Eine Analyse des «az Nordwestschweiz» Sportchefs François Schmid-Bechtel über die andauernde Trainersuche bei den Berner Young Boys.
Harald Gämperle: «Komm, wir gehen!» Fredy Bickel: «Wir können nicht.» Gämperle: «Warum nicht?» Bickel: «Wir warten auf Godot.» Gämperle: «Ah!» Es sind die beiden Landstreicher Estragon und Wladimir, die diesen Dialog im Theaterstück «Warten auf Godot» zelebrieren.
Aber man kann sich YB-Sportchef Bickel wunderbar als Wladimir und seinen Interims-Trainer Gämperle als Estragon vorstellen. Schliesslich ist Bickel schon seit drei Wochen auf der Suche nach einem Nachfolger für den entlassenen Trainer Uli Forte. Und: Wie die Figuren in Samuel Becketts Stück verkörpert tout Berne das menschliche Bedürfnis, trotz unbestimmter und unerfüllter Illusionen auf die Ankunft eines Heil bringenden Fussball-Propheten zu hoffen.
Bickel erst recht. Denn er weiss, dass er nur noch eine Patrone hat. Trifft er bei der Wahl des neuen Trainers nicht ins Schwarze, wird es sehr eng für den Sportchef.
Steckt Kalkül dahinter?
Vor drei Wochen hat sich Bickel einen Plattfuss eingefangen. Pech für ihn, das er ohne Reserverad unterwegs war. Oder steckt gar Kalkül dahinter? Schliesslich muss ihm klar sein, dass es äusserst dilettantisch wirkt, wenn ein Sportchef in drei Wochen keinen neuen Trainer gefunden hat. Umso mehr, wenn die Trainerentlassung wie im neusten YB-Stück nicht unerwartet erfolgte.
Bickel hätte sich auf diesen Moment vorbereiten können. Quasi Reserverad ins Auto laden. Denn Bickel hatte die Entlassung Fortes unter anderem damit begründet, dass man sich schon vor einigen Monaten auseinandergelebt habe. Aber an jenem 6. August stand er da, als hätte er in der Nacht zuvor eine Erleuchtung gehabt. Und jetzt steht er immer noch an einen kahlen Baum gelehnt an irgendeiner Landstrasse und wartet auf... Godot.
Bickel setzt lieber auf Freunde, als Bekannte
Ob Godot jemals kommt? Murat Yakin wäre beispielsweise verfügbar. Und nebenbei erfüllt der frühere BaselTrainer Kriterien wie Taktikfuchs, weiss-wie-man-Meister-wird, Stabilisator und Talententwickler. Doch zwischen YB und Yakin gab es seit Fortes Entlassung keinen Kontakt. Warum? Vielleicht, weil Bickel bewusst ist, wie kompliziert eine Verpflichtung Yakins für ihn werden könnte.
Yakin wäre prädestiniert für den Trainerjob bei YB, keine Frage. Aber Yakin kommt nicht nach Bern und gliedert sich in die Reihe von Bickels Gesellen ein. Klar, die Schweiz ist ein kleines Land. Und die Fussball-Gesellschaft ein beinahe intimer Zirkel. Da läuft man sich zwangsläufig immer wieder mal über den Weg.
Doch Bickel setzt bei YB nicht auf Bekannte, sondern auf Freunde. Fast ausschliesslich. Das ist nicht per se schlecht. Nur besteht die Gefahr, dass Anhängigkeiten bestehen und Freundschaften dem Leistungsgedanken den Sauerstoff entziehen. Wer vergrault schon gerne seine Freunde?
Bickel steckt vor einem Dilemma
Yakin ist einerseits finanziell unabhängig. Andererseits hat er unterdessen ein Standing erreicht, dass es ihm erlaubt, ein Engagement an Bedingungen zu knüpfen. Gut möglich, dass sich Bickel genau davor fürchtet. Denn Yakins Bedingungen könnten wohl zur Folgehaben, dass sich Bickel vom einen oder anderen Freund trennen müsste.
Dabei stünde wohl auch Harald Gämperle zur Diskussion. Der gemäss Bickel beste Assistenz-Trainer überhaupt. Den Bickel einst engagiert hatte, bevor er sich überhaupt auf einen Cheftrainer festgelegt hatte. Quasi verkehrte Welt.
Eine andere Überlegung: Wenn nicht Yakin, könnte Bickel einen international renommierten Trainer verpflichten, um sich in dessen Schatten zu werfen. Ob ihn dieser Schatten aber aus der Schusslinie nimmt, ist fraglich. Respektive unwahrscheinlich, dass sich ein solch grosser Schatten YB überhaupt antut.
Vielleicht unterschätzen wir Bickel. Vielleicht erkennt er schon seit Monaten in Estragon den lang ersehnten Godot. Nur: Will er seinen Freund Gämperle zum Cheftrainer machen, muss YB heute in Baku gegen Karabach Agdam den Einzug in die Gruppenphase der Europa League realisieren. Ansonsten fehlen die Argumente für Gämperle. Verabschiedet sich YB aber von der europäischen Bühne, fehlt bei der Suche nach Godot ein wichtiger Lockstoff. Ein Dilemma, das sich Bickel selbst eingebrockt hat.