen hat», sagt Moser. So sehr eingeschlagen, dass die Zuschauer, die an der Weser einst die heutige Werder-Legende Borowka mit Uli-Uli-Rufen feierten, dies bereits auch mit Garcia tun.

"Garcia ist einer wie Baba"

Dessen Eltern stammen von den Kapverden, lebten aber in Portugal, als Ulisses auf die Welt kam. Als dieser drei Jahre alt war, zog die Familie nach Genf. «Meine Jugend hier war schön. Ich spielte für Onex und Servette», erzählt Garcia, der 2011 vom damaligen GC-Nachwuchskoordinator Mathias Walter auf den Campus in Niederhasli geholt worden war. «Ich kannte die Sprache nicht und hatte Heimweh. Es war eine schwierige Zeit», sagt Garcia. Moser denkt, dass sie ihn offener und kommunikativer gemacht habe. Garcia besitzt den schweizerischen und den portugiesischen Pass. Ein erstes Aufgebot für Portugals U19 hat er abgelehnt.

Was aber war mit GC los? Hatte der Rekordmeister vielleicht eines seiner grössten Talente verkannt? Nein, die Zürchern wussten, dass der FC Basel, aber auch Klubs aus Frankreich, England und Deutschland ein Auge auf den Nachwuchsnationalspieler geworfen hatten. Deshalb stand der damalige GC-Sportchef Axel Thoma in Kontakt mit Gladbachs Sportdirektor Max Eberl. GC nahm auch verschiedene Anläufe, um mit Garcia den Vertrag zu guten Konditionen zu verlängern. Doch der Spieler und sein Berater lehnten ab im Wissen, dass Ablösefreiheit die Transferchancen stark erhöhen würde.

GC verbannte den Spieler in die zweite Mannschaft; Garcia bestritt in der Saison 14/15 kein einziges Super-League-Spiel. «Ich war aber auch in der 1. Liga immer motiviert», sagt Garcia. Hilfreich war dabei, dass er schon im Winter mit Werder Kontakt gehabt hatte und mit einem Vertrag rechnen konnte, wenn er standhaft blieb und bei GC nicht unterschrieb. «Künftig müssen wir Vertragsverlängerungen früher angehen», hat Interimssportchef Manuel Huber erkannt. Immerhin 375 000 Franken Ausbildungsentschädigung haben die Zürcher für Garcia erhalten. Vielleicht wird diese Summe sogar noch grösser. Im Sommer hat Abdul Rahman Baba den FC Augsburg nämlich für 24 Millionen Franken zu Chelsea verlassen.

Was dies mit Garcia zu tun hat? Werder-Geschäftsführer Thomas Eichin sagt: «Garcia ist einer wie Baba.»