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Roger Federer steht zum zwölften Mal in den Wimbledon-Halbfinals. Novak Djokovic und Andy Murray hingegen haben mit Verletzungen zu kämpfen und sind beide ausgeschieden. Somit bietet sich Federer die immer grösser werdende Chance auf den achten Titel in Wimbledon.
Stan Wawrinka, sagt Roger Federer, sei die einfache Antwort. Der Romand habe alle Statistiken durcheinandergebracht, weil er seit 2014 in Melbourne, Paris und New York gewonnen hat. Doch das ist nur die halbe Wahrheit.
Fakt ist: Seit Einführung der Profi-Ära haben im Tennis-Mekka Wimbledon nur neun Spieler ihren ersten Grand-Slam-Sieg feiern können. Zum Vergleich: Roland Garros ist in der gleichen Zeitspanne 21 Mal Schauplatz einer Major-Premiere.
Letztmals wird 2003 in den Wimbledon-Katakomben ein Name erstmals auf der hölzernen Ehrentafel verewigt: jener von Roger Federer. Seither haben an der Church Road mit Novak Djokovic (3), Andy Murray und Rafael Nadal (je 2) nur noch jene Spieler in London triumphiert, welche als Teil der «Big Four» in die Annalen eingehen werden.
Federer hat in Wimbledon seither sieben Mal triumphiert. Nach einem 6:4, 6:2, 7:6 (7:4) gegen den Kanadier Milos Raonic (26, ATP 11) steht er ohne Satzverlust und zum zwölften Mal in den Halbfinals.
Vor einem Jahr war er in fünf Sätzen an Raonic gescheitert, an den Nachwirkungen eines Meniskusrisses im linken Knie leidend und in seiner Mobilität stark eingeschränkt. Danach hatte Federer mit dem Abbruch seiner Saison den radikalsten Schritt in seiner Karriere unternommen. Mit dem Ziel, noch einmal in Wimbledon zu gewinnen.
«Ich bin glücklich, geht mein traumhafter Lauf weiter», sagt er nach dem 89. Sieg im 100. Match in Wimbledon. «Unglaubliche Zahlen. Gerade hier in Wimbledon bedeutet es mir sehr viel, mich in der Geschichte dieses Turniers zu verewigen», sagt Federer. Einst sei es sein Ziel gewesen, überhaupt einmal hier spielen zu dürfen.
Bei seinem Sieg gegen Raonic kommt nur im dritten Satz Spannung auf, wo er im Tiebreak gegen einen der stärksten Aufschläger der Welt einen 0:3-Rückstand wettmacht. Ein Raunen geht aber bereits zuvor beim Stand von 5:6 durch die Reihen, als der Serbe Novak Djokovic beim Stand von 6:7, 0:2 gegen Tomas Berdych seinen Viertelfinal wegen einer Verletzung am rechten Ellbogen aufgeben muss.
Was auf der Anzeigetafel eingeblendet wird, nimmt auch Federer wahr. «Ich musste aber zwei Mal hinschauen, ob es wirklich Novak ist. Ich wusste, dass er ein Problem mit der Schulter hatte, aber nicht, dass ihm auch der Ellbogen Probleme bereitete», sagt Federer. «Als Rivale und Freund wünsche ich ihm und Andy Murray, dass sie sich schnell erholen.»
Andy Murray (30) beschäftigt die Hüfte, Novak Djokovic (30) der Ellbogen. Und weil das Spiel auf Rasen seinen Knie mehr abverlangt als jeder andere Belag, ist Rafael Nadal (31) in Wimbledon gedanklich derart stark mit sich selbst beschäftigt, dass er nur noch ein Schatten jener herausragenden Version seiner selbst ist, die im Juni zum zehnten Mal die French Open gewonnen hat.
Bei Federer hingegen verhält es sich genau umgekehrt. «Wenn ich einen Rasenplatz betrete, glaube ich, dass alles möglich ist», sagt er. Nur deswegen habe er es im letzten Jahr trotz seiner Verletzung in die Halbfinals geschafft.
Diesmal sind es seine Konkurrenten, die den hohen Belastungen Tribut zollen. Seit anderthalb Jahren versucht Djokovic, das Problem mit dem Ellbogen in den Griff zu bekommen. «Doch alle Behandlungen und Medikamente halfen nicht.» Während einer halben Stunde seien die Schmerzen erträglich gewesen, «dann wurde es immer nur noch schlimmer», sagt der Serbe, der nun sogar eine Pause in Betracht zieht.
Mit Stan Wawrinka (32) hatte in der ersten Runde zudem jener Spieler mit Knieproblemen verloren, der neben Marin Cilic der Einzige ist, der seit 2009 in die Phalanx der vier Grossen eingedrungen ist und ein Grand-Slam-Turnier hat gewinnen können.
So findet sich Federer in Wimbledon plötzlich in ungewohnter Gesellschaft wieder. Sam Querrey steht erstmals in einem Major-Halbfinal, für Cilic, den US-Open-Sieger von 2014, ist es in London die Premiere.
Mut macht Federer auch die 18:6-Bilanz gegen Halbfinal-Gegner Tomas Berdych (31, ATP 15). Die letzten sieben Duelle gewann Federer. Aber der Tscheche besiegte ihn 2010 in den Wimbledon-Viertelfinals. Das soll Federer diesmal nicht passieren.