Analyse
Djokovic – oder Uriella vom Balkan

Analyse über das ignorante Verhalten während der Pandemie des weltbesten Tennisspielers Novak Djokovic.

François Schmid-Bechtel
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Karikatur: Silvan Wegmann

Über den Sinn und die Umsetzung der von Novak Djokovic initiierten Adria-Tour kann es keine zwei Meinungen geben. 4000 Zuschauer in Belgrad. 9000 in der kroatischen Hafenstadt Zadar. Spielerparty in einer Disco. Umarmungen auf dem Tenniscourt, Körperkontakt beim Basketball und Fussball. Ignorant, abgehoben, dumm. Abstandsregeln? Gelten nicht für uns. Pandemie? Ist doch längst ausgestanden. Djokovic und Friends haben sich aufgeführt, als gäbe es kein Virus. Und nun tragen sie und wahrscheinlich viele andere auch, mit denen sie in Kontakt gekommen sind, dieses Virus in sich.

Djokovic schadet damit nicht nur sich, seiner Gefolgschaft und seinen Anhängern, sondern bringt die gesamte Sportelite in Verruf. Typisch Sportler! Ein Reflex, der angesichts des mehrheitlich verantwortungsvollen Verhaltens der Sportler aber ungerechtfertigt ist.

François Schmid-Bechtel

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CH Media

Das alles passt. Ebenso, wie seine abenteuerliche Behauptung, er könne mit der Kraft des Geistes die molekulare Zusammensetzung von Wasser verändern und damit giftiges Wasser in heilendes Wasser verwandeln. Oder, wenn er mal Kritik aus dem Ausland ausgesetzt ist, dann hat sich immer gleich mindestens der gesamte Westen gegen ihn und, wenn es ganz hochkommt, gegen sein Volk verschworen. Nur:

Wie soll man von jemandem Demut erwarten, dessen Mutter sagt, ihr Sohn fühle sich von Gott auserwählt? Heiliger Bimbam.

Da reicht es wohl kaum, der beste Tennisspieler der Welt zu sein. Wahrscheinlich ist Nole auch dazu auserwählt, irgendwann mal Serbien zu alter Stärke zu verhelfen. Djokovic, oder die Uriella vom Balkan? Das Oberhaupt von Fiat Lux behauptete über magische Kräfte zu verfügen und verstand sich als Sprachrohr Jesu.

Apropos Balkan. Kaum etwas erklärt Djokovics Wesen und Wirken besser als seine Herkunft.

Da spielt es weniger eine Rolle, dass die Narben des Krieges in der Umgebung seines Geburtsorts nahe der Grenze zu Kosovo noch sichtbar sind. Die gibt es anderswo auch. Und vor allem in vielen Köpfen. Nein, ein Grund ist, dass Sport eine überhöhte Bedeutung hat in der Region.

Erinnern wir uns an die Fussball WM 2018. Staatspräsident Aleksandar Vucic («Kosovo ist Serbien») schickte seine Spieler mit den Worten «es versteht sich von selber, dass wir die Schweiz überzeugend besiegen» nach Russland. Vor dem Spiel gegen die Schweiz giftelte Aussenminister Ivica Dacic: «Gegen wen spielen wir? Gegen die Schweiz? Albanien? Oder gegen Pristina?» Selbst im Sieg gegen Costa Rica erkannte Dacic eine politische Dimension: «Eine süsse Rache für die Anerkennung des Kosovo.» Denn Costa Rica ist einer von sieben Staaten, die am 18. Februar 2008 als erste den Kosovo als unabhängigen Staat anerkannt haben.

In Serbien werden Sieger bedingungslos vergöttert. Verlierer müssen darauf hoffen, dass ihnen zumindest noch die Zeit bleibt, den Kopf einzuziehen. Das hingegen ist Djokovics Sorge nicht. Denn er gewinnt ja fast immer. Weshalb ihm absolute Narrenfreiheit zugestanden wird.

Auch wir haben unsere Tennis-Ikone. Wir leiden, zittern und jubeln mit Roger Federer. Wir bewundern ihn und verehren ihn vielleicht auch mal. Aber wir verzeihen ihm nicht alles. So, als er im Dezember für 10 Millionen Dollar durch Lateinamerika tourte, wo in vielen Ländern soziale Unruhen herrschten. Federer spielte für jene, gegen welche die Massen auf den Strassen protestieren. «Federer, der Tanzbär der Eliten», titelte diese Zeitung. Wenn Djokovic Corona eine zweite Chance gibt, muss er in seiner Heimat kaum Kritik befürchten.

In einem Land, in dem Fussball-Hooligans scheinbar ungehindert ihre Mafia-Strukturen aufbauen können, fehlt definitiv ein Korrektiv.

Das bedeutet wiederum einen Freifahrtschein für jene, die Geld, Macht und Erfolg haben. Djokovic hat von allem sehr viel. Deshalb muss und wird er sich auch nicht mehr ändern.